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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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fruchtlosen Ritterdienstes müde um Erhörung flehte. Sein Werth für die Zeit¬
genossen wurde darnach beurtheilt, ob sein Klanggefühl fein war, ob er
höfische Rede gebrauchte, ob er liebenswert!) und mit Geist hergebrachte
Form und Inhalt zu modificiren verstand, endlich freilich ob er neue Weisen
und neue Liederideen zu dem vorhandenen Vorrath fügte. Auf gewissen gege¬
benen Grundformen entfaltete ein reiches Talent seine schöpferische Kraft, sicher
das Vorhandene benutzend, in immer neuen Variationen das gemeinsame Schöne
umformend. Derselbe Dichter, wenn er vollends einen rittermäßigen Stoff in
längerem Gedicht verarbeitete, durfte ungescheut die Arbeiten seiner Vorgänger
verwenden, zumal wenn diese in fremder Sprache geschrieben war'er. Er übertrug
ein Gedicht aus dem nordfranzösischen oder Lateinischen, zuweilen wörtlich über¬
setzend, an andern Stellen umgestaltend, dann bewies er seine Dichtart'unse in
den Augen der Zeitgenossen ganz genügend durch höfische Sprache, durch klang¬
vollen Vers und durch kräftiges Herausheben der Stellen, welche ihm poetisch
schön tauchten. Was wir jetzt für die Grundbedingung des selbständigen Dich¬
tens halten, daß der Dichter die ganze große Fabel sich erschaffe, war damals
nicht nöthig, und grade vor den größten Aufgaben der epischen Poesie nicht
möglich. -- Endlich der Baumeister, welcher zur Zeit des romanischen, des gothischen
Stils oder der Renaissance seinen Zeitgenossen einen bewunderten Bau aufführte,
war in ganz anderer Weise schöpferisch und wieder gebunden als unsere Architekten;
gewisse Grundverhältnisse der Länge, Breite, Höhe standen fest, die meisten
Formen und Zierrathen, die Elemente, aus denen er Pfeiler oder Säule zu¬
sammensetzte, Schwung der Bögen, Gliederung des Gesimses, Ornamente der
vorspringenden Theile waren in der Hauptsache vorgebildet, sein Talent be¬
währte sich wieder durch geschmackvolles und modisches Unbilden gegebener For¬
men und durch reiche Erfindung in Einzelheiten. Ob er antik, im Bastlikenstil
oder in- germanischer Weise schaffen wollte, stand für ihn ganz, außer Frage, und
in dieser Beziehung war sein Bilden der directe Gegensatz des Modernen, wo
dem Künstler zunächst zugemuthet wird, unter einer Menge ganz verschiedener
Stilformen zu wählen, die ihm aus allen Jahrhunderten der Vergangenheit
überkommen sind, und wo ihm die Versuchung nahe liegt, sich aus dem Wirr¬
warr vorhandener Formen mosaikartig einen neuen Stil zusammenzusetzen.

Wie die Bedingungen, unter denen der Künstler schafft, ihm durch jede Ver¬
änderung der Bildung modificirt werden, ebenso ist auch die Energie des künst¬
lerischen Schaffens nicht in jeder Zeit dieselbe, und das schöne Gelingen der
Kunstwerke ist nicht in jeder Periode des Volkslebens möglich. Das ist allbe¬
kannt. Aber wenn wir die letzten Gründe suchen, um diese auffallende That¬
sache zu begreifen, gelangen wir an einen Punkt, wo das geheimnißvolle Wal¬
ten der Gotteskraft in den Völkern sich unserem Verständniß entzieht. Wir
sehen nur, daß vieles thätig ist, um diese Ungleichmäßigkeit der bildenden Kraft her-


fruchtlosen Ritterdienstes müde um Erhörung flehte. Sein Werth für die Zeit¬
genossen wurde darnach beurtheilt, ob sein Klanggefühl fein war, ob er
höfische Rede gebrauchte, ob er liebenswert!) und mit Geist hergebrachte
Form und Inhalt zu modificiren verstand, endlich freilich ob er neue Weisen
und neue Liederideen zu dem vorhandenen Vorrath fügte. Auf gewissen gege¬
benen Grundformen entfaltete ein reiches Talent seine schöpferische Kraft, sicher
das Vorhandene benutzend, in immer neuen Variationen das gemeinsame Schöne
umformend. Derselbe Dichter, wenn er vollends einen rittermäßigen Stoff in
längerem Gedicht verarbeitete, durfte ungescheut die Arbeiten seiner Vorgänger
verwenden, zumal wenn diese in fremder Sprache geschrieben war'er. Er übertrug
ein Gedicht aus dem nordfranzösischen oder Lateinischen, zuweilen wörtlich über¬
setzend, an andern Stellen umgestaltend, dann bewies er seine Dichtart'unse in
den Augen der Zeitgenossen ganz genügend durch höfische Sprache, durch klang¬
vollen Vers und durch kräftiges Herausheben der Stellen, welche ihm poetisch
schön tauchten. Was wir jetzt für die Grundbedingung des selbständigen Dich¬
tens halten, daß der Dichter die ganze große Fabel sich erschaffe, war damals
nicht nöthig, und grade vor den größten Aufgaben der epischen Poesie nicht
möglich. — Endlich der Baumeister, welcher zur Zeit des romanischen, des gothischen
Stils oder der Renaissance seinen Zeitgenossen einen bewunderten Bau aufführte,
war in ganz anderer Weise schöpferisch und wieder gebunden als unsere Architekten;
gewisse Grundverhältnisse der Länge, Breite, Höhe standen fest, die meisten
Formen und Zierrathen, die Elemente, aus denen er Pfeiler oder Säule zu¬
sammensetzte, Schwung der Bögen, Gliederung des Gesimses, Ornamente der
vorspringenden Theile waren in der Hauptsache vorgebildet, sein Talent be¬
währte sich wieder durch geschmackvolles und modisches Unbilden gegebener For¬
men und durch reiche Erfindung in Einzelheiten. Ob er antik, im Bastlikenstil
oder in- germanischer Weise schaffen wollte, stand für ihn ganz, außer Frage, und
in dieser Beziehung war sein Bilden der directe Gegensatz des Modernen, wo
dem Künstler zunächst zugemuthet wird, unter einer Menge ganz verschiedener
Stilformen zu wählen, die ihm aus allen Jahrhunderten der Vergangenheit
überkommen sind, und wo ihm die Versuchung nahe liegt, sich aus dem Wirr¬
warr vorhandener Formen mosaikartig einen neuen Stil zusammenzusetzen.

Wie die Bedingungen, unter denen der Künstler schafft, ihm durch jede Ver¬
änderung der Bildung modificirt werden, ebenso ist auch die Energie des künst¬
lerischen Schaffens nicht in jeder Zeit dieselbe, und das schöne Gelingen der
Kunstwerke ist nicht in jeder Periode des Volkslebens möglich. Das ist allbe¬
kannt. Aber wenn wir die letzten Gründe suchen, um diese auffallende That¬
sache zu begreifen, gelangen wir an einen Punkt, wo das geheimnißvolle Wal¬
ten der Gotteskraft in den Völkern sich unserem Verständniß entzieht. Wir
sehen nur, daß vieles thätig ist, um diese Ungleichmäßigkeit der bildenden Kraft her-


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[0056] fruchtlosen Ritterdienstes müde um Erhörung flehte. Sein Werth für die Zeit¬ genossen wurde darnach beurtheilt, ob sein Klanggefühl fein war, ob er höfische Rede gebrauchte, ob er liebenswert!) und mit Geist hergebrachte Form und Inhalt zu modificiren verstand, endlich freilich ob er neue Weisen und neue Liederideen zu dem vorhandenen Vorrath fügte. Auf gewissen gege¬ benen Grundformen entfaltete ein reiches Talent seine schöpferische Kraft, sicher das Vorhandene benutzend, in immer neuen Variationen das gemeinsame Schöne umformend. Derselbe Dichter, wenn er vollends einen rittermäßigen Stoff in längerem Gedicht verarbeitete, durfte ungescheut die Arbeiten seiner Vorgänger verwenden, zumal wenn diese in fremder Sprache geschrieben war'er. Er übertrug ein Gedicht aus dem nordfranzösischen oder Lateinischen, zuweilen wörtlich über¬ setzend, an andern Stellen umgestaltend, dann bewies er seine Dichtart'unse in den Augen der Zeitgenossen ganz genügend durch höfische Sprache, durch klang¬ vollen Vers und durch kräftiges Herausheben der Stellen, welche ihm poetisch schön tauchten. Was wir jetzt für die Grundbedingung des selbständigen Dich¬ tens halten, daß der Dichter die ganze große Fabel sich erschaffe, war damals nicht nöthig, und grade vor den größten Aufgaben der epischen Poesie nicht möglich. — Endlich der Baumeister, welcher zur Zeit des romanischen, des gothischen Stils oder der Renaissance seinen Zeitgenossen einen bewunderten Bau aufführte, war in ganz anderer Weise schöpferisch und wieder gebunden als unsere Architekten; gewisse Grundverhältnisse der Länge, Breite, Höhe standen fest, die meisten Formen und Zierrathen, die Elemente, aus denen er Pfeiler oder Säule zu¬ sammensetzte, Schwung der Bögen, Gliederung des Gesimses, Ornamente der vorspringenden Theile waren in der Hauptsache vorgebildet, sein Talent be¬ währte sich wieder durch geschmackvolles und modisches Unbilden gegebener For¬ men und durch reiche Erfindung in Einzelheiten. Ob er antik, im Bastlikenstil oder in- germanischer Weise schaffen wollte, stand für ihn ganz, außer Frage, und in dieser Beziehung war sein Bilden der directe Gegensatz des Modernen, wo dem Künstler zunächst zugemuthet wird, unter einer Menge ganz verschiedener Stilformen zu wählen, die ihm aus allen Jahrhunderten der Vergangenheit überkommen sind, und wo ihm die Versuchung nahe liegt, sich aus dem Wirr¬ warr vorhandener Formen mosaikartig einen neuen Stil zusammenzusetzen. Wie die Bedingungen, unter denen der Künstler schafft, ihm durch jede Ver¬ änderung der Bildung modificirt werden, ebenso ist auch die Energie des künst¬ lerischen Schaffens nicht in jeder Zeit dieselbe, und das schöne Gelingen der Kunstwerke ist nicht in jeder Periode des Volkslebens möglich. Das ist allbe¬ kannt. Aber wenn wir die letzten Gründe suchen, um diese auffallende That¬ sache zu begreifen, gelangen wir an einen Punkt, wo das geheimnißvolle Wal¬ ten der Gotteskraft in den Völkern sich unserem Verständniß entzieht. Wir sehen nur, daß vieles thätig ist, um diese Ungleichmäßigkeit der bildenden Kraft her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/56>, abgerufen am 29.06.2024.