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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Marmorausführung der Modelle andrer, z. B. Tiecks Schinkel, Rietschels
Pieta. beschäftigt, seit zehn Jahren indeß auch mit glücklichem Erfolg an Büsten
und meist kleinern weiblichen Gestalten von eigner Komposition, mit abstracten
Namen und einer etwas allgemeinen, gewinnenden freundlichen Anmuth und
Grazie ausgestattet; dazwischen auch größere decorative Figuren verwandter
Gattung (z. B. für das königsberger Universitätsgebäude) in Thon und Marmor
bildend.

F. Müller. Schüler Tiecks und Kiß's. lange Jahre des letztern Mitarbeiter
und, wenn auch unter dessen Namen, selbständiger Ausführer von dessen
Skizzen zu großen Monumenten, später mit Albert Wolfs zusammen wirkend,
dazwischen auch kolossale decorative Arbeiten, den Brunnen und die Seepferde
bei und in Sanssouci und kleinere hübsche und ansprechende italienische Cha¬
rakterfiguren modellirend.

Franz, Zögling der Akademie und Wichmanns, früh schon mit vielem
Glück selbständig hervortretend durch die oft wiederholte und reproducirte
Gruppe eines Schäfers, der von einem Tiger überfallen wird, für welche er
später eine Amazone oder Schäferin in gleicher Situation mit einem Löwen
als Pendant bildete. Der besonders höchsten Orts nachdrücklich bekundete Beifall,
der diesen beiden Arbeiten bezeugt wurde, ist nicht ganz verständlich. Bei aller
Anerkennung des fleißigen Bemühens darin, kommt man nicht über die innere
Unmöglichkeit der Situation hinweg, wie sie in beiden gedacht ist, und eine ehr¬
bare Trockenheit, der mit etwas Echauffement nachgeholfen ist, will uns auch
nicht grade als Zeugniß des rechten großen und vollen Talents imponiren.
Franz hat seitdem besonders viel für die Vermehrung der immer noch wachsen¬
den Statuenbevölkerung des Parks von Sanssouci zu thun gehabt. Eine An¬
zahl von Nereiden auf Seelöwen und Seepferden, von Fischern und Jägern
meist in kolossalen Maßstab, dazu auch ein paar Gestalten für die Neue Börse
sind aus seiner Werkstatt hervorgegangen, alle mit einem gewissen gerechtfertigten
Anspruch aus äußere Richtigkeit. Correctheit und Freiheit von Verstößen; alle
aber im Ganzen recht trocken und langweilig.

Mit den Genannten wird so ziemlich die Zahl der Künstler erschöpft sein,
welche bis zu Ende des letzten Jahrzehnts die berliner Bildhauerschule bildeten
und vertreten konnten. Seitdem wuchs ein neues Geschlecht heran, eine dritte
Künstlergeneration seit den Alten, in welchen Rauch zuerst die Pfeiler seiner
Schule sich erzog. Er war für seine Nachfolger wie ein Eroberer gewesen, die
Formensprache, welche er der Antike und der Natur gemeinsam abgerungen, hat
er ihnen zum bequemen Gebrauch überliefert, und mühelos und geläufig sehen
wir sie sich derselben bedienen. Aber eben in dieser äußern Geläufigkeit lag
die Gefahr: "was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu
besitzen!" Das Allgemeine der künstlerischen Ausdrucksweise Rauchs ist viel-


Grenzbotm I. 18os. 63

Marmorausführung der Modelle andrer, z. B. Tiecks Schinkel, Rietschels
Pieta. beschäftigt, seit zehn Jahren indeß auch mit glücklichem Erfolg an Büsten
und meist kleinern weiblichen Gestalten von eigner Komposition, mit abstracten
Namen und einer etwas allgemeinen, gewinnenden freundlichen Anmuth und
Grazie ausgestattet; dazwischen auch größere decorative Figuren verwandter
Gattung (z. B. für das königsberger Universitätsgebäude) in Thon und Marmor
bildend.

F. Müller. Schüler Tiecks und Kiß's. lange Jahre des letztern Mitarbeiter
und, wenn auch unter dessen Namen, selbständiger Ausführer von dessen
Skizzen zu großen Monumenten, später mit Albert Wolfs zusammen wirkend,
dazwischen auch kolossale decorative Arbeiten, den Brunnen und die Seepferde
bei und in Sanssouci und kleinere hübsche und ansprechende italienische Cha¬
rakterfiguren modellirend.

Franz, Zögling der Akademie und Wichmanns, früh schon mit vielem
Glück selbständig hervortretend durch die oft wiederholte und reproducirte
Gruppe eines Schäfers, der von einem Tiger überfallen wird, für welche er
später eine Amazone oder Schäferin in gleicher Situation mit einem Löwen
als Pendant bildete. Der besonders höchsten Orts nachdrücklich bekundete Beifall,
der diesen beiden Arbeiten bezeugt wurde, ist nicht ganz verständlich. Bei aller
Anerkennung des fleißigen Bemühens darin, kommt man nicht über die innere
Unmöglichkeit der Situation hinweg, wie sie in beiden gedacht ist, und eine ehr¬
bare Trockenheit, der mit etwas Echauffement nachgeholfen ist, will uns auch
nicht grade als Zeugniß des rechten großen und vollen Talents imponiren.
Franz hat seitdem besonders viel für die Vermehrung der immer noch wachsen¬
den Statuenbevölkerung des Parks von Sanssouci zu thun gehabt. Eine An¬
zahl von Nereiden auf Seelöwen und Seepferden, von Fischern und Jägern
meist in kolossalen Maßstab, dazu auch ein paar Gestalten für die Neue Börse
sind aus seiner Werkstatt hervorgegangen, alle mit einem gewissen gerechtfertigten
Anspruch aus äußere Richtigkeit. Correctheit und Freiheit von Verstößen; alle
aber im Ganzen recht trocken und langweilig.

Mit den Genannten wird so ziemlich die Zahl der Künstler erschöpft sein,
welche bis zu Ende des letzten Jahrzehnts die berliner Bildhauerschule bildeten
und vertreten konnten. Seitdem wuchs ein neues Geschlecht heran, eine dritte
Künstlergeneration seit den Alten, in welchen Rauch zuerst die Pfeiler seiner
Schule sich erzog. Er war für seine Nachfolger wie ein Eroberer gewesen, die
Formensprache, welche er der Antike und der Natur gemeinsam abgerungen, hat
er ihnen zum bequemen Gebrauch überliefert, und mühelos und geläufig sehen
wir sie sich derselben bedienen. Aber eben in dieser äußern Geläufigkeit lag
die Gefahr: „was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu
besitzen!" Das Allgemeine der künstlerischen Ausdrucksweise Rauchs ist viel-


Grenzbotm I. 18os. 63
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[0543] Marmorausführung der Modelle andrer, z. B. Tiecks Schinkel, Rietschels Pieta. beschäftigt, seit zehn Jahren indeß auch mit glücklichem Erfolg an Büsten und meist kleinern weiblichen Gestalten von eigner Komposition, mit abstracten Namen und einer etwas allgemeinen, gewinnenden freundlichen Anmuth und Grazie ausgestattet; dazwischen auch größere decorative Figuren verwandter Gattung (z. B. für das königsberger Universitätsgebäude) in Thon und Marmor bildend. F. Müller. Schüler Tiecks und Kiß's. lange Jahre des letztern Mitarbeiter und, wenn auch unter dessen Namen, selbständiger Ausführer von dessen Skizzen zu großen Monumenten, später mit Albert Wolfs zusammen wirkend, dazwischen auch kolossale decorative Arbeiten, den Brunnen und die Seepferde bei und in Sanssouci und kleinere hübsche und ansprechende italienische Cha¬ rakterfiguren modellirend. Franz, Zögling der Akademie und Wichmanns, früh schon mit vielem Glück selbständig hervortretend durch die oft wiederholte und reproducirte Gruppe eines Schäfers, der von einem Tiger überfallen wird, für welche er später eine Amazone oder Schäferin in gleicher Situation mit einem Löwen als Pendant bildete. Der besonders höchsten Orts nachdrücklich bekundete Beifall, der diesen beiden Arbeiten bezeugt wurde, ist nicht ganz verständlich. Bei aller Anerkennung des fleißigen Bemühens darin, kommt man nicht über die innere Unmöglichkeit der Situation hinweg, wie sie in beiden gedacht ist, und eine ehr¬ bare Trockenheit, der mit etwas Echauffement nachgeholfen ist, will uns auch nicht grade als Zeugniß des rechten großen und vollen Talents imponiren. Franz hat seitdem besonders viel für die Vermehrung der immer noch wachsen¬ den Statuenbevölkerung des Parks von Sanssouci zu thun gehabt. Eine An¬ zahl von Nereiden auf Seelöwen und Seepferden, von Fischern und Jägern meist in kolossalen Maßstab, dazu auch ein paar Gestalten für die Neue Börse sind aus seiner Werkstatt hervorgegangen, alle mit einem gewissen gerechtfertigten Anspruch aus äußere Richtigkeit. Correctheit und Freiheit von Verstößen; alle aber im Ganzen recht trocken und langweilig. Mit den Genannten wird so ziemlich die Zahl der Künstler erschöpft sein, welche bis zu Ende des letzten Jahrzehnts die berliner Bildhauerschule bildeten und vertreten konnten. Seitdem wuchs ein neues Geschlecht heran, eine dritte Künstlergeneration seit den Alten, in welchen Rauch zuerst die Pfeiler seiner Schule sich erzog. Er war für seine Nachfolger wie ein Eroberer gewesen, die Formensprache, welche er der Antike und der Natur gemeinsam abgerungen, hat er ihnen zum bequemen Gebrauch überliefert, und mühelos und geläufig sehen wir sie sich derselben bedienen. Aber eben in dieser äußern Geläufigkeit lag die Gefahr: „was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen!" Das Allgemeine der künstlerischen Ausdrucksweise Rauchs ist viel- Grenzbotm I. 18os. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/543>, abgerufen am 01.07.2024.