Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und Marmor ausdrückte, ja oft genug selbst zur Feder griff, um seine An¬
schauungen und Ansichten über Kunst und künstlerische Dinge in der Form von
immer geistvollen und gedankenreichen Aufsätzen und Abhandlungen zusammen¬
zufassen. Indeß hat ihn diese Natur seines Wesens und Art seiner Bildung
nicht verhindert, außer einer sehr großen Zahl trefflicher Büsten in Gips und
Marmor, sinnvoll, poetisch und humoristisch geschmückter Gefäße, in deren
Formengebung und Zierrath er einen vollendeten Geschmack bekundete, auch
einige größere durchgeführte und abgeschlossene Werke der reinen Plastik hinzu¬
stellen, welche, anders geartet, doch wahrlich nicht unwerth find, neben den
Besten der berliner Schule genannt zu werden. Es ist dies vor allem die
herrliche Marmorstatue der Iphigenie auf Tauris "das Land der Griechen mit
der Seele suchend", für Friedrich Wilhelm den Vierten ausgeführt, diese von
der tiefsten, feinsten und edelsten Empfindung beseelte Gestalt, einer Empfindung,
welche in dem schönen durchgeistigten Antlitz ihren holden Ausdruck findet, wie
sie in dem vollendeten Rhythmus in der- Bewegung der angelehnt stehenden Ge¬
stalt und noch, in dem kunstreichen Gefäll der Gewandung ausklingt, die deren
jungfräuliche Glieder umfließt. Ein noch ernster, mächtiger und größer con-
cipirtes und angelegtes Modell, die Gruppe des blinden Oedipus von Antigone
geleitet, blieb durch unglückliche Umstände leider für immer nur Modell. Ebenso
zum vergänglichen Zustande des Gipses verdammt das große historische Relief,
Luther schlägt die Thesen an die Thür der wittenberger Schloßkirche, eine
Komposition, welche ihren reichen Gedankengehalt in einer ganz realistischen
Form in bestimmten historischen Gestalten ausprägt. Aber wenigstens ein Mal
wurde dem Künstler vergönnt, ein dauerndes Monumentalwelk zu schaffen: die
Broncestatue Händels, welche er in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts
für Halle modellirte. Die geistige Auffassung der Persönlichkeit des großen
Tonmeisters ist vortrefflich darin. Das Mächtige, heroisch Freudige, Pompöse,
Urgesunde seines Wesens kommt in der vollen und breiten, in das solche Wir¬
kung noch unterstützende reiche Costüm seiner Zeit gekleideten Gestalt, welche
die Hand auf die von prächtig ornamentirtem Notenpult getragene Partitur
des Messias stützt, zur besten Anschauung. Von der Menge der heidelschen
Kompositionen, die er zum Mythus der Iphigenia, der Penelope und andern
antiken Stoffkreisen gezeichnet, haben wir hier nicht zu erzählen, so wenig wie
von seinem großen Werk einer Anatomie für Künstler. Er starb, als er grade
Berlin entzogen werden sollte, da sich ihm in Wien die sichere Aussicht aus
eine richtigere Würdigung und umfassendere Nutzbarmachung seines schönen Ta¬
lents in Aussicht stellte, als sie ihm bei uns geworden war.

Hier nenne ich ferner noch Wittich, Schüler Tiecks, ein sinniges, an-
muthiges Talent, weniger nach der Seite der großen Erfindung, als der zier¬
lichen Ausführung hin; während des größten Theils seiner Laufbahn mit der


und Marmor ausdrückte, ja oft genug selbst zur Feder griff, um seine An¬
schauungen und Ansichten über Kunst und künstlerische Dinge in der Form von
immer geistvollen und gedankenreichen Aufsätzen und Abhandlungen zusammen¬
zufassen. Indeß hat ihn diese Natur seines Wesens und Art seiner Bildung
nicht verhindert, außer einer sehr großen Zahl trefflicher Büsten in Gips und
Marmor, sinnvoll, poetisch und humoristisch geschmückter Gefäße, in deren
Formengebung und Zierrath er einen vollendeten Geschmack bekundete, auch
einige größere durchgeführte und abgeschlossene Werke der reinen Plastik hinzu¬
stellen, welche, anders geartet, doch wahrlich nicht unwerth find, neben den
Besten der berliner Schule genannt zu werden. Es ist dies vor allem die
herrliche Marmorstatue der Iphigenie auf Tauris „das Land der Griechen mit
der Seele suchend", für Friedrich Wilhelm den Vierten ausgeführt, diese von
der tiefsten, feinsten und edelsten Empfindung beseelte Gestalt, einer Empfindung,
welche in dem schönen durchgeistigten Antlitz ihren holden Ausdruck findet, wie
sie in dem vollendeten Rhythmus in der- Bewegung der angelehnt stehenden Ge¬
stalt und noch, in dem kunstreichen Gefäll der Gewandung ausklingt, die deren
jungfräuliche Glieder umfließt. Ein noch ernster, mächtiger und größer con-
cipirtes und angelegtes Modell, die Gruppe des blinden Oedipus von Antigone
geleitet, blieb durch unglückliche Umstände leider für immer nur Modell. Ebenso
zum vergänglichen Zustande des Gipses verdammt das große historische Relief,
Luther schlägt die Thesen an die Thür der wittenberger Schloßkirche, eine
Komposition, welche ihren reichen Gedankengehalt in einer ganz realistischen
Form in bestimmten historischen Gestalten ausprägt. Aber wenigstens ein Mal
wurde dem Künstler vergönnt, ein dauerndes Monumentalwelk zu schaffen: die
Broncestatue Händels, welche er in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts
für Halle modellirte. Die geistige Auffassung der Persönlichkeit des großen
Tonmeisters ist vortrefflich darin. Das Mächtige, heroisch Freudige, Pompöse,
Urgesunde seines Wesens kommt in der vollen und breiten, in das solche Wir¬
kung noch unterstützende reiche Costüm seiner Zeit gekleideten Gestalt, welche
die Hand auf die von prächtig ornamentirtem Notenpult getragene Partitur
des Messias stützt, zur besten Anschauung. Von der Menge der heidelschen
Kompositionen, die er zum Mythus der Iphigenia, der Penelope und andern
antiken Stoffkreisen gezeichnet, haben wir hier nicht zu erzählen, so wenig wie
von seinem großen Werk einer Anatomie für Künstler. Er starb, als er grade
Berlin entzogen werden sollte, da sich ihm in Wien die sichere Aussicht aus
eine richtigere Würdigung und umfassendere Nutzbarmachung seines schönen Ta¬
lents in Aussicht stellte, als sie ihm bei uns geworden war.

Hier nenne ich ferner noch Wittich, Schüler Tiecks, ein sinniges, an-
muthiges Talent, weniger nach der Seite der großen Erfindung, als der zier¬
lichen Ausführung hin; während des größten Theils seiner Laufbahn mit der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0542" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/285012"/>
          <p xml:id="ID_1776" prev="#ID_1775"> und Marmor ausdrückte, ja oft genug selbst zur Feder griff, um seine An¬<lb/>
schauungen und Ansichten über Kunst und künstlerische Dinge in der Form von<lb/>
immer geistvollen und gedankenreichen Aufsätzen und Abhandlungen zusammen¬<lb/>
zufassen. Indeß hat ihn diese Natur seines Wesens und Art seiner Bildung<lb/>
nicht verhindert, außer einer sehr großen Zahl trefflicher Büsten in Gips und<lb/>
Marmor, sinnvoll, poetisch und humoristisch geschmückter Gefäße, in deren<lb/>
Formengebung und Zierrath er einen vollendeten Geschmack bekundete, auch<lb/>
einige größere durchgeführte und abgeschlossene Werke der reinen Plastik hinzu¬<lb/>
stellen, welche, anders geartet, doch wahrlich nicht unwerth find, neben den<lb/>
Besten der berliner Schule genannt zu werden. Es ist dies vor allem die<lb/>
herrliche Marmorstatue der Iphigenie auf Tauris &#x201E;das Land der Griechen mit<lb/>
der Seele suchend", für Friedrich Wilhelm den Vierten ausgeführt, diese von<lb/>
der tiefsten, feinsten und edelsten Empfindung beseelte Gestalt, einer Empfindung,<lb/>
welche in dem schönen durchgeistigten Antlitz ihren holden Ausdruck findet, wie<lb/>
sie in dem vollendeten Rhythmus in der- Bewegung der angelehnt stehenden Ge¬<lb/>
stalt und noch, in dem kunstreichen Gefäll der Gewandung ausklingt, die deren<lb/>
jungfräuliche Glieder umfließt. Ein noch ernster, mächtiger und größer con-<lb/>
cipirtes und angelegtes Modell, die Gruppe des blinden Oedipus von Antigone<lb/>
geleitet, blieb durch unglückliche Umstände leider für immer nur Modell. Ebenso<lb/>
zum vergänglichen Zustande des Gipses verdammt das große historische Relief,<lb/>
Luther schlägt die Thesen an die Thür der wittenberger Schloßkirche, eine<lb/>
Komposition, welche ihren reichen Gedankengehalt in einer ganz realistischen<lb/>
Form in bestimmten historischen Gestalten ausprägt. Aber wenigstens ein Mal<lb/>
wurde dem Künstler vergönnt, ein dauerndes Monumentalwelk zu schaffen: die<lb/>
Broncestatue Händels, welche er in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts<lb/>
für Halle modellirte. Die geistige Auffassung der Persönlichkeit des großen<lb/>
Tonmeisters ist vortrefflich darin. Das Mächtige, heroisch Freudige, Pompöse,<lb/>
Urgesunde seines Wesens kommt in der vollen und breiten, in das solche Wir¬<lb/>
kung noch unterstützende reiche Costüm seiner Zeit gekleideten Gestalt, welche<lb/>
die Hand auf die von prächtig ornamentirtem Notenpult getragene Partitur<lb/>
des Messias stützt, zur besten Anschauung. Von der Menge der heidelschen<lb/>
Kompositionen, die er zum Mythus der Iphigenia, der Penelope und andern<lb/>
antiken Stoffkreisen gezeichnet, haben wir hier nicht zu erzählen, so wenig wie<lb/>
von seinem großen Werk einer Anatomie für Künstler. Er starb, als er grade<lb/>
Berlin entzogen werden sollte, da sich ihm in Wien die sichere Aussicht aus<lb/>
eine richtigere Würdigung und umfassendere Nutzbarmachung seines schönen Ta¬<lb/>
lents in Aussicht stellte, als sie ihm bei uns geworden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1777" next="#ID_1778"> Hier nenne ich ferner noch Wittich, Schüler Tiecks, ein sinniges, an-<lb/>
muthiges Talent, weniger nach der Seite der großen Erfindung, als der zier¬<lb/>
lichen Ausführung hin; während des größten Theils seiner Laufbahn mit der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0542] und Marmor ausdrückte, ja oft genug selbst zur Feder griff, um seine An¬ schauungen und Ansichten über Kunst und künstlerische Dinge in der Form von immer geistvollen und gedankenreichen Aufsätzen und Abhandlungen zusammen¬ zufassen. Indeß hat ihn diese Natur seines Wesens und Art seiner Bildung nicht verhindert, außer einer sehr großen Zahl trefflicher Büsten in Gips und Marmor, sinnvoll, poetisch und humoristisch geschmückter Gefäße, in deren Formengebung und Zierrath er einen vollendeten Geschmack bekundete, auch einige größere durchgeführte und abgeschlossene Werke der reinen Plastik hinzu¬ stellen, welche, anders geartet, doch wahrlich nicht unwerth find, neben den Besten der berliner Schule genannt zu werden. Es ist dies vor allem die herrliche Marmorstatue der Iphigenie auf Tauris „das Land der Griechen mit der Seele suchend", für Friedrich Wilhelm den Vierten ausgeführt, diese von der tiefsten, feinsten und edelsten Empfindung beseelte Gestalt, einer Empfindung, welche in dem schönen durchgeistigten Antlitz ihren holden Ausdruck findet, wie sie in dem vollendeten Rhythmus in der- Bewegung der angelehnt stehenden Ge¬ stalt und noch, in dem kunstreichen Gefäll der Gewandung ausklingt, die deren jungfräuliche Glieder umfließt. Ein noch ernster, mächtiger und größer con- cipirtes und angelegtes Modell, die Gruppe des blinden Oedipus von Antigone geleitet, blieb durch unglückliche Umstände leider für immer nur Modell. Ebenso zum vergänglichen Zustande des Gipses verdammt das große historische Relief, Luther schlägt die Thesen an die Thür der wittenberger Schloßkirche, eine Komposition, welche ihren reichen Gedankengehalt in einer ganz realistischen Form in bestimmten historischen Gestalten ausprägt. Aber wenigstens ein Mal wurde dem Künstler vergönnt, ein dauerndes Monumentalwelk zu schaffen: die Broncestatue Händels, welche er in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts für Halle modellirte. Die geistige Auffassung der Persönlichkeit des großen Tonmeisters ist vortrefflich darin. Das Mächtige, heroisch Freudige, Pompöse, Urgesunde seines Wesens kommt in der vollen und breiten, in das solche Wir¬ kung noch unterstützende reiche Costüm seiner Zeit gekleideten Gestalt, welche die Hand auf die von prächtig ornamentirtem Notenpult getragene Partitur des Messias stützt, zur besten Anschauung. Von der Menge der heidelschen Kompositionen, die er zum Mythus der Iphigenia, der Penelope und andern antiken Stoffkreisen gezeichnet, haben wir hier nicht zu erzählen, so wenig wie von seinem großen Werk einer Anatomie für Künstler. Er starb, als er grade Berlin entzogen werden sollte, da sich ihm in Wien die sichere Aussicht aus eine richtigere Würdigung und umfassendere Nutzbarmachung seines schönen Ta¬ lents in Aussicht stellte, als sie ihm bei uns geworden war. Hier nenne ich ferner noch Wittich, Schüler Tiecks, ein sinniges, an- muthiges Talent, weniger nach der Seite der großen Erfindung, als der zier¬ lichen Ausführung hin; während des größten Theils seiner Laufbahn mit der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/542
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/542>, abgerufen am 01.07.2024.