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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Staaroperation an einem Bären im zoologischen Garten ausgeführt (1852),
hat ihm zu einer höchst geistreichen und belustigenden Gruppe Veranlassung
gegeben, und die Gruppe der vom Pfeil getödteten Löwin mit ihrem schmerz-
und wuthbrüllenden Gatten und den Jungen, welche die Todeswunde der
Mutter lecken, ist (zumal in ihrer ersten kleineren Gestalt) von ergreifenden,
auch gemüthlichem Effect, trotzdem die Natur der Thiere eigentlich keine jener
fremdartigen, menschenähnlichen Gefühlsbeimischungen empfangen hat, durch
welche wir solche Wirkungen wohl oft genug erzielt sehen. Später ist Wolff
sogar an die Ausführung einer großen monumentalen Statue gegangen, der
der Gemahlin des großen Kurfürsten, Henriette, welche dieser Begründerin des
Orts und Schlosses zu Oranienburg gesetzt wurde, ein künstlerisches Unter¬
nehmen von gutem Erfolg: es ist eine tüchtige und charakteristische Gestalt
im reichen Costüm ihrer Zeit. Besonders glücklich und originell zeigt sich
dieser Bildhauer immer da, wo er bei Aufgaben mehr ornamentaler Natur
Thier- und Menschengestalten in nahe Verbindung und Beziehung zu ein¬
ander versetzt, um Geräth und Gefäß damit sinnig bedeutungsvoll und
sormenprächtig zu schmücken, in der eigentlichen Modellirarbeit für den Gold¬
schmied. Seine Phantasie, welcher dafür die Menschen-, Thier-, Pflanzen- und
Arabeskenformen gleichsehr zu Gebote stehen, ist bei dergleichen ganz uner¬
schöpflich in der Erfindung des Passenden und Vergnüglichen, aus der Welt
der Dichtung, der Mythe, der von Zeiten, Nationalitäten, Racen mannigfaltig
in der Gestalt bedingten Wirklichkeit; und seine Arbeit in Wachs ist von einer
wahrhaft reizenden Zierlichkeit bei scharfer Bestimmtheit und Sicherheit der
Formengebung. Als sein vielbewundertes Hauptwerk dieser Gattung können
die Modelle gelten, welche er für den in Vollgolds Werkstatt in Silber aus¬
geführten großen complicirten Tafelaufsatz des Vicekönigs von Aegypten lieferte.

Wie dieser ziemlich seitab von der Schule Rauchs, steht ein andrer, bis
Vor kurzem, wo ihn auf einer Neise in Stuttgart ein jäher Tod traf, in Berlin
thätig gewesener Meister der Bildhauerei. Hermann Heidel, geb. zu Bonn
1810, spät erst von mehrjährigem medicinischen Universitätsstudium zur Kunst
übergegangen, welche er in München unter Schwanthaler, später in Rom stu-
dirte. 1843 kam er zu dauerndem Aufenthalt nach Berlin, wo er indeß nie
in nähere Beziehungen zu denen gekommen ist, welche die hiesige Bildhauer¬
schule vertraten. Er behielt immer etwas von dem hochgebildeten Dilettanten
w seiner Art zu sein und zu arbeiten, im Vergleich zu den naivem handwerks¬
mäßig geschulten hiesigen Kunstgenossen. An Bedeutung und Reichthum der
künstlerischen Ideen überragte er sie, an technischer Kraft und Ausdauer blieb
" wohl hinter ihnen zurück. Auch ist es charakteristisch, daß er die Fülle der
ersteren fast ebenso gern, und in seinen letzten Lebensjahren sogar noch lieber,
mit dem Stift aus Papier, wie mit dem Modellirholz und Meißel in Thon


Staaroperation an einem Bären im zoologischen Garten ausgeführt (1852),
hat ihm zu einer höchst geistreichen und belustigenden Gruppe Veranlassung
gegeben, und die Gruppe der vom Pfeil getödteten Löwin mit ihrem schmerz-
und wuthbrüllenden Gatten und den Jungen, welche die Todeswunde der
Mutter lecken, ist (zumal in ihrer ersten kleineren Gestalt) von ergreifenden,
auch gemüthlichem Effect, trotzdem die Natur der Thiere eigentlich keine jener
fremdartigen, menschenähnlichen Gefühlsbeimischungen empfangen hat, durch
welche wir solche Wirkungen wohl oft genug erzielt sehen. Später ist Wolff
sogar an die Ausführung einer großen monumentalen Statue gegangen, der
der Gemahlin des großen Kurfürsten, Henriette, welche dieser Begründerin des
Orts und Schlosses zu Oranienburg gesetzt wurde, ein künstlerisches Unter¬
nehmen von gutem Erfolg: es ist eine tüchtige und charakteristische Gestalt
im reichen Costüm ihrer Zeit. Besonders glücklich und originell zeigt sich
dieser Bildhauer immer da, wo er bei Aufgaben mehr ornamentaler Natur
Thier- und Menschengestalten in nahe Verbindung und Beziehung zu ein¬
ander versetzt, um Geräth und Gefäß damit sinnig bedeutungsvoll und
sormenprächtig zu schmücken, in der eigentlichen Modellirarbeit für den Gold¬
schmied. Seine Phantasie, welcher dafür die Menschen-, Thier-, Pflanzen- und
Arabeskenformen gleichsehr zu Gebote stehen, ist bei dergleichen ganz uner¬
schöpflich in der Erfindung des Passenden und Vergnüglichen, aus der Welt
der Dichtung, der Mythe, der von Zeiten, Nationalitäten, Racen mannigfaltig
in der Gestalt bedingten Wirklichkeit; und seine Arbeit in Wachs ist von einer
wahrhaft reizenden Zierlichkeit bei scharfer Bestimmtheit und Sicherheit der
Formengebung. Als sein vielbewundertes Hauptwerk dieser Gattung können
die Modelle gelten, welche er für den in Vollgolds Werkstatt in Silber aus¬
geführten großen complicirten Tafelaufsatz des Vicekönigs von Aegypten lieferte.

Wie dieser ziemlich seitab von der Schule Rauchs, steht ein andrer, bis
Vor kurzem, wo ihn auf einer Neise in Stuttgart ein jäher Tod traf, in Berlin
thätig gewesener Meister der Bildhauerei. Hermann Heidel, geb. zu Bonn
1810, spät erst von mehrjährigem medicinischen Universitätsstudium zur Kunst
übergegangen, welche er in München unter Schwanthaler, später in Rom stu-
dirte. 1843 kam er zu dauerndem Aufenthalt nach Berlin, wo er indeß nie
in nähere Beziehungen zu denen gekommen ist, welche die hiesige Bildhauer¬
schule vertraten. Er behielt immer etwas von dem hochgebildeten Dilettanten
w seiner Art zu sein und zu arbeiten, im Vergleich zu den naivem handwerks¬
mäßig geschulten hiesigen Kunstgenossen. An Bedeutung und Reichthum der
künstlerischen Ideen überragte er sie, an technischer Kraft und Ausdauer blieb
« wohl hinter ihnen zurück. Auch ist es charakteristisch, daß er die Fülle der
ersteren fast ebenso gern, und in seinen letzten Lebensjahren sogar noch lieber,
mit dem Stift aus Papier, wie mit dem Modellirholz und Meißel in Thon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/541>, abgerufen am 01.07.2024.