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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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einer einheitlichen Linienführung und eines Grundtons auch in der Farbe. --
Der Künstler ferner von musikalischer Anlage bewahrt nicht plastische oder maleri¬
sche Bilder als Eindruck des Gelesenen, in seiner Seele klingt die Stimmung in
Tönen, er hört vielleicht den Siegesgesang der Franken, die wilde Totenklage
der Sachsen, den Ruf nach Rache, den Schrei der Angst, und alle diese Gegen¬
sätze, welche durchcinanderklingen. binden sich ihm zum Schluß in vollem CKor
und festlichem Gesänge zu dem neuen Gott, welcher jetzt über dem Sachsenvolke
mild walten soll. -- Auch wieder der Dichter wird, je nachdem er episch, lyrisch,
dramatisch zu gestalte" befähigt ist. den imponirenden Stoff im Innern ver¬
schieden formen. Dem poetischen Erzähler wird sich an die gegebene Situation
vieles, was vorausging, knüpfen, er wird in einer Reihe von Situationen
den Kampf zwischen Christen und Heiden, die Feindschaft des Frankenkönigs
und des Sachsenfürsten schildern, er wird den Hofhalt beider..ihre Häuser, ihre Gefol¬
geschast, ihr Wesen im Gegensatz zu einander sich einbilden, er wird die menschlichen
Beweggründe für ihr Handeln, Glaubenseifer, Vaterlandsliebe, Stolz, Freiheits¬
sinn als groß und schön empfinden, er wird zu den reifen Männergestalten und
ihrem finstern Kampf als Ergänzungsbiider vielleicht jugendliche Helden hervor¬
rufen, einen leidenschaftlichen Krieger, ein schönes Fürstenkind und ähnliches;
er wird die ganze Fülle von Anschauungen, welche in ihm hell wird, so schauen,
wie sie sich in der Zeitfolge nach einander ordnen, und er wird jedes Einzelne,
was sie thun, als Theil erscheinen lassen einer zusammenhängenden Geschichte,
welche mit dem wirklichen Verlauf der Historie nur grade gemein hat, was ihm
sür den Zusammenhang, den er frei gefunden, passend erscheint. In der zu¬
sammengefügten Begebenheit wird jene Situation, deren Eindruck zuerst
in seine Seele siel, wahrscheinlich noch eine bedeutsame Stellung bewahren,
etwa als Katastrophe oder als versöhnender Schluß. -- Die weiche Seele
des Lyrikers dagegen wird, durch denselben Eindruck angeregt, entweder die
stolze Freude des Siegers oder den leidenschaftlichen Schmerz des Besiegten,
die Gefühle, welche in dieser Situation durch die Seelen der Helden zogen, im
Liebe gefühlvoll herausheben, oder er mag auch die Handlung der Unterwerfung
und Taufe in kurzen Zügen schildern, um die Stimmung, welche dies Ereigniß
erregt hat, in Metrum und Ton nachdrücklich herausklingen zu lassen. --Der dra¬
matische Dichter endlich wird sich zu solcher anregenden Situation mit Benutzung
der Geschichte eine Handlung hervorrufen. Er empfindet deutlicher als alle andern
in den Charakteren der Helden einen Grundzug, welcher sie zu verhängniß-
vollen Thun treibt, ihm wird deutlich, wie dieses Thun auf ihr Leben zurück¬
wirkt und wie aus dem Zusammenspiel des charakteristischen Wollens und der
daraus hervorgehenden Thaten sich das Verhängnis) für einen oder beide Helden
entwickelt.

Im letzten Grunde also ist das künstlerische Schaffen aller Künste ähnlich;


einer einheitlichen Linienführung und eines Grundtons auch in der Farbe. —
Der Künstler ferner von musikalischer Anlage bewahrt nicht plastische oder maleri¬
sche Bilder als Eindruck des Gelesenen, in seiner Seele klingt die Stimmung in
Tönen, er hört vielleicht den Siegesgesang der Franken, die wilde Totenklage
der Sachsen, den Ruf nach Rache, den Schrei der Angst, und alle diese Gegen¬
sätze, welche durchcinanderklingen. binden sich ihm zum Schluß in vollem CKor
und festlichem Gesänge zu dem neuen Gott, welcher jetzt über dem Sachsenvolke
mild walten soll. — Auch wieder der Dichter wird, je nachdem er episch, lyrisch,
dramatisch zu gestalte» befähigt ist. den imponirenden Stoff im Innern ver¬
schieden formen. Dem poetischen Erzähler wird sich an die gegebene Situation
vieles, was vorausging, knüpfen, er wird in einer Reihe von Situationen
den Kampf zwischen Christen und Heiden, die Feindschaft des Frankenkönigs
und des Sachsenfürsten schildern, er wird den Hofhalt beider..ihre Häuser, ihre Gefol¬
geschast, ihr Wesen im Gegensatz zu einander sich einbilden, er wird die menschlichen
Beweggründe für ihr Handeln, Glaubenseifer, Vaterlandsliebe, Stolz, Freiheits¬
sinn als groß und schön empfinden, er wird zu den reifen Männergestalten und
ihrem finstern Kampf als Ergänzungsbiider vielleicht jugendliche Helden hervor¬
rufen, einen leidenschaftlichen Krieger, ein schönes Fürstenkind und ähnliches;
er wird die ganze Fülle von Anschauungen, welche in ihm hell wird, so schauen,
wie sie sich in der Zeitfolge nach einander ordnen, und er wird jedes Einzelne,
was sie thun, als Theil erscheinen lassen einer zusammenhängenden Geschichte,
welche mit dem wirklichen Verlauf der Historie nur grade gemein hat, was ihm
sür den Zusammenhang, den er frei gefunden, passend erscheint. In der zu¬
sammengefügten Begebenheit wird jene Situation, deren Eindruck zuerst
in seine Seele siel, wahrscheinlich noch eine bedeutsame Stellung bewahren,
etwa als Katastrophe oder als versöhnender Schluß. — Die weiche Seele
des Lyrikers dagegen wird, durch denselben Eindruck angeregt, entweder die
stolze Freude des Siegers oder den leidenschaftlichen Schmerz des Besiegten,
die Gefühle, welche in dieser Situation durch die Seelen der Helden zogen, im
Liebe gefühlvoll herausheben, oder er mag auch die Handlung der Unterwerfung
und Taufe in kurzen Zügen schildern, um die Stimmung, welche dies Ereigniß
erregt hat, in Metrum und Ton nachdrücklich herausklingen zu lassen. —Der dra¬
matische Dichter endlich wird sich zu solcher anregenden Situation mit Benutzung
der Geschichte eine Handlung hervorrufen. Er empfindet deutlicher als alle andern
in den Charakteren der Helden einen Grundzug, welcher sie zu verhängniß-
vollen Thun treibt, ihm wird deutlich, wie dieses Thun auf ihr Leben zurück¬
wirkt und wie aus dem Zusammenspiel des charakteristischen Wollens und der
daraus hervorgehenden Thaten sich das Verhängnis) für einen oder beide Helden
entwickelt.

Im letzten Grunde also ist das künstlerische Schaffen aller Künste ähnlich;


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[0054] einer einheitlichen Linienführung und eines Grundtons auch in der Farbe. — Der Künstler ferner von musikalischer Anlage bewahrt nicht plastische oder maleri¬ sche Bilder als Eindruck des Gelesenen, in seiner Seele klingt die Stimmung in Tönen, er hört vielleicht den Siegesgesang der Franken, die wilde Totenklage der Sachsen, den Ruf nach Rache, den Schrei der Angst, und alle diese Gegen¬ sätze, welche durchcinanderklingen. binden sich ihm zum Schluß in vollem CKor und festlichem Gesänge zu dem neuen Gott, welcher jetzt über dem Sachsenvolke mild walten soll. — Auch wieder der Dichter wird, je nachdem er episch, lyrisch, dramatisch zu gestalte» befähigt ist. den imponirenden Stoff im Innern ver¬ schieden formen. Dem poetischen Erzähler wird sich an die gegebene Situation vieles, was vorausging, knüpfen, er wird in einer Reihe von Situationen den Kampf zwischen Christen und Heiden, die Feindschaft des Frankenkönigs und des Sachsenfürsten schildern, er wird den Hofhalt beider..ihre Häuser, ihre Gefol¬ geschast, ihr Wesen im Gegensatz zu einander sich einbilden, er wird die menschlichen Beweggründe für ihr Handeln, Glaubenseifer, Vaterlandsliebe, Stolz, Freiheits¬ sinn als groß und schön empfinden, er wird zu den reifen Männergestalten und ihrem finstern Kampf als Ergänzungsbiider vielleicht jugendliche Helden hervor¬ rufen, einen leidenschaftlichen Krieger, ein schönes Fürstenkind und ähnliches; er wird die ganze Fülle von Anschauungen, welche in ihm hell wird, so schauen, wie sie sich in der Zeitfolge nach einander ordnen, und er wird jedes Einzelne, was sie thun, als Theil erscheinen lassen einer zusammenhängenden Geschichte, welche mit dem wirklichen Verlauf der Historie nur grade gemein hat, was ihm sür den Zusammenhang, den er frei gefunden, passend erscheint. In der zu¬ sammengefügten Begebenheit wird jene Situation, deren Eindruck zuerst in seine Seele siel, wahrscheinlich noch eine bedeutsame Stellung bewahren, etwa als Katastrophe oder als versöhnender Schluß. — Die weiche Seele des Lyrikers dagegen wird, durch denselben Eindruck angeregt, entweder die stolze Freude des Siegers oder den leidenschaftlichen Schmerz des Besiegten, die Gefühle, welche in dieser Situation durch die Seelen der Helden zogen, im Liebe gefühlvoll herausheben, oder er mag auch die Handlung der Unterwerfung und Taufe in kurzen Zügen schildern, um die Stimmung, welche dies Ereigniß erregt hat, in Metrum und Ton nachdrücklich herausklingen zu lassen. —Der dra¬ matische Dichter endlich wird sich zu solcher anregenden Situation mit Benutzung der Geschichte eine Handlung hervorrufen. Er empfindet deutlicher als alle andern in den Charakteren der Helden einen Grundzug, welcher sie zu verhängniß- vollen Thun treibt, ihm wird deutlich, wie dieses Thun auf ihr Leben zurück¬ wirkt und wie aus dem Zusammenspiel des charakteristischen Wollens und der daraus hervorgehenden Thaten sich das Verhängnis) für einen oder beide Helden entwickelt. Im letzten Grunde also ist das künstlerische Schaffen aller Künste ähnlich;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/54>, abgerufen am 29.06.2024.