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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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so beginnt die Phe.nec.sie des Künstlers gern ihr holde? Amt. Der Eindruck oder
das Bild, welche in die Seele gedrungen sind, werden umgeformt je nach dem
Bedürfniß des Geistes und Gemüthes, unter dem Zwange der ursprünglichen
Stimmung; seine Farben werden glänzender, die Empfindung mächtiger, verwandte
Gefühle oder Anschauungen tauchen herauf und schließen sich an die ersten an.
Das so Gefundene wird dem Künstler je nach seiner Natur zum Gefühl, das sich
zum Gefühle fügt, zum Bild, das räumlich neben ein anderes tritt, zur Situa¬
tion, welche mit einer andern Situation durch Causalnexus verbunden ist. Wie
glänzend aber auch diese innern Bildungen in dem Künstler aufsteigen und wie
groß ihre Fülle werden mag. immer ist zweierlei Bedingung für das freie
Schaffen. Alle Einzelheiten 'werden zusammengehalten durch eine einheitliche
Grundidee und deshalb durch ein und dieselbe Grundstimmung-, und serner. wie
düster und ergreifend auch diese Ideen und Stimmungen sind, die Seele des
Künstlers waltet doch behaglich spielend darüber. Denn solch freies Schaffen ist
ihr Genuß, sie wirft weg und fügt zusammen, mit innerem Behagen. >

In dieser Weise bethätigt der Künstler sein Gemüth an jedem Stosse, er
hebt heraus, was ihm lieb ist . und prägt mit warmem Herzen aus dem geistigen
Verrath seines Lebens herein, wa-) .ihm den aufregenden ersten Eindruck zu er¬
gänzen scheint, damit dieser ein volles Leben in seiner Seele erhalte. Dies Ver¬
fahren ist in der Hauptsache bei allen Künsten dasselbe. Aber sehr verschieden
ist allerdings die Beschaffenheit der Anschauungen und innern Bilder, welche
durch einen zufälligen Eindruck in den Künstlern je nach ihrer Kunst lebendig
werden. Der Künstler z. B. liest, wie Karl der Gro^e den Wachseaherzog
Widukind zur Taufe zwingt. Hat seine Phantasie den Zug nach plastischer Ge¬
staltung, so wird er in gehobener Empfindung vielleicht dieBilderder beiden großen
Kriegsfürsten neben einander schauen in charakteristischer Stellung. Der Aus¬
druck der Köpfe, die Körperhaltung, der Faltenwurf, die Grenzlinien der Gruppe
werden ihm allmälig lebendig: was vor und nach diesem Momente liegt, ist
ihm unwesentlich: die Umgebung der Helden, die Landschaft, ja sogar die Farben
ihrer Kleidung. Waffen u. s. w. sieht er undeutlich ober gar uicht, ihm wird
die Hauptsache, wie sie im Modell sich darstellen müssen. Lange vielleicht
nuancirt seine geschäftige Phantasie Stellung, Geberde, Ausdruck, bis sein
inneres Bild der plastischen Idee entspricht, welche ihm durch die erste schö¬
pferische Stimmung theuer wurde. -- Ein Maler dagegen wird denselben Mo¬
ment weit anders fassen. Er sieht farbig, die Haufen der Sachsen und Fran-
kentneger in norddeutscher Landschaft, vor zertrümmertem Heiligthum der Heiden;
er empfindet lebhast die nach Charakter und Alter verschieden temperirten Ge-
fühle der Einzelnen, wie sich diese in den mannigfaltigsten Stellungen in Geber¬
den ausdrücken. In dem glänzendsten Licht sieht er am Vorderpunkt der Gruppen
die Hauptfiguren des Siegreichen und des Besiegten, alles unter dem Zwange


so beginnt die Phe.nec.sie des Künstlers gern ihr holde? Amt. Der Eindruck oder
das Bild, welche in die Seele gedrungen sind, werden umgeformt je nach dem
Bedürfniß des Geistes und Gemüthes, unter dem Zwange der ursprünglichen
Stimmung; seine Farben werden glänzender, die Empfindung mächtiger, verwandte
Gefühle oder Anschauungen tauchen herauf und schließen sich an die ersten an.
Das so Gefundene wird dem Künstler je nach seiner Natur zum Gefühl, das sich
zum Gefühle fügt, zum Bild, das räumlich neben ein anderes tritt, zur Situa¬
tion, welche mit einer andern Situation durch Causalnexus verbunden ist. Wie
glänzend aber auch diese innern Bildungen in dem Künstler aufsteigen und wie
groß ihre Fülle werden mag. immer ist zweierlei Bedingung für das freie
Schaffen. Alle Einzelheiten 'werden zusammengehalten durch eine einheitliche
Grundidee und deshalb durch ein und dieselbe Grundstimmung-, und serner. wie
düster und ergreifend auch diese Ideen und Stimmungen sind, die Seele des
Künstlers waltet doch behaglich spielend darüber. Denn solch freies Schaffen ist
ihr Genuß, sie wirft weg und fügt zusammen, mit innerem Behagen. >

In dieser Weise bethätigt der Künstler sein Gemüth an jedem Stosse, er
hebt heraus, was ihm lieb ist . und prägt mit warmem Herzen aus dem geistigen
Verrath seines Lebens herein, wa-) .ihm den aufregenden ersten Eindruck zu er¬
gänzen scheint, damit dieser ein volles Leben in seiner Seele erhalte. Dies Ver¬
fahren ist in der Hauptsache bei allen Künsten dasselbe. Aber sehr verschieden
ist allerdings die Beschaffenheit der Anschauungen und innern Bilder, welche
durch einen zufälligen Eindruck in den Künstlern je nach ihrer Kunst lebendig
werden. Der Künstler z. B. liest, wie Karl der Gro^e den Wachseaherzog
Widukind zur Taufe zwingt. Hat seine Phantasie den Zug nach plastischer Ge¬
staltung, so wird er in gehobener Empfindung vielleicht dieBilderder beiden großen
Kriegsfürsten neben einander schauen in charakteristischer Stellung. Der Aus¬
druck der Köpfe, die Körperhaltung, der Faltenwurf, die Grenzlinien der Gruppe
werden ihm allmälig lebendig: was vor und nach diesem Momente liegt, ist
ihm unwesentlich: die Umgebung der Helden, die Landschaft, ja sogar die Farben
ihrer Kleidung. Waffen u. s. w. sieht er undeutlich ober gar uicht, ihm wird
die Hauptsache, wie sie im Modell sich darstellen müssen. Lange vielleicht
nuancirt seine geschäftige Phantasie Stellung, Geberde, Ausdruck, bis sein
inneres Bild der plastischen Idee entspricht, welche ihm durch die erste schö¬
pferische Stimmung theuer wurde. — Ein Maler dagegen wird denselben Mo¬
ment weit anders fassen. Er sieht farbig, die Haufen der Sachsen und Fran-
kentneger in norddeutscher Landschaft, vor zertrümmertem Heiligthum der Heiden;
er empfindet lebhast die nach Charakter und Alter verschieden temperirten Ge-
fühle der Einzelnen, wie sich diese in den mannigfaltigsten Stellungen in Geber¬
den ausdrücken. In dem glänzendsten Licht sieht er am Vorderpunkt der Gruppen
die Hauptfiguren des Siegreichen und des Besiegten, alles unter dem Zwange


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/53>, abgerufen am 28.09.2024.