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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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ergänzen. Es sieht eigentlich wohl so aus, als habe das ein ornamentbildender
Goldschmied ersonnen. Genug, dieser Gedanke wurde acceptirt, und so erhielt
die Gruppe England den Leoparden, Niederland den Löwen, Preußen den
Adler, Braunschweig-Hannover das Pferd. Nur die drei ersten stehen, auch
jetzt erst im Modell, fertig; an der letzten arbeitet nach vielfachem Experimentiren,
Verwerfen und Aendern Fischer noch immer. Mit der Marmorausführung
jener, die ohne seine Schuld durch Jahrzehnte verschleppt wurde, scheint nun
endlich Ernst gemacht werden zu sollen. Sämmtliche Gruppen haben etwas
Blendendes und Bestechendes. Es ist ein Zug, ein Schwung und Feuer darin,
die wir nicht grade bei vielen berliner Arbeiten finden. Die Zusammenstellung
dieser in Mitleidenschaft versetzten Thiere mit den leidenschaftlich bewegten
menschlichen Idealgestalten giebt ihnen dazu ein ganz originelles, von dem hier
gewohnten abweichendes Gepräge. Der über der Leiche seines gefallnen Ge¬
nossen stehende, mit Schild und hochgeschwungencr Streitaxt den Angriff ab¬
wehrende Engländer, mit dem pfauchenden Panther an seiner Seite; der bärtige
Repräsentant Hollands mit Schild und Keule zwischen dem gewaltigen Löwen
und dem nackten Jünglingsknaben (Nassau), der den Pfeil vom Bogen in seiner
Hand in den Feind gesendet hat; die wie mit "dem letzten Athemzug" in stür¬
mischer Hast zur Rettung herbeieilenden Preußen, alter Krieger und junger
Schwertträger mit dem ausschreitenden Adler neben sich -- das sind Gestalten
und Gruppen, die nur einer kühnen Phantasie entspringen, nur von einer unge¬
wöhnlichen und ganz eigenartigen Künstlerkraft so herausgearbeitet werden konnten.
Was ihnen fehlt, ist die Strenge, die gründliche Solidität, die plastische Ruhe,
wie sie Rauch so sicher zu bewahren wußte. Der Effect ist immer frappant;
aber in Formen und Bewegungen ist oft genug stark chargirt; mit der natür¬
lichen Wahrheit in der Durchführung, wie mit der reinen plastischen Schönheit
ist es nicht immer genau genommen. Immer sind es geistreiche und phantasie¬
volle Decorationen, deren endliche Aufstellung Berlin zur höchst charakteristischen
Zierde gereichen wird.

Durch die Figur eines Luther (für den Grafen Schwerin-Wolfshagen in
gebranntem Thon ausgeführt); durch die silberne Votivtafel mit ihrem präch¬
tigen ornamentalen und figürlichen Schmuck, welche dem regierenden König zur
Feier der silbernen Hochzeit dargebracht wurde; ferner durch die vielbesprochne
Composition des silbernen Ehrenschildcs, den unsre Feudalen dem "Heidenkönig"
Franz dem Zweiten von Neapel stifteten, hat Fischer neue künstlerische Lebens¬
zeichen von sich gegeben während des letzten Jahrzehnts. Daß die letztere in
teressante Arbeit mehr den Humor als die durch sie wohlgerechtfertigte künst¬
lerische Anerkennung geweckt hat, ist nicht des Meisters Schuld, sondern die
der Aufgabe. Grade je vortrefflicher er den unsinnigen Stoff bearbeitet hatte,
desto mehr mußte sein Werk zu einer heitern Wirkung anregen. Denn ist es


ergänzen. Es sieht eigentlich wohl so aus, als habe das ein ornamentbildender
Goldschmied ersonnen. Genug, dieser Gedanke wurde acceptirt, und so erhielt
die Gruppe England den Leoparden, Niederland den Löwen, Preußen den
Adler, Braunschweig-Hannover das Pferd. Nur die drei ersten stehen, auch
jetzt erst im Modell, fertig; an der letzten arbeitet nach vielfachem Experimentiren,
Verwerfen und Aendern Fischer noch immer. Mit der Marmorausführung
jener, die ohne seine Schuld durch Jahrzehnte verschleppt wurde, scheint nun
endlich Ernst gemacht werden zu sollen. Sämmtliche Gruppen haben etwas
Blendendes und Bestechendes. Es ist ein Zug, ein Schwung und Feuer darin,
die wir nicht grade bei vielen berliner Arbeiten finden. Die Zusammenstellung
dieser in Mitleidenschaft versetzten Thiere mit den leidenschaftlich bewegten
menschlichen Idealgestalten giebt ihnen dazu ein ganz originelles, von dem hier
gewohnten abweichendes Gepräge. Der über der Leiche seines gefallnen Ge¬
nossen stehende, mit Schild und hochgeschwungencr Streitaxt den Angriff ab¬
wehrende Engländer, mit dem pfauchenden Panther an seiner Seite; der bärtige
Repräsentant Hollands mit Schild und Keule zwischen dem gewaltigen Löwen
und dem nackten Jünglingsknaben (Nassau), der den Pfeil vom Bogen in seiner
Hand in den Feind gesendet hat; die wie mit „dem letzten Athemzug" in stür¬
mischer Hast zur Rettung herbeieilenden Preußen, alter Krieger und junger
Schwertträger mit dem ausschreitenden Adler neben sich — das sind Gestalten
und Gruppen, die nur einer kühnen Phantasie entspringen, nur von einer unge¬
wöhnlichen und ganz eigenartigen Künstlerkraft so herausgearbeitet werden konnten.
Was ihnen fehlt, ist die Strenge, die gründliche Solidität, die plastische Ruhe,
wie sie Rauch so sicher zu bewahren wußte. Der Effect ist immer frappant;
aber in Formen und Bewegungen ist oft genug stark chargirt; mit der natür¬
lichen Wahrheit in der Durchführung, wie mit der reinen plastischen Schönheit
ist es nicht immer genau genommen. Immer sind es geistreiche und phantasie¬
volle Decorationen, deren endliche Aufstellung Berlin zur höchst charakteristischen
Zierde gereichen wird.

Durch die Figur eines Luther (für den Grafen Schwerin-Wolfshagen in
gebranntem Thon ausgeführt); durch die silberne Votivtafel mit ihrem präch¬
tigen ornamentalen und figürlichen Schmuck, welche dem regierenden König zur
Feier der silbernen Hochzeit dargebracht wurde; ferner durch die vielbesprochne
Composition des silbernen Ehrenschildcs, den unsre Feudalen dem „Heidenkönig"
Franz dem Zweiten von Neapel stifteten, hat Fischer neue künstlerische Lebens¬
zeichen von sich gegeben während des letzten Jahrzehnts. Daß die letztere in
teressante Arbeit mehr den Humor als die durch sie wohlgerechtfertigte künst¬
lerische Anerkennung geweckt hat, ist nicht des Meisters Schuld, sondern die
der Aufgabe. Grade je vortrefflicher er den unsinnigen Stoff bearbeitet hatte,
desto mehr mußte sein Werk zu einer heitern Wirkung anregen. Denn ist es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/539>, abgerufen am 01.07.2024.