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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Alles für alle umsonst.")

Früh vor Tagesanbruch und vor dem Frühstück, in der vierten und fünften,
sechsten und siebenten Stunde, nach dem Frühstück, in der zehnten, zwölften,
dritten und vierten Stunde wird den Herren Magistern in allerlei Gelehrsamkeit
zu lesen gestattet.

Mit Unterstützung von Seiten des durchlauchtigsten Fürsten Georg wird
die griechische Grammatik des Theodor Gaza erklärt werden."




So lange die Universität Leipzig katholisch blieb, kam man über dieses
halbschürige, kunterbunte Wesen nicht hinaus; es blieb beim Aufflicken neuer
Lappen auf das alte Kleid, und erst im Jahre 1642 wurde hier auf Veranlassung
des Herzogs Moritz durch Camerarius durchgreifend reformirt. Die Universität
erhält jetzt vier "Leser" der heiligen Schrift, zwei für das Alte und zwei für
das Neue Testament, von denen der erste 260, der zweite 160 Gulden Gehalt
bezieht und die beiden übrigen Präbenden zu Meißen bekommen. Außerdem
wird in der theologischen Facultät endlich eine Professur für das Hebräische
geschaffen. Die Juristen werden in ihren Einnahmen gleichfalls verbessert und
ebenso die Mediciner, bei denen ein Chirurg mit 130 Gulden Gehalt und ein
eigner Anatom angestellt wird. Die philosophische Facultät soll fortan aus
einem Leser der griechischen und lateinischen Sprache mit 300, einem Professor
für griechische Philosophie mit 160, einem Mathematiker mit 100 (später 140),
einem Moralphilosophen mit 50, einem Physikus (Naturphilosophen) mit eben¬
falls 60, einem Leser der Poetik, einem dergleichen für Rhetorik, einem zweiten
Mathematiker, sowie aus fünf andern Lehrern bestehen, von denn die Anfangs¬
gründe der Physik, der Rhetorik, der Dialektik und des Griechischen, sowie die
Grammatik vorgetragen werden.

Dies und die weitere Entwicklung dieser und andrer deutscher Universitäten
genauer zu schildern, ist nicht unsre Aufgabe. Wir hatten nur die neue Zeit
im Aufgang zu -betrachten. Es genüge daher die Bemerkung, daß es vorzüglich
Philipp Melanchthon, Ncuchlins Schüler und Vetter, war, unter dessen um¬
sichtiger und eifriger Leitung die Umgestaltung der höheren und niederen Ge¬
lehrtenschulen Deutschlands sich vollendete, Philipp Melanchthon, dem man
dafür dankbar den Ehrennamen kraeeeptor 6erlng.MÄiz gab, und der als
Gelehrter ersten Ranges in seinem Verhältniß zu Luther jene segensreiche Ver¬
bindung des Humanismus mit dem deutschen Gewissen vertritt, die zu Anfang
dieses Aufsatzes in ihrer Bedeutung für die Geschichte unsrer Universitäten
charakterisirt wurde.





") Nach Fakultätsbeschluß von 1S04.

Alles für alle umsonst.")

Früh vor Tagesanbruch und vor dem Frühstück, in der vierten und fünften,
sechsten und siebenten Stunde, nach dem Frühstück, in der zehnten, zwölften,
dritten und vierten Stunde wird den Herren Magistern in allerlei Gelehrsamkeit
zu lesen gestattet.

Mit Unterstützung von Seiten des durchlauchtigsten Fürsten Georg wird
die griechische Grammatik des Theodor Gaza erklärt werden."




So lange die Universität Leipzig katholisch blieb, kam man über dieses
halbschürige, kunterbunte Wesen nicht hinaus; es blieb beim Aufflicken neuer
Lappen auf das alte Kleid, und erst im Jahre 1642 wurde hier auf Veranlassung
des Herzogs Moritz durch Camerarius durchgreifend reformirt. Die Universität
erhält jetzt vier „Leser" der heiligen Schrift, zwei für das Alte und zwei für
das Neue Testament, von denen der erste 260, der zweite 160 Gulden Gehalt
bezieht und die beiden übrigen Präbenden zu Meißen bekommen. Außerdem
wird in der theologischen Facultät endlich eine Professur für das Hebräische
geschaffen. Die Juristen werden in ihren Einnahmen gleichfalls verbessert und
ebenso die Mediciner, bei denen ein Chirurg mit 130 Gulden Gehalt und ein
eigner Anatom angestellt wird. Die philosophische Facultät soll fortan aus
einem Leser der griechischen und lateinischen Sprache mit 300, einem Professor
für griechische Philosophie mit 160, einem Mathematiker mit 100 (später 140),
einem Moralphilosophen mit 50, einem Physikus (Naturphilosophen) mit eben¬
falls 60, einem Leser der Poetik, einem dergleichen für Rhetorik, einem zweiten
Mathematiker, sowie aus fünf andern Lehrern bestehen, von denn die Anfangs¬
gründe der Physik, der Rhetorik, der Dialektik und des Griechischen, sowie die
Grammatik vorgetragen werden.

Dies und die weitere Entwicklung dieser und andrer deutscher Universitäten
genauer zu schildern, ist nicht unsre Aufgabe. Wir hatten nur die neue Zeit
im Aufgang zu -betrachten. Es genüge daher die Bemerkung, daß es vorzüglich
Philipp Melanchthon, Ncuchlins Schüler und Vetter, war, unter dessen um¬
sichtiger und eifriger Leitung die Umgestaltung der höheren und niederen Ge¬
lehrtenschulen Deutschlands sich vollendete, Philipp Melanchthon, dem man
dafür dankbar den Ehrennamen kraeeeptor 6erlng.MÄiz gab, und der als
Gelehrter ersten Ranges in seinem Verhältniß zu Luther jene segensreiche Ver¬
bindung des Humanismus mit dem deutschen Gewissen vertritt, die zu Anfang
dieses Aufsatzes in ihrer Bedeutung für die Geschichte unsrer Universitäten
charakterisirt wurde.





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[0532] Alles für alle umsonst.") Früh vor Tagesanbruch und vor dem Frühstück, in der vierten und fünften, sechsten und siebenten Stunde, nach dem Frühstück, in der zehnten, zwölften, dritten und vierten Stunde wird den Herren Magistern in allerlei Gelehrsamkeit zu lesen gestattet. Mit Unterstützung von Seiten des durchlauchtigsten Fürsten Georg wird die griechische Grammatik des Theodor Gaza erklärt werden." So lange die Universität Leipzig katholisch blieb, kam man über dieses halbschürige, kunterbunte Wesen nicht hinaus; es blieb beim Aufflicken neuer Lappen auf das alte Kleid, und erst im Jahre 1642 wurde hier auf Veranlassung des Herzogs Moritz durch Camerarius durchgreifend reformirt. Die Universität erhält jetzt vier „Leser" der heiligen Schrift, zwei für das Alte und zwei für das Neue Testament, von denen der erste 260, der zweite 160 Gulden Gehalt bezieht und die beiden übrigen Präbenden zu Meißen bekommen. Außerdem wird in der theologischen Facultät endlich eine Professur für das Hebräische geschaffen. Die Juristen werden in ihren Einnahmen gleichfalls verbessert und ebenso die Mediciner, bei denen ein Chirurg mit 130 Gulden Gehalt und ein eigner Anatom angestellt wird. Die philosophische Facultät soll fortan aus einem Leser der griechischen und lateinischen Sprache mit 300, einem Professor für griechische Philosophie mit 160, einem Mathematiker mit 100 (später 140), einem Moralphilosophen mit 50, einem Physikus (Naturphilosophen) mit eben¬ falls 60, einem Leser der Poetik, einem dergleichen für Rhetorik, einem zweiten Mathematiker, sowie aus fünf andern Lehrern bestehen, von denn die Anfangs¬ gründe der Physik, der Rhetorik, der Dialektik und des Griechischen, sowie die Grammatik vorgetragen werden. Dies und die weitere Entwicklung dieser und andrer deutscher Universitäten genauer zu schildern, ist nicht unsre Aufgabe. Wir hatten nur die neue Zeit im Aufgang zu -betrachten. Es genüge daher die Bemerkung, daß es vorzüglich Philipp Melanchthon, Ncuchlins Schüler und Vetter, war, unter dessen um¬ sichtiger und eifriger Leitung die Umgestaltung der höheren und niederen Ge¬ lehrtenschulen Deutschlands sich vollendete, Philipp Melanchthon, dem man dafür dankbar den Ehrennamen kraeeeptor 6erlng.MÄiz gab, und der als Gelehrter ersten Ranges in seinem Verhältniß zu Luther jene segensreiche Ver¬ bindung des Humanismus mit dem deutschen Gewissen vertritt, die zu Anfang dieses Aufsatzes in ihrer Bedeutung für die Geschichte unsrer Universitäten charakterisirt wurde. ") Nach Fakultätsbeschluß von 1S04.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/532>, abgerufen am 01.07.2024.