Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

er jetzt hatte, wenn er sich Festtags in die Kirche begab." Nur mit Mühe
brachten die Herren Scotisten und Thomisten, denen ehedem die Jugend in
Masse zugeströmt war, um ihnen ihre logischen und rhetorischen Kunststücke,
ihre feinen Definitionen, ihre scharfsinnigen Einwürfe und Lösungen und ihre
bündigen Schlüsse abzulernen, in dieser Zeit des Abfalls noch ein mageres
Collegium zusammen, und wie die Ehren und Einnahmen zusammenschrumpften,
welche diese Seite ihrer Thätigkeit gewährte, so auch die, welche ihnen bisher
aus den Promotionen erwachsen waren. Es war eben nicht viel werth mehr.
Baccalaureus, Licentiat, Magister oder Doctor einer scholastischen Abrichtungs-
anstatt zu heißen. Wenigstens dachten die Zuhörer der "Poeten" so. unbe¬
kümmert, was der Herr Vater und die Frau Mutter sagen würden. wenn der
Sohn von der hohen Schule heimkehrte, ohne einen andern Grad mitzubringen
als im Kopfe den Hriräus aä Vainassum. Es war in der That eine traurige
Zeit für die bis vor Kurzem noch so selbstbewußt auf ihrem Katheder thronende
Scholastik, und nicht selten wird damals von ihr der Stoßseufzer zu hören ge-
Wesen sein: "Iltivam omnes xoetas esskirt ibi, udi pixer er<zscit!"

Da sich das Streben der Begabtesten in diesem Jahrhundert vorwiegend
auf philologische, theologische und philosophische Studien hinrichtete und daneben
das römische Recht in seiner ursprünglichen Gestalt viele Kräfte in Anspruch
nahm, so darf es nicht verwundern, daß die Reformation der Wissenschaft sich
aus andere umfangreiche Gebiete der Forschung in geringerem Maß erstreckte.
Dies gilt vor allem von den Naturwissenschaften. Die deutschen Humanisten
sprachen zwar mit andächtiger Verehrung von der Natur als der einzig wahren
Göttin gegenüber den Götzen der Scholastiker wie ihre Vorgänger in Italien;
aber es war dies doch nur eine allgemeine Schwärmerei für den Gegensatz der
Unnatur, welche das bisherige System vertreten, und man dachte dabei, wenn
überhaupt an etwas, an nichts Anderes als an das Recht der Subjectivität des
menschlichen Geistes und Gefühls. Zu tieferem Eindringen in das-Innere der
Natur in dem Sinne, in welchem sie die sinnliche Welt ist, zu wissenschaft¬
licher Erforschung und Darstellung der Kräfte, Gesetze und Erscheinungen dieser
Welt war man auch mit den Resultaten der classischen Studien nur wenig
besser vorbereitet als früher ohne diese. Der einzige Unterschied zwischen der
neuen Zeit und dem Mittelalter war in dieser Beziehung der. daß letzteres
die classischen Quellen nur zum kleinsten Theil und unrein vor sich gehabt hatt:,
während man sie jetzt zur größeren Hälfte und rein von Zuthat und Verfälschurg
vor sich hatte. Aristoteles und Ptolemcius blieben höchste Autoritäten für die
Mehrzahl. So wenig man ein edleres Muster des Stils kannte, als die Alten,
benso wenig ahnten die meisten der Humanisten, daß man die Naturerschei¬
nungen anders erklären könnte, als die alte Wissenschaft.

Allerdings gab es einzelne Gelehrte, die sich naturwissenschaftlichen Detail-


er jetzt hatte, wenn er sich Festtags in die Kirche begab." Nur mit Mühe
brachten die Herren Scotisten und Thomisten, denen ehedem die Jugend in
Masse zugeströmt war, um ihnen ihre logischen und rhetorischen Kunststücke,
ihre feinen Definitionen, ihre scharfsinnigen Einwürfe und Lösungen und ihre
bündigen Schlüsse abzulernen, in dieser Zeit des Abfalls noch ein mageres
Collegium zusammen, und wie die Ehren und Einnahmen zusammenschrumpften,
welche diese Seite ihrer Thätigkeit gewährte, so auch die, welche ihnen bisher
aus den Promotionen erwachsen waren. Es war eben nicht viel werth mehr.
Baccalaureus, Licentiat, Magister oder Doctor einer scholastischen Abrichtungs-
anstatt zu heißen. Wenigstens dachten die Zuhörer der „Poeten" so. unbe¬
kümmert, was der Herr Vater und die Frau Mutter sagen würden. wenn der
Sohn von der hohen Schule heimkehrte, ohne einen andern Grad mitzubringen
als im Kopfe den Hriräus aä Vainassum. Es war in der That eine traurige
Zeit für die bis vor Kurzem noch so selbstbewußt auf ihrem Katheder thronende
Scholastik, und nicht selten wird damals von ihr der Stoßseufzer zu hören ge-
Wesen sein: „Iltivam omnes xoetas esskirt ibi, udi pixer er<zscit!"

Da sich das Streben der Begabtesten in diesem Jahrhundert vorwiegend
auf philologische, theologische und philosophische Studien hinrichtete und daneben
das römische Recht in seiner ursprünglichen Gestalt viele Kräfte in Anspruch
nahm, so darf es nicht verwundern, daß die Reformation der Wissenschaft sich
aus andere umfangreiche Gebiete der Forschung in geringerem Maß erstreckte.
Dies gilt vor allem von den Naturwissenschaften. Die deutschen Humanisten
sprachen zwar mit andächtiger Verehrung von der Natur als der einzig wahren
Göttin gegenüber den Götzen der Scholastiker wie ihre Vorgänger in Italien;
aber es war dies doch nur eine allgemeine Schwärmerei für den Gegensatz der
Unnatur, welche das bisherige System vertreten, und man dachte dabei, wenn
überhaupt an etwas, an nichts Anderes als an das Recht der Subjectivität des
menschlichen Geistes und Gefühls. Zu tieferem Eindringen in das-Innere der
Natur in dem Sinne, in welchem sie die sinnliche Welt ist, zu wissenschaft¬
licher Erforschung und Darstellung der Kräfte, Gesetze und Erscheinungen dieser
Welt war man auch mit den Resultaten der classischen Studien nur wenig
besser vorbereitet als früher ohne diese. Der einzige Unterschied zwischen der
neuen Zeit und dem Mittelalter war in dieser Beziehung der. daß letzteres
die classischen Quellen nur zum kleinsten Theil und unrein vor sich gehabt hatt:,
während man sie jetzt zur größeren Hälfte und rein von Zuthat und Verfälschurg
vor sich hatte. Aristoteles und Ptolemcius blieben höchste Autoritäten für die
Mehrzahl. So wenig man ein edleres Muster des Stils kannte, als die Alten,
benso wenig ahnten die meisten der Humanisten, daß man die Naturerschei¬
nungen anders erklären könnte, als die alte Wissenschaft.

Allerdings gab es einzelne Gelehrte, die sich naturwissenschaftlichen Detail-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284992"/>
          <p xml:id="ID_1680" prev="#ID_1679"> er jetzt hatte, wenn er sich Festtags in die Kirche begab." Nur mit Mühe<lb/>
brachten die Herren Scotisten und Thomisten, denen ehedem die Jugend in<lb/>
Masse zugeströmt war, um ihnen ihre logischen und rhetorischen Kunststücke,<lb/>
ihre feinen Definitionen, ihre scharfsinnigen Einwürfe und Lösungen und ihre<lb/>
bündigen Schlüsse abzulernen, in dieser Zeit des Abfalls noch ein mageres<lb/>
Collegium zusammen, und wie die Ehren und Einnahmen zusammenschrumpften,<lb/>
welche diese Seite ihrer Thätigkeit gewährte, so auch die, welche ihnen bisher<lb/>
aus den Promotionen erwachsen waren. Es war eben nicht viel werth mehr.<lb/>
Baccalaureus, Licentiat, Magister oder Doctor einer scholastischen Abrichtungs-<lb/>
anstatt zu heißen. Wenigstens dachten die Zuhörer der &#x201E;Poeten" so. unbe¬<lb/>
kümmert, was der Herr Vater und die Frau Mutter sagen würden. wenn der<lb/>
Sohn von der hohen Schule heimkehrte, ohne einen andern Grad mitzubringen<lb/>
als im Kopfe den Hriräus aä Vainassum. Es war in der That eine traurige<lb/>
Zeit für die bis vor Kurzem noch so selbstbewußt auf ihrem Katheder thronende<lb/>
Scholastik, und nicht selten wird damals von ihr der Stoßseufzer zu hören ge-<lb/>
Wesen sein: &#x201E;Iltivam omnes xoetas esskirt ibi, udi pixer er&lt;zscit!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1681"> Da sich das Streben der Begabtesten in diesem Jahrhundert vorwiegend<lb/>
auf philologische, theologische und philosophische Studien hinrichtete und daneben<lb/>
das römische Recht in seiner ursprünglichen Gestalt viele Kräfte in Anspruch<lb/>
nahm, so darf es nicht verwundern, daß die Reformation der Wissenschaft sich<lb/>
aus andere umfangreiche Gebiete der Forschung in geringerem Maß erstreckte.<lb/>
Dies gilt vor allem von den Naturwissenschaften. Die deutschen Humanisten<lb/>
sprachen zwar mit andächtiger Verehrung von der Natur als der einzig wahren<lb/>
Göttin gegenüber den Götzen der Scholastiker wie ihre Vorgänger in Italien;<lb/>
aber es war dies doch nur eine allgemeine Schwärmerei für den Gegensatz der<lb/>
Unnatur, welche das bisherige System vertreten, und man dachte dabei, wenn<lb/>
überhaupt an etwas, an nichts Anderes als an das Recht der Subjectivität des<lb/>
menschlichen Geistes und Gefühls. Zu tieferem Eindringen in das-Innere der<lb/>
Natur in dem Sinne, in welchem sie die sinnliche Welt ist, zu wissenschaft¬<lb/>
licher Erforschung und Darstellung der Kräfte, Gesetze und Erscheinungen dieser<lb/>
Welt war man auch mit den Resultaten der classischen Studien nur wenig<lb/>
besser vorbereitet als früher ohne diese. Der einzige Unterschied zwischen der<lb/>
neuen Zeit und dem Mittelalter war in dieser Beziehung der. daß letzteres<lb/>
die classischen Quellen nur zum kleinsten Theil und unrein vor sich gehabt hatt:,<lb/>
während man sie jetzt zur größeren Hälfte und rein von Zuthat und Verfälschurg<lb/>
vor sich hatte. Aristoteles und Ptolemcius blieben höchste Autoritäten für die<lb/>
Mehrzahl. So wenig man ein edleres Muster des Stils kannte, als die Alten,<lb/>
benso wenig ahnten die meisten der Humanisten, daß man die Naturerschei¬<lb/>
nungen anders erklären könnte, als die alte Wissenschaft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1682" next="#ID_1683"> Allerdings gab es einzelne Gelehrte, die sich naturwissenschaftlichen Detail-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] er jetzt hatte, wenn er sich Festtags in die Kirche begab." Nur mit Mühe brachten die Herren Scotisten und Thomisten, denen ehedem die Jugend in Masse zugeströmt war, um ihnen ihre logischen und rhetorischen Kunststücke, ihre feinen Definitionen, ihre scharfsinnigen Einwürfe und Lösungen und ihre bündigen Schlüsse abzulernen, in dieser Zeit des Abfalls noch ein mageres Collegium zusammen, und wie die Ehren und Einnahmen zusammenschrumpften, welche diese Seite ihrer Thätigkeit gewährte, so auch die, welche ihnen bisher aus den Promotionen erwachsen waren. Es war eben nicht viel werth mehr. Baccalaureus, Licentiat, Magister oder Doctor einer scholastischen Abrichtungs- anstatt zu heißen. Wenigstens dachten die Zuhörer der „Poeten" so. unbe¬ kümmert, was der Herr Vater und die Frau Mutter sagen würden. wenn der Sohn von der hohen Schule heimkehrte, ohne einen andern Grad mitzubringen als im Kopfe den Hriräus aä Vainassum. Es war in der That eine traurige Zeit für die bis vor Kurzem noch so selbstbewußt auf ihrem Katheder thronende Scholastik, und nicht selten wird damals von ihr der Stoßseufzer zu hören ge- Wesen sein: „Iltivam omnes xoetas esskirt ibi, udi pixer er<zscit!" Da sich das Streben der Begabtesten in diesem Jahrhundert vorwiegend auf philologische, theologische und philosophische Studien hinrichtete und daneben das römische Recht in seiner ursprünglichen Gestalt viele Kräfte in Anspruch nahm, so darf es nicht verwundern, daß die Reformation der Wissenschaft sich aus andere umfangreiche Gebiete der Forschung in geringerem Maß erstreckte. Dies gilt vor allem von den Naturwissenschaften. Die deutschen Humanisten sprachen zwar mit andächtiger Verehrung von der Natur als der einzig wahren Göttin gegenüber den Götzen der Scholastiker wie ihre Vorgänger in Italien; aber es war dies doch nur eine allgemeine Schwärmerei für den Gegensatz der Unnatur, welche das bisherige System vertreten, und man dachte dabei, wenn überhaupt an etwas, an nichts Anderes als an das Recht der Subjectivität des menschlichen Geistes und Gefühls. Zu tieferem Eindringen in das-Innere der Natur in dem Sinne, in welchem sie die sinnliche Welt ist, zu wissenschaft¬ licher Erforschung und Darstellung der Kräfte, Gesetze und Erscheinungen dieser Welt war man auch mit den Resultaten der classischen Studien nur wenig besser vorbereitet als früher ohne diese. Der einzige Unterschied zwischen der neuen Zeit und dem Mittelalter war in dieser Beziehung der. daß letzteres die classischen Quellen nur zum kleinsten Theil und unrein vor sich gehabt hatt:, während man sie jetzt zur größeren Hälfte und rein von Zuthat und Verfälschurg vor sich hatte. Aristoteles und Ptolemcius blieben höchste Autoritäten für die Mehrzahl. So wenig man ein edleres Muster des Stils kannte, als die Alten, benso wenig ahnten die meisten der Humanisten, daß man die Naturerschei¬ nungen anders erklären könnte, als die alte Wissenschaft. Allerdings gab es einzelne Gelehrte, die sich naturwissenschaftlichen Detail-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/522>, abgerufen am 01.07.2024.