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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Doctor. der diese Weisheit an der löwener Universität eingesogen hat? Je nun,
antwortet er sich, wer auf zehn hohen Schulen immatriculirt ist, der kann von
sich behaupten: ich bin Glieder von zehn Universitäten, wobei die Jncongruenz
des numerus ganz ebenso wenig schadet, wie da, wo Virgil den Alexis als
Äelieias seines Herrn preist.

An nichts also übte man hier seinen Scharfsinn, von dem, was die
neue Wissenschaft an den Tag gebracht, hatte man höchst unklare, oft komische
Vorstellungen. Schwerlich übertreiben die Verfasser der Briefe der Dunkelmänner
sehr, wenn sie die letzteren den Gelehrtennamen Neuchlins, Kapnion, aus dem
Hebräischen ableiten und den Grammatiker Diomedes mit dem Helden der Ilias
verwechseln lassen, oder wenn in der Meinung ihrer Briefsteller Mercurius der,
welcher mereatoröL curat, und der Titel Magister aus magis und ter zu¬
sammengesetzt ist, weil der Besitzer desselben dreimal mehr wissen muß als ge¬
wöhnliche Christenmenschen. Gewiß ist mindestens, daß viele von den Anhängern
des alten scholastischen Schlendrians ihre Abneigung gegen die Erlernung des
Griechischen und Hebräischen damit zu begründen versuchten, daß die Bibel schon
genügend übersetzt sei, oder daß man die ungläubigen Juden und schismatischen
Griechen nicht dadurch stolz machen dürfe, daß man sich ihre Sprachen aneigne.
Und gar nicht unscholastisch klingt es, wenn die Obscuranten, welche die Satire
uns zeichnet, die Frage, ob es zur Seligkeit nothwendig sei, die lateinische
Grammatik aus weltlichen "Dichtern wie Virgil, Plinius und Cicero" zu lernen,
darauf hin verneinen, daß Aristoteles sage, die Dichter seien starke Lügner; denn
wer lüge, der sündige, und wer sein Studium auf Lügen gründe, der vasire
es auf Sünden, was aber auf Sünden beruhe, das sei nicht gut, sondern
wider Gott u. s. w.

Zuletzt hatten die alten Magister an den Universitäten aller Wahrschein¬
lichkeit nach eine ziemliche traurige Existenz. Zwar gelang es ihnen noch oft
genug, solche fünfte Räder an ihrem Karren, wie Nhagius eins gewesen, loszu¬
werden, aber für einen der Störenfriede, den sie aus der Corporation stießen,
setzten sich neben und um dieselbe in der betreffenden Stadt Dutzende hin, und
wie dick auch die Haut war, .die scharfen Pfeile der "Poeten" gingen endlich
meh dem Elephanten ans Leben.

Die Universitäten, namentlich deren philosophische Facultciten, sahen, wo
sie der neuen Lehre feindlich blieben, die Zahl ihrer Scholaren schwinden und
dagegen freie Schulen aufblühen ohne ein anderes Privilegium als das, welches
ihnen die geistige Überlegenheit ihrer Lehrer verliehen. Sie sahen Wittenberg
sis mit Studenten füllen, als Melanchthon, der spätere Hauptvertreter der
eltssischcn Studien, dort seine Wirksamkeit begonnen. In ihren Hörsälen da-
gezen leerten sich von Semester zu Semester die Bänke mehr. "Früher hatte
eir Magister, der zum Bader ging, mehr junge Leute hinter sich gehabt, als


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Doctor. der diese Weisheit an der löwener Universität eingesogen hat? Je nun,
antwortet er sich, wer auf zehn hohen Schulen immatriculirt ist, der kann von
sich behaupten: ich bin Glieder von zehn Universitäten, wobei die Jncongruenz
des numerus ganz ebenso wenig schadet, wie da, wo Virgil den Alexis als
Äelieias seines Herrn preist.

An nichts also übte man hier seinen Scharfsinn, von dem, was die
neue Wissenschaft an den Tag gebracht, hatte man höchst unklare, oft komische
Vorstellungen. Schwerlich übertreiben die Verfasser der Briefe der Dunkelmänner
sehr, wenn sie die letzteren den Gelehrtennamen Neuchlins, Kapnion, aus dem
Hebräischen ableiten und den Grammatiker Diomedes mit dem Helden der Ilias
verwechseln lassen, oder wenn in der Meinung ihrer Briefsteller Mercurius der,
welcher mereatoröL curat, und der Titel Magister aus magis und ter zu¬
sammengesetzt ist, weil der Besitzer desselben dreimal mehr wissen muß als ge¬
wöhnliche Christenmenschen. Gewiß ist mindestens, daß viele von den Anhängern
des alten scholastischen Schlendrians ihre Abneigung gegen die Erlernung des
Griechischen und Hebräischen damit zu begründen versuchten, daß die Bibel schon
genügend übersetzt sei, oder daß man die ungläubigen Juden und schismatischen
Griechen nicht dadurch stolz machen dürfe, daß man sich ihre Sprachen aneigne.
Und gar nicht unscholastisch klingt es, wenn die Obscuranten, welche die Satire
uns zeichnet, die Frage, ob es zur Seligkeit nothwendig sei, die lateinische
Grammatik aus weltlichen „Dichtern wie Virgil, Plinius und Cicero" zu lernen,
darauf hin verneinen, daß Aristoteles sage, die Dichter seien starke Lügner; denn
wer lüge, der sündige, und wer sein Studium auf Lügen gründe, der vasire
es auf Sünden, was aber auf Sünden beruhe, das sei nicht gut, sondern
wider Gott u. s. w.

Zuletzt hatten die alten Magister an den Universitäten aller Wahrschein¬
lichkeit nach eine ziemliche traurige Existenz. Zwar gelang es ihnen noch oft
genug, solche fünfte Räder an ihrem Karren, wie Nhagius eins gewesen, loszu¬
werden, aber für einen der Störenfriede, den sie aus der Corporation stießen,
setzten sich neben und um dieselbe in der betreffenden Stadt Dutzende hin, und
wie dick auch die Haut war, .die scharfen Pfeile der „Poeten" gingen endlich
meh dem Elephanten ans Leben.

Die Universitäten, namentlich deren philosophische Facultciten, sahen, wo
sie der neuen Lehre feindlich blieben, die Zahl ihrer Scholaren schwinden und
dagegen freie Schulen aufblühen ohne ein anderes Privilegium als das, welches
ihnen die geistige Überlegenheit ihrer Lehrer verliehen. Sie sahen Wittenberg
sis mit Studenten füllen, als Melanchthon, der spätere Hauptvertreter der
eltssischcn Studien, dort seine Wirksamkeit begonnen. In ihren Hörsälen da-
gezen leerten sich von Semester zu Semester die Bänke mehr. „Früher hatte
eir Magister, der zum Bader ging, mehr junge Leute hinter sich gehabt, als


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[0521] Doctor. der diese Weisheit an der löwener Universität eingesogen hat? Je nun, antwortet er sich, wer auf zehn hohen Schulen immatriculirt ist, der kann von sich behaupten: ich bin Glieder von zehn Universitäten, wobei die Jncongruenz des numerus ganz ebenso wenig schadet, wie da, wo Virgil den Alexis als Äelieias seines Herrn preist. An nichts also übte man hier seinen Scharfsinn, von dem, was die neue Wissenschaft an den Tag gebracht, hatte man höchst unklare, oft komische Vorstellungen. Schwerlich übertreiben die Verfasser der Briefe der Dunkelmänner sehr, wenn sie die letzteren den Gelehrtennamen Neuchlins, Kapnion, aus dem Hebräischen ableiten und den Grammatiker Diomedes mit dem Helden der Ilias verwechseln lassen, oder wenn in der Meinung ihrer Briefsteller Mercurius der, welcher mereatoröL curat, und der Titel Magister aus magis und ter zu¬ sammengesetzt ist, weil der Besitzer desselben dreimal mehr wissen muß als ge¬ wöhnliche Christenmenschen. Gewiß ist mindestens, daß viele von den Anhängern des alten scholastischen Schlendrians ihre Abneigung gegen die Erlernung des Griechischen und Hebräischen damit zu begründen versuchten, daß die Bibel schon genügend übersetzt sei, oder daß man die ungläubigen Juden und schismatischen Griechen nicht dadurch stolz machen dürfe, daß man sich ihre Sprachen aneigne. Und gar nicht unscholastisch klingt es, wenn die Obscuranten, welche die Satire uns zeichnet, die Frage, ob es zur Seligkeit nothwendig sei, die lateinische Grammatik aus weltlichen „Dichtern wie Virgil, Plinius und Cicero" zu lernen, darauf hin verneinen, daß Aristoteles sage, die Dichter seien starke Lügner; denn wer lüge, der sündige, und wer sein Studium auf Lügen gründe, der vasire es auf Sünden, was aber auf Sünden beruhe, das sei nicht gut, sondern wider Gott u. s. w. Zuletzt hatten die alten Magister an den Universitäten aller Wahrschein¬ lichkeit nach eine ziemliche traurige Existenz. Zwar gelang es ihnen noch oft genug, solche fünfte Räder an ihrem Karren, wie Nhagius eins gewesen, loszu¬ werden, aber für einen der Störenfriede, den sie aus der Corporation stießen, setzten sich neben und um dieselbe in der betreffenden Stadt Dutzende hin, und wie dick auch die Haut war, .die scharfen Pfeile der „Poeten" gingen endlich meh dem Elephanten ans Leben. Die Universitäten, namentlich deren philosophische Facultciten, sahen, wo sie der neuen Lehre feindlich blieben, die Zahl ihrer Scholaren schwinden und dagegen freie Schulen aufblühen ohne ein anderes Privilegium als das, welches ihnen die geistige Überlegenheit ihrer Lehrer verliehen. Sie sahen Wittenberg sis mit Studenten füllen, als Melanchthon, der spätere Hauptvertreter der eltssischcn Studien, dort seine Wirksamkeit begonnen. In ihren Hörsälen da- gezen leerten sich von Semester zu Semester die Bänke mehr. „Früher hatte eir Magister, der zum Bader ging, mehr junge Leute hinter sich gehabt, als 62*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/521>, abgerufen am 01.07.2024.