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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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erst an der wiener Universität, dann in Ungarn bei Matthias Corvinus, zu¬
letzt in Nürnberg, dem damaligen Centralpunkte der mechanischen Künste und
des exacten Wissens, hochverdient machte. Ebenfalls meist in Wien war der
zu dieser Zeit in Diensten Kaiser Friedrich des Vierten stehende gelehrte Italiener
Aeneas Silvius Piccolomini. der später als Pius der Zweite den pästlicben
Stuhl bestieg, für Förderung der classischen Studien thätig. Zugleich für diese
und die in den Niederlanden aufgekommene religiös-moralische Richtung wirkte
an verschiedenen deutschen Hochschulen, z. B. in Köln und Heidelberg, der
Holländer Johann Wessel. Von besondrer Wichtigkeit endlich war, daß sich im
letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts in Heidelberg unter dem Schutze
des Kanzlers und Bischofs v. Dalberg nach dem Muster der freien Akademien
Italiens neben der Universität die rheinische Gesellschaft bildete, ein
Verein von Humanisten, welcher eine Zeit lang von höchstem Einfluß auf den
regsameren Theil der deutschen Gelehrtenwelt war und gegen das Ende dieses
SäculumS die glänzendsten Namen derselben in seinen Reihen sah. Mitglieder
dieses Bundes erleuchteter und eifriger Männer waren unter andern der Abt
Tritheim in Würzburg, der nürnberger Patrizier Wilibald Pirkheimer, der
große Pädagog und Handschriftensammler Rudolf Agricola, der gekrönte Poet
Konrad Celtes und -- der Vornehmste in dem ganzen Kreise -- der Schwabe
Johann Reuchlin.

Neben den Heidelbergern verfolgten in diesen letzten Jahrzehnten des Mittel¬
alters im Norden der Alpen eine beträchtliche Anzahl geistvoller Köpfe und un¬
ermüdlicher Arbeiter gleiche Zwecke mit wachsendem Erfolg, vor allen Erasmus
von Rotterdam, an Feingefühl, Scharfsinn und Gelehrsamkeit Reuchlin eben¬
bürtig, sonst mit seiner ironischen Weise von dessen Idealismus weit entfernt,
der treffliche Schulmann Wimpfeling, einer der Ersten, die durch neue Lehr¬
bücher den Jugendunterricht umgestalten halfen. Alexander Hegius in Deventer,
der eine ganze Reihe andrer tüchtiger Lehrkräfte ausbildete, und der Dichter
Heinrich Bebel in Tübingen. Allmälig gesellte sich diesen ältesten Humanisten eine
wohlausgebildeie und eifrig strebende Schaar jüngerer Kräfte zu, und bald war
die deutsche Schule derer, welche mit dem Stil, dem Geschmack und der Denk-
art, die sie aus den Alten geschöpft, der mittelalterlichen Gelehrsamkeit das
Feld streitig machten, der italienischen Schule nicht nur an Gründlichkeit voll¬
kommen gleich, sondern auch nahezu nach der Zahl ihrer Lehrer und Schüler.

Mächtig förderte die inzwischen erfundene Buchdruckerkunst, indem sie
die Schriften der neuen Wissenschaft, die Ausgaben der Classiker, die Ueber-
setzungen aus dem Griechischen, die Schulbücher, welche jetzt in Menge verfaßt
wurden, rasch verbreitete und wohlfeil haben ließ. Auch das unstete Wesen,
welches die meisten von den Männern der neuen Richtung charakterisirt, trug
Viel dazu bei, dieselbe schnell überall wenigstens bekannt werden zu lassen.


erst an der wiener Universität, dann in Ungarn bei Matthias Corvinus, zu¬
letzt in Nürnberg, dem damaligen Centralpunkte der mechanischen Künste und
des exacten Wissens, hochverdient machte. Ebenfalls meist in Wien war der
zu dieser Zeit in Diensten Kaiser Friedrich des Vierten stehende gelehrte Italiener
Aeneas Silvius Piccolomini. der später als Pius der Zweite den pästlicben
Stuhl bestieg, für Förderung der classischen Studien thätig. Zugleich für diese
und die in den Niederlanden aufgekommene religiös-moralische Richtung wirkte
an verschiedenen deutschen Hochschulen, z. B. in Köln und Heidelberg, der
Holländer Johann Wessel. Von besondrer Wichtigkeit endlich war, daß sich im
letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts in Heidelberg unter dem Schutze
des Kanzlers und Bischofs v. Dalberg nach dem Muster der freien Akademien
Italiens neben der Universität die rheinische Gesellschaft bildete, ein
Verein von Humanisten, welcher eine Zeit lang von höchstem Einfluß auf den
regsameren Theil der deutschen Gelehrtenwelt war und gegen das Ende dieses
SäculumS die glänzendsten Namen derselben in seinen Reihen sah. Mitglieder
dieses Bundes erleuchteter und eifriger Männer waren unter andern der Abt
Tritheim in Würzburg, der nürnberger Patrizier Wilibald Pirkheimer, der
große Pädagog und Handschriftensammler Rudolf Agricola, der gekrönte Poet
Konrad Celtes und — der Vornehmste in dem ganzen Kreise — der Schwabe
Johann Reuchlin.

Neben den Heidelbergern verfolgten in diesen letzten Jahrzehnten des Mittel¬
alters im Norden der Alpen eine beträchtliche Anzahl geistvoller Köpfe und un¬
ermüdlicher Arbeiter gleiche Zwecke mit wachsendem Erfolg, vor allen Erasmus
von Rotterdam, an Feingefühl, Scharfsinn und Gelehrsamkeit Reuchlin eben¬
bürtig, sonst mit seiner ironischen Weise von dessen Idealismus weit entfernt,
der treffliche Schulmann Wimpfeling, einer der Ersten, die durch neue Lehr¬
bücher den Jugendunterricht umgestalten halfen. Alexander Hegius in Deventer,
der eine ganze Reihe andrer tüchtiger Lehrkräfte ausbildete, und der Dichter
Heinrich Bebel in Tübingen. Allmälig gesellte sich diesen ältesten Humanisten eine
wohlausgebildeie und eifrig strebende Schaar jüngerer Kräfte zu, und bald war
die deutsche Schule derer, welche mit dem Stil, dem Geschmack und der Denk-
art, die sie aus den Alten geschöpft, der mittelalterlichen Gelehrsamkeit das
Feld streitig machten, der italienischen Schule nicht nur an Gründlichkeit voll¬
kommen gleich, sondern auch nahezu nach der Zahl ihrer Lehrer und Schüler.

Mächtig förderte die inzwischen erfundene Buchdruckerkunst, indem sie
die Schriften der neuen Wissenschaft, die Ausgaben der Classiker, die Ueber-
setzungen aus dem Griechischen, die Schulbücher, welche jetzt in Menge verfaßt
wurden, rasch verbreitete und wohlfeil haben ließ. Auch das unstete Wesen,
welches die meisten von den Männern der neuen Richtung charakterisirt, trug
Viel dazu bei, dieselbe schnell überall wenigstens bekannt werden zu lassen.


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[0514] erst an der wiener Universität, dann in Ungarn bei Matthias Corvinus, zu¬ letzt in Nürnberg, dem damaligen Centralpunkte der mechanischen Künste und des exacten Wissens, hochverdient machte. Ebenfalls meist in Wien war der zu dieser Zeit in Diensten Kaiser Friedrich des Vierten stehende gelehrte Italiener Aeneas Silvius Piccolomini. der später als Pius der Zweite den pästlicben Stuhl bestieg, für Förderung der classischen Studien thätig. Zugleich für diese und die in den Niederlanden aufgekommene religiös-moralische Richtung wirkte an verschiedenen deutschen Hochschulen, z. B. in Köln und Heidelberg, der Holländer Johann Wessel. Von besondrer Wichtigkeit endlich war, daß sich im letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts in Heidelberg unter dem Schutze des Kanzlers und Bischofs v. Dalberg nach dem Muster der freien Akademien Italiens neben der Universität die rheinische Gesellschaft bildete, ein Verein von Humanisten, welcher eine Zeit lang von höchstem Einfluß auf den regsameren Theil der deutschen Gelehrtenwelt war und gegen das Ende dieses SäculumS die glänzendsten Namen derselben in seinen Reihen sah. Mitglieder dieses Bundes erleuchteter und eifriger Männer waren unter andern der Abt Tritheim in Würzburg, der nürnberger Patrizier Wilibald Pirkheimer, der große Pädagog und Handschriftensammler Rudolf Agricola, der gekrönte Poet Konrad Celtes und — der Vornehmste in dem ganzen Kreise — der Schwabe Johann Reuchlin. Neben den Heidelbergern verfolgten in diesen letzten Jahrzehnten des Mittel¬ alters im Norden der Alpen eine beträchtliche Anzahl geistvoller Köpfe und un¬ ermüdlicher Arbeiter gleiche Zwecke mit wachsendem Erfolg, vor allen Erasmus von Rotterdam, an Feingefühl, Scharfsinn und Gelehrsamkeit Reuchlin eben¬ bürtig, sonst mit seiner ironischen Weise von dessen Idealismus weit entfernt, der treffliche Schulmann Wimpfeling, einer der Ersten, die durch neue Lehr¬ bücher den Jugendunterricht umgestalten halfen. Alexander Hegius in Deventer, der eine ganze Reihe andrer tüchtiger Lehrkräfte ausbildete, und der Dichter Heinrich Bebel in Tübingen. Allmälig gesellte sich diesen ältesten Humanisten eine wohlausgebildeie und eifrig strebende Schaar jüngerer Kräfte zu, und bald war die deutsche Schule derer, welche mit dem Stil, dem Geschmack und der Denk- art, die sie aus den Alten geschöpft, der mittelalterlichen Gelehrsamkeit das Feld streitig machten, der italienischen Schule nicht nur an Gründlichkeit voll¬ kommen gleich, sondern auch nahezu nach der Zahl ihrer Lehrer und Schüler. Mächtig förderte die inzwischen erfundene Buchdruckerkunst, indem sie die Schriften der neuen Wissenschaft, die Ausgaben der Classiker, die Ueber- setzungen aus dem Griechischen, die Schulbücher, welche jetzt in Menge verfaßt wurden, rasch verbreitete und wohlfeil haben ließ. Auch das unstete Wesen, welches die meisten von den Männern der neuen Richtung charakterisirt, trug Viel dazu bei, dieselbe schnell überall wenigstens bekannt werden zu lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/514>, abgerufen am 01.07.2024.