Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unwiderstehlich, selbst für einen großen Theil der höheren italienischen Geistlich¬
keit, und als nach dem Fall des oströmischen Kaiserthrons jenen einzelnen
Lehrern griechischer Bildung ein ganzer Exodus gelehrter Griechen folgte, und
diese Bildung nun nicht mehr Eigenthum verhältnißmäßig Weniger blieb, sondern
Gemeingut der studirenden Welt Italiens wurde, gehörte es bald zum guten
Ton. mit Geringschätzung von dem Treiben der Lehrer und Unterrichtsanstalten
zu sprechen, welche das neue Licht noch nicht anerkannt hatten.

Schon um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts verband der gebildete
Italiener mit dem Namen der Scholastik ungefähr dieselbe Vorstellung, die wir
heutzutage bei einem Vergleich unsrer Wissenschaft mit der des Mittelalters
hegen. Nur Wenige, meist Mönche, traten damals noch für das täglich tiefer
versinkende Alte und gegen die vorzüglich in Florenz und Mailand blühenden
Humanisten in die Schranken. Aber wo sie am ersten auf Anerkennung und
Unterstützung hätten rechnen dürfen, am päpstlichen Hofe, fanden sie nicht nur
keine Hilfe, sondern schlechtverhehlte Mißachtung, ja offne Verwerfung ihrer
Opposition. Statthalter Christi, wie Pius der Zweite und Alexander der
Sechste hielten es nicht nur nicht für einen Raub, sondern für eine hohe Ehre,
Kenner der classischen Literatur und eifrige Gönner und Beschützer der Gelehrten
zu sein, welche mit diesem Material an der Stelle des düstern Doms der
Scholastik den lichten Marmortempel einer neuen, durchaus unchristlichen Welt¬
anschauung zu errichten bestrebt waren. Die Päpstin Johanna ist Fabel; daß
Heiden auf dem Stuhl Petri gesessen in den Jahrzehnten kurz vor und während
der Reformation, und zwar erklärte Heiden, ist bekannte Thatsache.

Deutschland nahm an dieser großen Bewegung der Geister erst im zweiten
Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts theil, und da nur durch einzelne Männer.
Die Universitäten, blieben derselben noch länger als ein Menschenalter fern.
Dann aber begann auch hier der Kampf mit Macht, der allmälig die Scholastik
verdrängte und in Deutschland zugleich Wissenschaft und Leben aus den Ketten
der alten Kirchengewalt befreite.

Der erste Deutsche, welcher im Geiste der italienischen Humanisten auftrat,
war Nicolaus Cusanus, 1401 geboren, in Italien mit den Schriften des
echten Aristoteles und mit Petrarca bekannt geworden, dabei ein im römischen
Recht und in Mathematik und Geographie wohlbewanderter Mann und bis zu
seiner Ernennung zum Bischof von Vrixen ein ebenso geschickter als unerschrockner
Kritiker der Erdichtungen, aus Grund deren die Päpste fürstliche Rechte bean¬
spruchten. Nicht weniger bedeutend war Johann Müller, von seiner Vater¬
stadt Königsberg gewöhnlich Regiomontanus genannt, welcher, von Cardinal
Bessarion mit nach Italien genommen, bei seiner Rückkehr das Studium der
alten Literatur und mit gleichem Eifer das der realen und praktischen Wissen¬
schaften, vorzüglich der Mathematik und Astronomie, verbreitete, um die er sich


61*

unwiderstehlich, selbst für einen großen Theil der höheren italienischen Geistlich¬
keit, und als nach dem Fall des oströmischen Kaiserthrons jenen einzelnen
Lehrern griechischer Bildung ein ganzer Exodus gelehrter Griechen folgte, und
diese Bildung nun nicht mehr Eigenthum verhältnißmäßig Weniger blieb, sondern
Gemeingut der studirenden Welt Italiens wurde, gehörte es bald zum guten
Ton. mit Geringschätzung von dem Treiben der Lehrer und Unterrichtsanstalten
zu sprechen, welche das neue Licht noch nicht anerkannt hatten.

Schon um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts verband der gebildete
Italiener mit dem Namen der Scholastik ungefähr dieselbe Vorstellung, die wir
heutzutage bei einem Vergleich unsrer Wissenschaft mit der des Mittelalters
hegen. Nur Wenige, meist Mönche, traten damals noch für das täglich tiefer
versinkende Alte und gegen die vorzüglich in Florenz und Mailand blühenden
Humanisten in die Schranken. Aber wo sie am ersten auf Anerkennung und
Unterstützung hätten rechnen dürfen, am päpstlichen Hofe, fanden sie nicht nur
keine Hilfe, sondern schlechtverhehlte Mißachtung, ja offne Verwerfung ihrer
Opposition. Statthalter Christi, wie Pius der Zweite und Alexander der
Sechste hielten es nicht nur nicht für einen Raub, sondern für eine hohe Ehre,
Kenner der classischen Literatur und eifrige Gönner und Beschützer der Gelehrten
zu sein, welche mit diesem Material an der Stelle des düstern Doms der
Scholastik den lichten Marmortempel einer neuen, durchaus unchristlichen Welt¬
anschauung zu errichten bestrebt waren. Die Päpstin Johanna ist Fabel; daß
Heiden auf dem Stuhl Petri gesessen in den Jahrzehnten kurz vor und während
der Reformation, und zwar erklärte Heiden, ist bekannte Thatsache.

Deutschland nahm an dieser großen Bewegung der Geister erst im zweiten
Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts theil, und da nur durch einzelne Männer.
Die Universitäten, blieben derselben noch länger als ein Menschenalter fern.
Dann aber begann auch hier der Kampf mit Macht, der allmälig die Scholastik
verdrängte und in Deutschland zugleich Wissenschaft und Leben aus den Ketten
der alten Kirchengewalt befreite.

Der erste Deutsche, welcher im Geiste der italienischen Humanisten auftrat,
war Nicolaus Cusanus, 1401 geboren, in Italien mit den Schriften des
echten Aristoteles und mit Petrarca bekannt geworden, dabei ein im römischen
Recht und in Mathematik und Geographie wohlbewanderter Mann und bis zu
seiner Ernennung zum Bischof von Vrixen ein ebenso geschickter als unerschrockner
Kritiker der Erdichtungen, aus Grund deren die Päpste fürstliche Rechte bean¬
spruchten. Nicht weniger bedeutend war Johann Müller, von seiner Vater¬
stadt Königsberg gewöhnlich Regiomontanus genannt, welcher, von Cardinal
Bessarion mit nach Italien genommen, bei seiner Rückkehr das Studium der
alten Literatur und mit gleichem Eifer das der realen und praktischen Wissen¬
schaften, vorzüglich der Mathematik und Astronomie, verbreitete, um die er sich


61*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284983"/>
          <p xml:id="ID_1646" prev="#ID_1645"> unwiderstehlich, selbst für einen großen Theil der höheren italienischen Geistlich¬<lb/>
keit, und als nach dem Fall des oströmischen Kaiserthrons jenen einzelnen<lb/>
Lehrern griechischer Bildung ein ganzer Exodus gelehrter Griechen folgte, und<lb/>
diese Bildung nun nicht mehr Eigenthum verhältnißmäßig Weniger blieb, sondern<lb/>
Gemeingut der studirenden Welt Italiens wurde, gehörte es bald zum guten<lb/>
Ton. mit Geringschätzung von dem Treiben der Lehrer und Unterrichtsanstalten<lb/>
zu sprechen, welche das neue Licht noch nicht anerkannt hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1647"> Schon um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts verband der gebildete<lb/>
Italiener mit dem Namen der Scholastik ungefähr dieselbe Vorstellung, die wir<lb/>
heutzutage bei einem Vergleich unsrer Wissenschaft mit der des Mittelalters<lb/>
hegen. Nur Wenige, meist Mönche, traten damals noch für das täglich tiefer<lb/>
versinkende Alte und gegen die vorzüglich in Florenz und Mailand blühenden<lb/>
Humanisten in die Schranken. Aber wo sie am ersten auf Anerkennung und<lb/>
Unterstützung hätten rechnen dürfen, am päpstlichen Hofe, fanden sie nicht nur<lb/>
keine Hilfe, sondern schlechtverhehlte Mißachtung, ja offne Verwerfung ihrer<lb/>
Opposition. Statthalter Christi, wie Pius der Zweite und Alexander der<lb/>
Sechste hielten es nicht nur nicht für einen Raub, sondern für eine hohe Ehre,<lb/>
Kenner der classischen Literatur und eifrige Gönner und Beschützer der Gelehrten<lb/>
zu sein, welche mit diesem Material an der Stelle des düstern Doms der<lb/>
Scholastik den lichten Marmortempel einer neuen, durchaus unchristlichen Welt¬<lb/>
anschauung zu errichten bestrebt waren. Die Päpstin Johanna ist Fabel; daß<lb/>
Heiden auf dem Stuhl Petri gesessen in den Jahrzehnten kurz vor und während<lb/>
der Reformation, und zwar erklärte Heiden, ist bekannte Thatsache.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1648"> Deutschland nahm an dieser großen Bewegung der Geister erst im zweiten<lb/>
Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts theil, und da nur durch einzelne Männer.<lb/>
Die Universitäten, blieben derselben noch länger als ein Menschenalter fern.<lb/>
Dann aber begann auch hier der Kampf mit Macht, der allmälig die Scholastik<lb/>
verdrängte und in Deutschland zugleich Wissenschaft und Leben aus den Ketten<lb/>
der alten Kirchengewalt befreite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1649" next="#ID_1650"> Der erste Deutsche, welcher im Geiste der italienischen Humanisten auftrat,<lb/>
war Nicolaus Cusanus, 1401 geboren, in Italien mit den Schriften des<lb/>
echten Aristoteles und mit Petrarca bekannt geworden, dabei ein im römischen<lb/>
Recht und in Mathematik und Geographie wohlbewanderter Mann und bis zu<lb/>
seiner Ernennung zum Bischof von Vrixen ein ebenso geschickter als unerschrockner<lb/>
Kritiker der Erdichtungen, aus Grund deren die Päpste fürstliche Rechte bean¬<lb/>
spruchten. Nicht weniger bedeutend war Johann Müller, von seiner Vater¬<lb/>
stadt Königsberg gewöhnlich Regiomontanus genannt, welcher, von Cardinal<lb/>
Bessarion mit nach Italien genommen, bei seiner Rückkehr das Studium der<lb/>
alten Literatur und mit gleichem Eifer das der realen und praktischen Wissen¬<lb/>
schaften, vorzüglich der Mathematik und Astronomie, verbreitete, um die er sich</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 61*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] unwiderstehlich, selbst für einen großen Theil der höheren italienischen Geistlich¬ keit, und als nach dem Fall des oströmischen Kaiserthrons jenen einzelnen Lehrern griechischer Bildung ein ganzer Exodus gelehrter Griechen folgte, und diese Bildung nun nicht mehr Eigenthum verhältnißmäßig Weniger blieb, sondern Gemeingut der studirenden Welt Italiens wurde, gehörte es bald zum guten Ton. mit Geringschätzung von dem Treiben der Lehrer und Unterrichtsanstalten zu sprechen, welche das neue Licht noch nicht anerkannt hatten. Schon um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts verband der gebildete Italiener mit dem Namen der Scholastik ungefähr dieselbe Vorstellung, die wir heutzutage bei einem Vergleich unsrer Wissenschaft mit der des Mittelalters hegen. Nur Wenige, meist Mönche, traten damals noch für das täglich tiefer versinkende Alte und gegen die vorzüglich in Florenz und Mailand blühenden Humanisten in die Schranken. Aber wo sie am ersten auf Anerkennung und Unterstützung hätten rechnen dürfen, am päpstlichen Hofe, fanden sie nicht nur keine Hilfe, sondern schlechtverhehlte Mißachtung, ja offne Verwerfung ihrer Opposition. Statthalter Christi, wie Pius der Zweite und Alexander der Sechste hielten es nicht nur nicht für einen Raub, sondern für eine hohe Ehre, Kenner der classischen Literatur und eifrige Gönner und Beschützer der Gelehrten zu sein, welche mit diesem Material an der Stelle des düstern Doms der Scholastik den lichten Marmortempel einer neuen, durchaus unchristlichen Welt¬ anschauung zu errichten bestrebt waren. Die Päpstin Johanna ist Fabel; daß Heiden auf dem Stuhl Petri gesessen in den Jahrzehnten kurz vor und während der Reformation, und zwar erklärte Heiden, ist bekannte Thatsache. Deutschland nahm an dieser großen Bewegung der Geister erst im zweiten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts theil, und da nur durch einzelne Männer. Die Universitäten, blieben derselben noch länger als ein Menschenalter fern. Dann aber begann auch hier der Kampf mit Macht, der allmälig die Scholastik verdrängte und in Deutschland zugleich Wissenschaft und Leben aus den Ketten der alten Kirchengewalt befreite. Der erste Deutsche, welcher im Geiste der italienischen Humanisten auftrat, war Nicolaus Cusanus, 1401 geboren, in Italien mit den Schriften des echten Aristoteles und mit Petrarca bekannt geworden, dabei ein im römischen Recht und in Mathematik und Geographie wohlbewanderter Mann und bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Vrixen ein ebenso geschickter als unerschrockner Kritiker der Erdichtungen, aus Grund deren die Päpste fürstliche Rechte bean¬ spruchten. Nicht weniger bedeutend war Johann Müller, von seiner Vater¬ stadt Königsberg gewöhnlich Regiomontanus genannt, welcher, von Cardinal Bessarion mit nach Italien genommen, bei seiner Rückkehr das Studium der alten Literatur und mit gleichem Eifer das der realen und praktischen Wissen¬ schaften, vorzüglich der Mathematik und Astronomie, verbreitete, um die er sich 61*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/513>, abgerufen am 01.07.2024.