Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.Celtes, beiläufig mehr ein Formtalent, das stark im Anfertigen lateinischer Verse Wie immer bei großen Umwälzungen aus dem Gebiete der Wissenschaften Celtes, beiläufig mehr ein Formtalent, das stark im Anfertigen lateinischer Verse Wie immer bei großen Umwälzungen aus dem Gebiete der Wissenschaften <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284985"/> <p xml:id="ID_1653" prev="#ID_1652"> Celtes, beiläufig mehr ein Formtalent, das stark im Anfertigen lateinischer Verse<lb/> war. als ein reicher und tiefer Geist, lehrte, bevor er 1501 Bibliothekar in<lb/> Wien wurde, an allen fünfzehn Universitäten, die damals in Deutschland be¬<lb/> standen, und viele andere von seinen Gesinnungsverwandtcn führten, mindestens<lb/> in ihren jungen Jahren, ein nicht viel weniger bewegtes Leben. Endlich aber<lb/> gab das enge Freundschaftsband, welches diese Männer verknüpfte und sie bei<lb/> jeder Gelegenheit alle für einen einstehen ließ, der humanistischen Bewegung<lb/> die Kraft, welche sie der festen Organisation und dem Corporationsgeiste der<lb/> Scholastiker an den deutschen Hochschulen gegenüber dringend bedürfte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1654"> Wie immer bei großen Umwälzungen aus dem Gebiete der Wissenschaften<lb/> geschah es auch hier, daß die Masse der Anhänger der neuen Bildung sich mit<lb/> Aeußerlichkeiten begnügte und die Bedeutung der bonao Mors,« nur in ihrer<lb/> formalen Seite, in der geschmackvollen und glänzenden Weise zu reden und zu<lb/> schreiben erblickte, die man sich mit ihnen aneignete; ja dies mußte hier be¬<lb/> sonders häufig geschehen, da die Rhetorik in dem bisherigen Unterricht eine<lb/> Hauptstelle eingenommen hatte. So in Italien, wo überdies das angeborne<lb/> Wohlgefallen des Volksgeistes an Schmuck und Glätte des Vortrags die neue<lb/> Richtung schon zu Petrarcas Zeit auf bedenkliche Wege geführt hatte. Und so<lb/> auch vielfach in Deutschland. Auch hier gab es von Anfang an nicht wenige,<lb/> die, wenn sie es dahin gebracht, statt in den Barbarismen des Mönchslateins<lb/> in ciceronischen Phrasen zu sprechen, zum Ausputz ihrer Rede eine Anzahl von<lb/> Sentenzen aus Horaz und Ovid in Bereitschaft zu haben, grammatische Schnitzer<lb/> zu vermeiden, erträgliche Verse zu schmieden und etwa noch die Hauptschlag¬<lb/> worte der Schule zu wissen, sich für echte und vollberechtigte Jünger der neuen<lb/> Kunst hielten. Allerdings waren solche Fertigkeiten für den Deutschen ein Be¬<lb/> sitz, auf dessen Erwerb er einigermaßen stolz sein durfte, da er, während die<lb/> Humanisten Italiens bei Aneignung des classischen Lateins nur die Sprache<lb/> ihrer Väter lernten, hier eine Art des Gedankenausdrucks studiren mußte, die<lb/> von der deutschen wesentlich verschieden war. Aber es war und blieb doch<lb/> immer nur die Schale, auf deren Gewinn diese selbstgefälligen Stilisten und<lb/> Verskünstler sich Großes zu sein dünkten, nicht der edle Kern der neuen Lehre.<lb/> Dieser Tadel trifft zum Theil auch die begabteren Geister, welche der nach Grund<lb/> und Wesen der Dinge trachtende Sinn der Deutschen auf jenen Kern hinführte<lb/> Selbst Männer wie Reuchlin legten unverhältnißmäßig viel Werth auf die rein<lb/> formale Seite der neuen Studien. Aber sie sprachen doch auch aus und be¬<lb/> thätigten großentheils durch ihr eignes Beispiel, daß es sich nicht so sehr um<lb/> die Kunst, Gedanken und Gefühle in Prosa und Vers classisch auszudrücken,<lb/> als um Befruchtung der Geister durch den hohen Sinn des Alterthums, um<lb/> Hebung der Seelen zu reinem und vornehmem Empfinden, um das rechte Ver¬<lb/> ständniß der Welt und unbefangene Erforschung der Wahrheit handelte.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0515]
Celtes, beiläufig mehr ein Formtalent, das stark im Anfertigen lateinischer Verse
war. als ein reicher und tiefer Geist, lehrte, bevor er 1501 Bibliothekar in
Wien wurde, an allen fünfzehn Universitäten, die damals in Deutschland be¬
standen, und viele andere von seinen Gesinnungsverwandtcn führten, mindestens
in ihren jungen Jahren, ein nicht viel weniger bewegtes Leben. Endlich aber
gab das enge Freundschaftsband, welches diese Männer verknüpfte und sie bei
jeder Gelegenheit alle für einen einstehen ließ, der humanistischen Bewegung
die Kraft, welche sie der festen Organisation und dem Corporationsgeiste der
Scholastiker an den deutschen Hochschulen gegenüber dringend bedürfte.
Wie immer bei großen Umwälzungen aus dem Gebiete der Wissenschaften
geschah es auch hier, daß die Masse der Anhänger der neuen Bildung sich mit
Aeußerlichkeiten begnügte und die Bedeutung der bonao Mors,« nur in ihrer
formalen Seite, in der geschmackvollen und glänzenden Weise zu reden und zu
schreiben erblickte, die man sich mit ihnen aneignete; ja dies mußte hier be¬
sonders häufig geschehen, da die Rhetorik in dem bisherigen Unterricht eine
Hauptstelle eingenommen hatte. So in Italien, wo überdies das angeborne
Wohlgefallen des Volksgeistes an Schmuck und Glätte des Vortrags die neue
Richtung schon zu Petrarcas Zeit auf bedenkliche Wege geführt hatte. Und so
auch vielfach in Deutschland. Auch hier gab es von Anfang an nicht wenige,
die, wenn sie es dahin gebracht, statt in den Barbarismen des Mönchslateins
in ciceronischen Phrasen zu sprechen, zum Ausputz ihrer Rede eine Anzahl von
Sentenzen aus Horaz und Ovid in Bereitschaft zu haben, grammatische Schnitzer
zu vermeiden, erträgliche Verse zu schmieden und etwa noch die Hauptschlag¬
worte der Schule zu wissen, sich für echte und vollberechtigte Jünger der neuen
Kunst hielten. Allerdings waren solche Fertigkeiten für den Deutschen ein Be¬
sitz, auf dessen Erwerb er einigermaßen stolz sein durfte, da er, während die
Humanisten Italiens bei Aneignung des classischen Lateins nur die Sprache
ihrer Väter lernten, hier eine Art des Gedankenausdrucks studiren mußte, die
von der deutschen wesentlich verschieden war. Aber es war und blieb doch
immer nur die Schale, auf deren Gewinn diese selbstgefälligen Stilisten und
Verskünstler sich Großes zu sein dünkten, nicht der edle Kern der neuen Lehre.
Dieser Tadel trifft zum Theil auch die begabteren Geister, welche der nach Grund
und Wesen der Dinge trachtende Sinn der Deutschen auf jenen Kern hinführte
Selbst Männer wie Reuchlin legten unverhältnißmäßig viel Werth auf die rein
formale Seite der neuen Studien. Aber sie sprachen doch auch aus und be¬
thätigten großentheils durch ihr eignes Beispiel, daß es sich nicht so sehr um
die Kunst, Gedanken und Gefühle in Prosa und Vers classisch auszudrücken,
als um Befruchtung der Geister durch den hohen Sinn des Alterthums, um
Hebung der Seelen zu reinem und vornehmem Empfinden, um das rechte Ver¬
ständniß der Welt und unbefangene Erforschung der Wahrheit handelte.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |