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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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nach einigen Andeutungen zu schließen, wie fast bei allen Orientalen, auch bei
den Nestorianer" zeigt.

Sehr anzuerkennen ist die, freilich durch die Stellung inmitten einer im
Grunde fremden Kirche bedingte Parteilosigkeit rücksichtlich der verschiedenen
protestantischen Confessionen. Nur dem Papstthum gegenüber wird Front ge¬
macht: der Werkheiligkeit der katholischen Kirche wird das protestantische Grund-
Princip der Rechtfertigung durch den Glauben, der Autorität des Papstes und
der Kirche die Christi und die heilige Schrift entgegengestellt. Die Versunken-
heit eines Theils des römischen Klerus und die Albernheiten und Schlechtig¬
keiten einzelner katholischer Theologen werden sogar mitunter in nicht zu recht¬
fertigender Weise gegen die ganze Kirche benutzt. Aber außer dieser nicht ein-
mal häufig hervortretenden und wohl hauptsächlich durch die feindliche Berüh¬
rung mit katholischen Seelenjägern hervorgerufene Polemik erfahren die Leser
nichts von den mannigfachen Spaltungen in der christlichen Welt. Daß die
Vorfahren der Nestorianer nach der Ausfassung der Misstonäre wahre Pro¬
testanten waren, habe ich schon oben gesagt.

Diese hier kurz skizzirte Ausfassung des Christenthums hat bei allen Mängeln
doch unläugbare Vorzüge vor dem auf ein Paar Aeußerlichkeiten zusammenge¬
schrumpften Christenthum der Nestorianer und bei der Wärme und Ueber¬
zeugungstreue, mit der sie ihnen von hochgebildeten Männern vorgetragen ward,
konnte es nicht fehlen, daß sie großen Anklang fand. Allerdings ist der Ein¬
druck, den diese Thatsache auf uns macht, weit davon entfernt, ein gradezu an¬
genehmer zu sein. Wenn wir z. B. in dieser Zeitschrift Aufsätze von jungen
Mädchen lesen, welche uns glühende Schilderungen der Höllenqualen und der
himmlischen Seligkeit geben, aus denen der gewaltige Einfluß Bunyans sofort
zu erkennen ist, oder welche mit der Ueberzeugung eines himmlischen Richters
von Bekehrten und Weltkindern sprechen, so bedenken wir nur, wie viel leichter
es doch ist, Mädchen von 12--14 Jahren mit religiöser Ueberspannung zu er¬
füllen, als sie zu ihrem Beruf wahrhaft heranzubilden!

Wir haben aber schon oben gesehen, daß die Bestrebungen der Missionäre
nicht allein auf religiöse Bildung hinausgehn. Allerdings betrachten sie die
ganze Bildung als eine Einheit, deren Wurzel die Gottesfurcht und deren Zweck
die Erwerbung des Himmelreichs ist. Daß man bei den alten Heiden in
Athen schon leidlich gebildet war und daß zu unsrer europäischen Bildung denn
doch auch manch andrer Factor mitgewirkt hat, als das Christenthum, wird
nicht weiter erörtert. Die Hauptsache ist, daß sie es selbst nicht verschmähen,
diese andern Factoren wenigstens zum Theil mit in Wirksamkeit zu setzen.

Das Schulwesen der Missionäre hat sich allerdings in kurzer Zeit be¬
deutend gehoben, davon giebt die Abtheilung "Unterricht" hinlängliches Zeugniß.
Die des Lesens kundigen Erwachsenen werden im Jahre 1831 auf 2000 ge-


nach einigen Andeutungen zu schließen, wie fast bei allen Orientalen, auch bei
den Nestorianer» zeigt.

Sehr anzuerkennen ist die, freilich durch die Stellung inmitten einer im
Grunde fremden Kirche bedingte Parteilosigkeit rücksichtlich der verschiedenen
protestantischen Confessionen. Nur dem Papstthum gegenüber wird Front ge¬
macht: der Werkheiligkeit der katholischen Kirche wird das protestantische Grund-
Princip der Rechtfertigung durch den Glauben, der Autorität des Papstes und
der Kirche die Christi und die heilige Schrift entgegengestellt. Die Versunken-
heit eines Theils des römischen Klerus und die Albernheiten und Schlechtig¬
keiten einzelner katholischer Theologen werden sogar mitunter in nicht zu recht¬
fertigender Weise gegen die ganze Kirche benutzt. Aber außer dieser nicht ein-
mal häufig hervortretenden und wohl hauptsächlich durch die feindliche Berüh¬
rung mit katholischen Seelenjägern hervorgerufene Polemik erfahren die Leser
nichts von den mannigfachen Spaltungen in der christlichen Welt. Daß die
Vorfahren der Nestorianer nach der Ausfassung der Misstonäre wahre Pro¬
testanten waren, habe ich schon oben gesagt.

Diese hier kurz skizzirte Ausfassung des Christenthums hat bei allen Mängeln
doch unläugbare Vorzüge vor dem auf ein Paar Aeußerlichkeiten zusammenge¬
schrumpften Christenthum der Nestorianer und bei der Wärme und Ueber¬
zeugungstreue, mit der sie ihnen von hochgebildeten Männern vorgetragen ward,
konnte es nicht fehlen, daß sie großen Anklang fand. Allerdings ist der Ein¬
druck, den diese Thatsache auf uns macht, weit davon entfernt, ein gradezu an¬
genehmer zu sein. Wenn wir z. B. in dieser Zeitschrift Aufsätze von jungen
Mädchen lesen, welche uns glühende Schilderungen der Höllenqualen und der
himmlischen Seligkeit geben, aus denen der gewaltige Einfluß Bunyans sofort
zu erkennen ist, oder welche mit der Ueberzeugung eines himmlischen Richters
von Bekehrten und Weltkindern sprechen, so bedenken wir nur, wie viel leichter
es doch ist, Mädchen von 12—14 Jahren mit religiöser Ueberspannung zu er¬
füllen, als sie zu ihrem Beruf wahrhaft heranzubilden!

Wir haben aber schon oben gesehen, daß die Bestrebungen der Missionäre
nicht allein auf religiöse Bildung hinausgehn. Allerdings betrachten sie die
ganze Bildung als eine Einheit, deren Wurzel die Gottesfurcht und deren Zweck
die Erwerbung des Himmelreichs ist. Daß man bei den alten Heiden in
Athen schon leidlich gebildet war und daß zu unsrer europäischen Bildung denn
doch auch manch andrer Factor mitgewirkt hat, als das Christenthum, wird
nicht weiter erörtert. Die Hauptsache ist, daß sie es selbst nicht verschmähen,
diese andern Factoren wenigstens zum Theil mit in Wirksamkeit zu setzen.

Das Schulwesen der Missionäre hat sich allerdings in kurzer Zeit be¬
deutend gehoben, davon giebt die Abtheilung „Unterricht" hinlängliches Zeugniß.
Die des Lesens kundigen Erwachsenen werden im Jahre 1831 auf 2000 ge-


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[0497] nach einigen Andeutungen zu schließen, wie fast bei allen Orientalen, auch bei den Nestorianer» zeigt. Sehr anzuerkennen ist die, freilich durch die Stellung inmitten einer im Grunde fremden Kirche bedingte Parteilosigkeit rücksichtlich der verschiedenen protestantischen Confessionen. Nur dem Papstthum gegenüber wird Front ge¬ macht: der Werkheiligkeit der katholischen Kirche wird das protestantische Grund- Princip der Rechtfertigung durch den Glauben, der Autorität des Papstes und der Kirche die Christi und die heilige Schrift entgegengestellt. Die Versunken- heit eines Theils des römischen Klerus und die Albernheiten und Schlechtig¬ keiten einzelner katholischer Theologen werden sogar mitunter in nicht zu recht¬ fertigender Weise gegen die ganze Kirche benutzt. Aber außer dieser nicht ein- mal häufig hervortretenden und wohl hauptsächlich durch die feindliche Berüh¬ rung mit katholischen Seelenjägern hervorgerufene Polemik erfahren die Leser nichts von den mannigfachen Spaltungen in der christlichen Welt. Daß die Vorfahren der Nestorianer nach der Ausfassung der Misstonäre wahre Pro¬ testanten waren, habe ich schon oben gesagt. Diese hier kurz skizzirte Ausfassung des Christenthums hat bei allen Mängeln doch unläugbare Vorzüge vor dem auf ein Paar Aeußerlichkeiten zusammenge¬ schrumpften Christenthum der Nestorianer und bei der Wärme und Ueber¬ zeugungstreue, mit der sie ihnen von hochgebildeten Männern vorgetragen ward, konnte es nicht fehlen, daß sie großen Anklang fand. Allerdings ist der Ein¬ druck, den diese Thatsache auf uns macht, weit davon entfernt, ein gradezu an¬ genehmer zu sein. Wenn wir z. B. in dieser Zeitschrift Aufsätze von jungen Mädchen lesen, welche uns glühende Schilderungen der Höllenqualen und der himmlischen Seligkeit geben, aus denen der gewaltige Einfluß Bunyans sofort zu erkennen ist, oder welche mit der Ueberzeugung eines himmlischen Richters von Bekehrten und Weltkindern sprechen, so bedenken wir nur, wie viel leichter es doch ist, Mädchen von 12—14 Jahren mit religiöser Ueberspannung zu er¬ füllen, als sie zu ihrem Beruf wahrhaft heranzubilden! Wir haben aber schon oben gesehen, daß die Bestrebungen der Missionäre nicht allein auf religiöse Bildung hinausgehn. Allerdings betrachten sie die ganze Bildung als eine Einheit, deren Wurzel die Gottesfurcht und deren Zweck die Erwerbung des Himmelreichs ist. Daß man bei den alten Heiden in Athen schon leidlich gebildet war und daß zu unsrer europäischen Bildung denn doch auch manch andrer Factor mitgewirkt hat, als das Christenthum, wird nicht weiter erörtert. Die Hauptsache ist, daß sie es selbst nicht verschmähen, diese andern Factoren wenigstens zum Theil mit in Wirksamkeit zu setzen. Das Schulwesen der Missionäre hat sich allerdings in kurzer Zeit be¬ deutend gehoben, davon giebt die Abtheilung „Unterricht" hinlängliches Zeugniß. Die des Lesens kundigen Erwachsenen werden im Jahre 1831 auf 2000 ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/497>, abgerufen am 22.12.2024.