Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.Natürlich waltet das religiöse Interesse durchaus vor. Nicht blos die Natürlich waltet das religiöse Interesse durchaus vor. Nicht blos die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284966"/> <p xml:id="ID_1602" next="#ID_1603"> Natürlich waltet das religiöse Interesse durchaus vor. Nicht blos die<lb/> gradezu mit „Religion" (genauer „Gottesfurcht") überschrieben«: Abtheilung<lb/> enthält Religiöses, sondern auch die Abtheilungen „Unterricht" und „Miscellen"<lb/> sind zum großen Theil mit religiösen Darstellungen und Ausführungen erfüllt<lb/> und selbst der Abschnitt „Wissenschaft" ist nicht frei davon. Dazu kommt mei¬<lb/> stens noch ein religiöses Gedicht am Schluß der Lieferung. Es macht keinen<lb/> wesentlichen Unterschied, daß die Zahl der Abtheilungen mit dem vierten Bande<lb/> etwas vermehrt wird; das religiöse Interesse'tritt in diesem grade noch mehr<lb/> hervor. Welch einen Geist die religiösen Aufsätze athmen, kann der Leser<lb/> wohl ahnen. Wir haben hier ganz den oben angedeuteten eng puritanischen<lb/> Pietismus. Dogmatische Sätze werden mit Vorliebe erörtert, aber vornehm¬<lb/> lich solche, welche eine mystische Erregung des Gemüths zu befördern geeignet<lb/> sind. Die Lehre von der Sünde und der Versöhnung wird tausendfach<lb/> wiederholt; die Furcht vor den Qualen der Hölle, der alle nicht Wiedergebornen<lb/> unrettbar aus ewig versallen sind, wird als Hauptagens benutzt, die Seelen<lb/> zu ängstigen und zur Bekehrung zu treiben, um sie dann den Freuden des<lb/> Himmels entgegen zu führen. Die „Erweckungen" spielen eine große Rolle;<lb/> nur die, welche „erweckt" sind, haben auf den Namen Christen Anspruch. Dabei<lb/> wird die ganze Strenge der puritanischen Lebensregeln hervorgekehrt. Nicht<lb/> nur werden Gebet, Hausandacht und andre religiöse Uebungen aufs strengste<lb/> eingeschärft, sondern auch das Steckenpferd der englischen Kirchen, die Sabbat¬<lb/> feier, wird immer wieder vorgeführt. Ein Zögling dieser Missionäre muß noth¬<lb/> wendig glauben, daß das Uebertreten der Sabbatsordnung Gottes Zorn in<lb/> eben dem Grade reize, wie ein grobes Verbrechen. Es fällt aus, daß sie da¬<lb/> gegen die bei den Nestorianern übliche Fastenordnung nicht anerkennen, während<lb/> doch Fasten und Sabbatsstrenge demselben Geist entsprungen sind, nur daß<lb/> jenes ohne Zweifel viel tiefer im Urchristenthum wurzelt, als diese. Auch wo<lb/> sie an ihre religiösen Sätze höchst heilsame Ermahnungen knüpfen, schaden sie<lb/> leicht durch Uebertreibung. Gegen das Rauchen aus der Wasserpfeife (LÄirm)<lb/> eisern sie fast ebenso, wie gegen eine schwere Sünde, und ob ihr Kampf gegen<lb/> die hier und da vorkommende Trunksucht durch das sofortige Drohen mit dem<lb/> Höllenfeuer besonders aussichtsvoll werde, glaube ich bezweifeln zu müssen. Doch<lb/> will ich immerhin zugeben, daß sie in den Verhältnissen, unter denen sie leben,<lb/> wohl etwas schärfer auftreten müssen, um gewisse Laster und üble Neigungen<lb/> zu bekämpfen. Zu diesen gehört sicherlich auch die im Orient so sehr verbreitete<lb/> Sitte, jeder Versicherung einen Schwur oder auch einen Fluch hinzuzusetzen; es<lb/> ist aber wieder ein Zeichen der puritanischen Aengstlichkeit, wenn sie viel häufiger<lb/> gegen dieses, Gottes Namen entweihende Schwören und Fluchen, als gegen<lb/> den viel verderblicheren und tiefer liegenden Hang zur Lüge auftreten, der sich,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0496]
Natürlich waltet das religiöse Interesse durchaus vor. Nicht blos die
gradezu mit „Religion" (genauer „Gottesfurcht") überschrieben«: Abtheilung
enthält Religiöses, sondern auch die Abtheilungen „Unterricht" und „Miscellen"
sind zum großen Theil mit religiösen Darstellungen und Ausführungen erfüllt
und selbst der Abschnitt „Wissenschaft" ist nicht frei davon. Dazu kommt mei¬
stens noch ein religiöses Gedicht am Schluß der Lieferung. Es macht keinen
wesentlichen Unterschied, daß die Zahl der Abtheilungen mit dem vierten Bande
etwas vermehrt wird; das religiöse Interesse'tritt in diesem grade noch mehr
hervor. Welch einen Geist die religiösen Aufsätze athmen, kann der Leser
wohl ahnen. Wir haben hier ganz den oben angedeuteten eng puritanischen
Pietismus. Dogmatische Sätze werden mit Vorliebe erörtert, aber vornehm¬
lich solche, welche eine mystische Erregung des Gemüths zu befördern geeignet
sind. Die Lehre von der Sünde und der Versöhnung wird tausendfach
wiederholt; die Furcht vor den Qualen der Hölle, der alle nicht Wiedergebornen
unrettbar aus ewig versallen sind, wird als Hauptagens benutzt, die Seelen
zu ängstigen und zur Bekehrung zu treiben, um sie dann den Freuden des
Himmels entgegen zu führen. Die „Erweckungen" spielen eine große Rolle;
nur die, welche „erweckt" sind, haben auf den Namen Christen Anspruch. Dabei
wird die ganze Strenge der puritanischen Lebensregeln hervorgekehrt. Nicht
nur werden Gebet, Hausandacht und andre religiöse Uebungen aufs strengste
eingeschärft, sondern auch das Steckenpferd der englischen Kirchen, die Sabbat¬
feier, wird immer wieder vorgeführt. Ein Zögling dieser Missionäre muß noth¬
wendig glauben, daß das Uebertreten der Sabbatsordnung Gottes Zorn in
eben dem Grade reize, wie ein grobes Verbrechen. Es fällt aus, daß sie da¬
gegen die bei den Nestorianern übliche Fastenordnung nicht anerkennen, während
doch Fasten und Sabbatsstrenge demselben Geist entsprungen sind, nur daß
jenes ohne Zweifel viel tiefer im Urchristenthum wurzelt, als diese. Auch wo
sie an ihre religiösen Sätze höchst heilsame Ermahnungen knüpfen, schaden sie
leicht durch Uebertreibung. Gegen das Rauchen aus der Wasserpfeife (LÄirm)
eisern sie fast ebenso, wie gegen eine schwere Sünde, und ob ihr Kampf gegen
die hier und da vorkommende Trunksucht durch das sofortige Drohen mit dem
Höllenfeuer besonders aussichtsvoll werde, glaube ich bezweifeln zu müssen. Doch
will ich immerhin zugeben, daß sie in den Verhältnissen, unter denen sie leben,
wohl etwas schärfer auftreten müssen, um gewisse Laster und üble Neigungen
zu bekämpfen. Zu diesen gehört sicherlich auch die im Orient so sehr verbreitete
Sitte, jeder Versicherung einen Schwur oder auch einen Fluch hinzuzusetzen; es
ist aber wieder ein Zeichen der puritanischen Aengstlichkeit, wenn sie viel häufiger
gegen dieses, Gottes Namen entweihende Schwören und Fluchen, als gegen
den viel verderblicheren und tiefer liegenden Hang zur Lüge auftreten, der sich,
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