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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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thun werthvollen Wissens, der es begreifen läßt, daß seine Zeitgenossen ihn
als Wunder anstaunten, und neben manchem tiefen Blick auch allerlei Jrrthüm-
liches und Seltsames. Er, der die Ignoranten verspottet, die kein Griechisch
können, verwechselt beim Etymologisiren S-" und ovo; er bedauert den Aristoteles,
daß er die Quadratur des Cirkels nicht gekannt habe; er glaubt an die Kraft
der Wünschelruthe, Silber ist ihm nur "unverdautes Gold", und bestimmte
Stellungen der Gestirne beeinflussen ihm bis zu einem gewissen Grade, d. h.
bis auf das Eingreifen der Gnade Gottes, das Geschick der Menschen und
sogar den Verlauf und die Dauer culturhistorischer Erscheinungen, wie die des
Islam, ja selbst des Christenthums. Alles das läßt Bacon als Sohn seiner
Zeit erscheinen, aber bei alledem wird hier doch der Anfang gemacht mit einer
Erkenntniß, die über die Wissenschaft dieser Zeit hinausging.

Freilich nicht in epochemachender Weise. Es war eine vereinzelte Stimme
unter den Gelehrten, die hier mit dem Hinweis auf das Studium der Bibel
und eines griechischen Philosophen in der Ursprache und mit dem Fingerzeig
auf die Erfahrung nach den Quellen hindeutete, aus denen das Heil kommen
sollte. Es war eine tiefe Ahnung des Rechten, die der gelehrte Franziskaner
von Oxford aussprach, aber doch nur eine Ahnung. Sie verstummte bald, von
der Mitwelt nicht blos unverstanden, sondern ob ihrer Ungewöhnlichkeit wie
böser Zauber empfunden, von der Kirche erst gemißbilligt, dann mit langjährigem
Kerker gestraft, und die alte Beschränkung, das alte Gehen im bannumschlossenen
Kreise des Ueberlieferten, das alte emsige Arbeiten in halber Nacht dauerte noch
über zwei Jahrhunderte fort.

Die Gelehrten an den Universitäten schreiben in dieser Zeit weitere Commentare
zu Commentaren und weitere Summen aus Summen. Der im elften Säculum
entbrannte Streit der Philosophen, ob die allgemeinen Begriffe etwas Seiendes,
also Dinge, bezeichnen, wie die Realisten wollen, oder bloße Erzeugnisse des
abstrahierten Verstandes, also bloße Namen, seien, wie die zuerst unterliegenden,
dann siegreichen Nominalisten behaupten, wird weiter und von Zeit zu Zeit
mit neuauflodernder Erbitterung auszufechten versucht. Die Theologen dispu-
tiren mit easuistischem Raffinement und Gusto weiter über die seltsamsten Fragen.
Ob Christus bei der Allmacht Gottes die Welt auch in Gestalt eines Steines
hätte erlösen können? Ob in der eines,Esels? In der eines Kürbisses? Und wie
dann der Stein die nöthigen Wunder gethan!, wie der Esel gepredigt haben
würde, wie der Kürbiß zu kreuzigen gewesen wäre? Solche und ähnliche Themen
erschütterten nach wie vor die Katheder und Bänke der Auditorien mit dem starken
Ton, den man in der Magisterschaft auf ihre Entscheidung legte.

Naturwissenschaften, Medicin, Philologie, wenn dieser Ausdruck überhaupt
ins Mittelalter paßt, wurden zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts auf
den deutschen Universitäten im Wesentlichen in derselben Weise vorgetragen, in


thun werthvollen Wissens, der es begreifen läßt, daß seine Zeitgenossen ihn
als Wunder anstaunten, und neben manchem tiefen Blick auch allerlei Jrrthüm-
liches und Seltsames. Er, der die Ignoranten verspottet, die kein Griechisch
können, verwechselt beim Etymologisiren S-« und ovo; er bedauert den Aristoteles,
daß er die Quadratur des Cirkels nicht gekannt habe; er glaubt an die Kraft
der Wünschelruthe, Silber ist ihm nur „unverdautes Gold", und bestimmte
Stellungen der Gestirne beeinflussen ihm bis zu einem gewissen Grade, d. h.
bis auf das Eingreifen der Gnade Gottes, das Geschick der Menschen und
sogar den Verlauf und die Dauer culturhistorischer Erscheinungen, wie die des
Islam, ja selbst des Christenthums. Alles das läßt Bacon als Sohn seiner
Zeit erscheinen, aber bei alledem wird hier doch der Anfang gemacht mit einer
Erkenntniß, die über die Wissenschaft dieser Zeit hinausging.

Freilich nicht in epochemachender Weise. Es war eine vereinzelte Stimme
unter den Gelehrten, die hier mit dem Hinweis auf das Studium der Bibel
und eines griechischen Philosophen in der Ursprache und mit dem Fingerzeig
auf die Erfahrung nach den Quellen hindeutete, aus denen das Heil kommen
sollte. Es war eine tiefe Ahnung des Rechten, die der gelehrte Franziskaner
von Oxford aussprach, aber doch nur eine Ahnung. Sie verstummte bald, von
der Mitwelt nicht blos unverstanden, sondern ob ihrer Ungewöhnlichkeit wie
böser Zauber empfunden, von der Kirche erst gemißbilligt, dann mit langjährigem
Kerker gestraft, und die alte Beschränkung, das alte Gehen im bannumschlossenen
Kreise des Ueberlieferten, das alte emsige Arbeiten in halber Nacht dauerte noch
über zwei Jahrhunderte fort.

Die Gelehrten an den Universitäten schreiben in dieser Zeit weitere Commentare
zu Commentaren und weitere Summen aus Summen. Der im elften Säculum
entbrannte Streit der Philosophen, ob die allgemeinen Begriffe etwas Seiendes,
also Dinge, bezeichnen, wie die Realisten wollen, oder bloße Erzeugnisse des
abstrahierten Verstandes, also bloße Namen, seien, wie die zuerst unterliegenden,
dann siegreichen Nominalisten behaupten, wird weiter und von Zeit zu Zeit
mit neuauflodernder Erbitterung auszufechten versucht. Die Theologen dispu-
tiren mit easuistischem Raffinement und Gusto weiter über die seltsamsten Fragen.
Ob Christus bei der Allmacht Gottes die Welt auch in Gestalt eines Steines
hätte erlösen können? Ob in der eines,Esels? In der eines Kürbisses? Und wie
dann der Stein die nöthigen Wunder gethan!, wie der Esel gepredigt haben
würde, wie der Kürbiß zu kreuzigen gewesen wäre? Solche und ähnliche Themen
erschütterten nach wie vor die Katheder und Bänke der Auditorien mit dem starken
Ton, den man in der Magisterschaft auf ihre Entscheidung legte.

Naturwissenschaften, Medicin, Philologie, wenn dieser Ausdruck überhaupt
ins Mittelalter paßt, wurden zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts auf
den deutschen Universitäten im Wesentlichen in derselben Weise vorgetragen, in


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[0488] thun werthvollen Wissens, der es begreifen läßt, daß seine Zeitgenossen ihn als Wunder anstaunten, und neben manchem tiefen Blick auch allerlei Jrrthüm- liches und Seltsames. Er, der die Ignoranten verspottet, die kein Griechisch können, verwechselt beim Etymologisiren S-« und ovo; er bedauert den Aristoteles, daß er die Quadratur des Cirkels nicht gekannt habe; er glaubt an die Kraft der Wünschelruthe, Silber ist ihm nur „unverdautes Gold", und bestimmte Stellungen der Gestirne beeinflussen ihm bis zu einem gewissen Grade, d. h. bis auf das Eingreifen der Gnade Gottes, das Geschick der Menschen und sogar den Verlauf und die Dauer culturhistorischer Erscheinungen, wie die des Islam, ja selbst des Christenthums. Alles das läßt Bacon als Sohn seiner Zeit erscheinen, aber bei alledem wird hier doch der Anfang gemacht mit einer Erkenntniß, die über die Wissenschaft dieser Zeit hinausging. Freilich nicht in epochemachender Weise. Es war eine vereinzelte Stimme unter den Gelehrten, die hier mit dem Hinweis auf das Studium der Bibel und eines griechischen Philosophen in der Ursprache und mit dem Fingerzeig auf die Erfahrung nach den Quellen hindeutete, aus denen das Heil kommen sollte. Es war eine tiefe Ahnung des Rechten, die der gelehrte Franziskaner von Oxford aussprach, aber doch nur eine Ahnung. Sie verstummte bald, von der Mitwelt nicht blos unverstanden, sondern ob ihrer Ungewöhnlichkeit wie böser Zauber empfunden, von der Kirche erst gemißbilligt, dann mit langjährigem Kerker gestraft, und die alte Beschränkung, das alte Gehen im bannumschlossenen Kreise des Ueberlieferten, das alte emsige Arbeiten in halber Nacht dauerte noch über zwei Jahrhunderte fort. Die Gelehrten an den Universitäten schreiben in dieser Zeit weitere Commentare zu Commentaren und weitere Summen aus Summen. Der im elften Säculum entbrannte Streit der Philosophen, ob die allgemeinen Begriffe etwas Seiendes, also Dinge, bezeichnen, wie die Realisten wollen, oder bloße Erzeugnisse des abstrahierten Verstandes, also bloße Namen, seien, wie die zuerst unterliegenden, dann siegreichen Nominalisten behaupten, wird weiter und von Zeit zu Zeit mit neuauflodernder Erbitterung auszufechten versucht. Die Theologen dispu- tiren mit easuistischem Raffinement und Gusto weiter über die seltsamsten Fragen. Ob Christus bei der Allmacht Gottes die Welt auch in Gestalt eines Steines hätte erlösen können? Ob in der eines,Esels? In der eines Kürbisses? Und wie dann der Stein die nöthigen Wunder gethan!, wie der Esel gepredigt haben würde, wie der Kürbiß zu kreuzigen gewesen wäre? Solche und ähnliche Themen erschütterten nach wie vor die Katheder und Bänke der Auditorien mit dem starken Ton, den man in der Magisterschaft auf ihre Entscheidung legte. Naturwissenschaften, Medicin, Philologie, wenn dieser Ausdruck überhaupt ins Mittelalter paßt, wurden zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts auf den deutschen Universitäten im Wesentlichen in derselben Weise vorgetragen, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/488>, abgerufen am 22.12.2024.