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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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hohen Adel ausnahmsweise aus Courtoisie den Rectortitel mit seinen Ehren
verlieh.

In Erfurt (Siiftung der Universität 1392) existirte das Institut der
Nationen gar nicht, so daß die Corporation sich lediglich in Facultäten ver¬
zweigte.

In Ingolstadt bildeten sich bei Gründung der Hochschule (1472) vier
Nationen: die bayerische, die rheinländische, die fränkische und die sächsische;
doch wurden dieselben bald wieder aufgehoben, und es gab fortan hier eben¬
falls nur Facultäten. Der neununddreißigste Rector der Universität war (1486)
ein Student der Medicin, Magnus Airnschmalz, jedoch hatte derselbe die
Magisterwürde erworben, wodurch er einerseits zu den Lehrenden, andrerseits
zur artistischen Facultät gehörte.

Ueber die erste Organisation der übrigen noch im Mittelalter entstandenen
deutschen Universitäten (Leipzig, 1409, Rostock, zehn Jahre darnach, Trier, 1454,
Greifswald, 1456, Freiburg, in demselben Jahre, Mainz und Tübingen, beide
1477 gegründet) sind wir, Leipzig ausgenommen, über das wir durch Zarnckes
hochverdienstliche Bemühungen sehr genaue Kunde erhalten haben, bis jetzt noch
wenig oder gar nicht unterrichtet.

Zeigt sich nun bei fast allen ältern deutschen Hochschulen, die wir näher
betrachten konnten, zwar deutlich die oben erwähnte Tendenz, sich in doppelter
Weise zu gliedern und daneben der Artistenfacultät die ihr als der Basis der
drei übrigen Facultäten gebührende Geltung zu erhalten, so gelang es doch
keiner der bisher ins Auge gefaßten, eine organische Einheit in diesem Sinne
ganz und auf die Dauer darzustellen, indem Zufall und äußere Einflüsse störend
dazwischentraten, das eine Schiff oder Thürmchen des Baues unvollendet
bleiben ließen, das andere wieder abtrugen oder auch den ganzen Plan ver¬
änderten. Dagegen erreichte die Hochschule zu Leipzig jenes Ziel, von den
Umständen begünstigt, so vollkommen, daß sie in Bezug auf ihre verfassungs¬
mäßige Gestaltung unter Ihresgleichen einzig dasteht und in diesem Betracht
unter den Universitäten des deutschen Mittelalters das wurde, was das frei-
burger Münster unter den mittelalterlichen Kirchen Deutschlands ist: das
verkörperte Ideal. So aber müssen wir sie etwas genauer in Augenschein
nehmen.

Die Universität Leipzig, bekanntlich durch den Auszug der deutschen
und polnischen Magister und Studenten von der prager entstanden und von
vornherein so gut wie völlig unabhängig von dem Einfluß der weltlichen Macht
hingestellt, kennt nur einen Organismus, in welchem allein das Lehrelpersonal
vollberechtigt ist. Eine Absonderung einzelner Zweige der Gesammtheit zu
selbständiger Existenz, wie der Austritt der prager.Juristen, findet nicht statt.
Dahin gehende Versuche scheitern. Als politische Körperschaft zerfällt die Ani-


hohen Adel ausnahmsweise aus Courtoisie den Rectortitel mit seinen Ehren
verlieh.

In Erfurt (Siiftung der Universität 1392) existirte das Institut der
Nationen gar nicht, so daß die Corporation sich lediglich in Facultäten ver¬
zweigte.

In Ingolstadt bildeten sich bei Gründung der Hochschule (1472) vier
Nationen: die bayerische, die rheinländische, die fränkische und die sächsische;
doch wurden dieselben bald wieder aufgehoben, und es gab fortan hier eben¬
falls nur Facultäten. Der neununddreißigste Rector der Universität war (1486)
ein Student der Medicin, Magnus Airnschmalz, jedoch hatte derselbe die
Magisterwürde erworben, wodurch er einerseits zu den Lehrenden, andrerseits
zur artistischen Facultät gehörte.

Ueber die erste Organisation der übrigen noch im Mittelalter entstandenen
deutschen Universitäten (Leipzig, 1409, Rostock, zehn Jahre darnach, Trier, 1454,
Greifswald, 1456, Freiburg, in demselben Jahre, Mainz und Tübingen, beide
1477 gegründet) sind wir, Leipzig ausgenommen, über das wir durch Zarnckes
hochverdienstliche Bemühungen sehr genaue Kunde erhalten haben, bis jetzt noch
wenig oder gar nicht unterrichtet.

Zeigt sich nun bei fast allen ältern deutschen Hochschulen, die wir näher
betrachten konnten, zwar deutlich die oben erwähnte Tendenz, sich in doppelter
Weise zu gliedern und daneben der Artistenfacultät die ihr als der Basis der
drei übrigen Facultäten gebührende Geltung zu erhalten, so gelang es doch
keiner der bisher ins Auge gefaßten, eine organische Einheit in diesem Sinne
ganz und auf die Dauer darzustellen, indem Zufall und äußere Einflüsse störend
dazwischentraten, das eine Schiff oder Thürmchen des Baues unvollendet
bleiben ließen, das andere wieder abtrugen oder auch den ganzen Plan ver¬
änderten. Dagegen erreichte die Hochschule zu Leipzig jenes Ziel, von den
Umständen begünstigt, so vollkommen, daß sie in Bezug auf ihre verfassungs¬
mäßige Gestaltung unter Ihresgleichen einzig dasteht und in diesem Betracht
unter den Universitäten des deutschen Mittelalters das wurde, was das frei-
burger Münster unter den mittelalterlichen Kirchen Deutschlands ist: das
verkörperte Ideal. So aber müssen wir sie etwas genauer in Augenschein
nehmen.

Die Universität Leipzig, bekanntlich durch den Auszug der deutschen
und polnischen Magister und Studenten von der prager entstanden und von
vornherein so gut wie völlig unabhängig von dem Einfluß der weltlichen Macht
hingestellt, kennt nur einen Organismus, in welchem allein das Lehrelpersonal
vollberechtigt ist. Eine Absonderung einzelner Zweige der Gesammtheit zu
selbständiger Existenz, wie der Austritt der prager.Juristen, findet nicht statt.
Dahin gehende Versuche scheitern. Als politische Körperschaft zerfällt die Ani-


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[0474] hohen Adel ausnahmsweise aus Courtoisie den Rectortitel mit seinen Ehren verlieh. In Erfurt (Siiftung der Universität 1392) existirte das Institut der Nationen gar nicht, so daß die Corporation sich lediglich in Facultäten ver¬ zweigte. In Ingolstadt bildeten sich bei Gründung der Hochschule (1472) vier Nationen: die bayerische, die rheinländische, die fränkische und die sächsische; doch wurden dieselben bald wieder aufgehoben, und es gab fortan hier eben¬ falls nur Facultäten. Der neununddreißigste Rector der Universität war (1486) ein Student der Medicin, Magnus Airnschmalz, jedoch hatte derselbe die Magisterwürde erworben, wodurch er einerseits zu den Lehrenden, andrerseits zur artistischen Facultät gehörte. Ueber die erste Organisation der übrigen noch im Mittelalter entstandenen deutschen Universitäten (Leipzig, 1409, Rostock, zehn Jahre darnach, Trier, 1454, Greifswald, 1456, Freiburg, in demselben Jahre, Mainz und Tübingen, beide 1477 gegründet) sind wir, Leipzig ausgenommen, über das wir durch Zarnckes hochverdienstliche Bemühungen sehr genaue Kunde erhalten haben, bis jetzt noch wenig oder gar nicht unterrichtet. Zeigt sich nun bei fast allen ältern deutschen Hochschulen, die wir näher betrachten konnten, zwar deutlich die oben erwähnte Tendenz, sich in doppelter Weise zu gliedern und daneben der Artistenfacultät die ihr als der Basis der drei übrigen Facultäten gebührende Geltung zu erhalten, so gelang es doch keiner der bisher ins Auge gefaßten, eine organische Einheit in diesem Sinne ganz und auf die Dauer darzustellen, indem Zufall und äußere Einflüsse störend dazwischentraten, das eine Schiff oder Thürmchen des Baues unvollendet bleiben ließen, das andere wieder abtrugen oder auch den ganzen Plan ver¬ änderten. Dagegen erreichte die Hochschule zu Leipzig jenes Ziel, von den Umständen begünstigt, so vollkommen, daß sie in Bezug auf ihre verfassungs¬ mäßige Gestaltung unter Ihresgleichen einzig dasteht und in diesem Betracht unter den Universitäten des deutschen Mittelalters das wurde, was das frei- burger Münster unter den mittelalterlichen Kirchen Deutschlands ist: das verkörperte Ideal. So aber müssen wir sie etwas genauer in Augenschein nehmen. Die Universität Leipzig, bekanntlich durch den Auszug der deutschen und polnischen Magister und Studenten von der prager entstanden und von vornherein so gut wie völlig unabhängig von dem Einfluß der weltlichen Macht hingestellt, kennt nur einen Organismus, in welchem allein das Lehrelpersonal vollberechtigt ist. Eine Absonderung einzelner Zweige der Gesammtheit zu selbständiger Existenz, wie der Austritt der prager.Juristen, findet nicht statt. Dahin gehende Versuche scheitern. Als politische Körperschaft zerfällt die Ani-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/474>, abgerufen am 01.07.2024.