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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Facultäten, gewiß, daß sie Nationen hatte. Letztere waren vier an Zahl: die
böhmische, welche die Westslaven und Ungarn, die polnische, welche die Ost¬
slaven, die bayerische, welche die Süddeutschen und die Rheinländer, endlich
die sächsische, welche alle Norddeutschen und die Skandinavier umfaßte. Ur¬
sprünglich herrschte hinsichtlich der Berechtigung der Lehrer und der Lernenden
eine Mischung des pariser und des bologneser Princips: der Rector konnte
sowohl aus den Magistern als aus den Studenten genommen werden, und in
der Congregation der Universität hatten diese wie jene gleiche Stimme. 1392
aber gelangte auch hier die pariser Auffassung, nach welcher nur die Lehrer
stimm- und wahlfähig waren, zur vollen Geltung. Der Rector wurde bis
1368 aus der Artistenfacultät gewählt. Zu einer vollständigen Ausprägung
des pariser Begriffs der univerLitg-s kam es nicht, einmal weil alle Ordens¬
geistlichen, deren es sowohl unter den Graduirten als unter den Studenten viele
gab, der Jurisdiktion des Rectors und der Universität entzogen waren, sodann
weil 1372 die Juristen ganz aus dem gemeinsamen Verbände schieden und sich
zu einer besondern Fachschule mit eignem Rector und eignen Collegien zu¬
sammenthaten.

Wien war anfänglich dem pariser Muster nachgebildet. 1365 gegründet,
hatte es neben vier Nationen: der östreichischen, rheinischen, ungarischen und
sächsischen, die gewöhnlichen vier Facultäten. und Rector konnte nur ein Magister
der philosophischen Facultät werden. Später indeß, unter Albrecht dem Dritten,
traten einestheils die Nationen mehr zurück und die Facultäten in die erste
Reihe, anderntheils wurden letztere gleichberechtigt und von einander unabhängig.
Noch später, im fünfzehnten Jahrhundert, waren die Nationen ganz einflußlos
und damit eine bloße Form geworden.

Durchaus nach dem Vorbilde von Paris wurde 1388 die Universität zu Köln
eingerichtet, wo bereits hundert Jahre vorher eine weitberühmte Dominikaner¬
schule geblüht, an welcher Albertus'Magnus und dessen großer Schüler Thomas
von Aquino gelehrt hatten.

Demselben Muster wie in Köln folgte man bei der Organisation der Hoch¬
schule, welche 1386 von dem Pfalzgrafen Robert, hauptsächlich unter Mit¬
wirkung des Nominalisten Marsilius von Ingber zu Heidelberg gestiftet
Wurde. Indeß kam es daselbst bald dahin, daß die bevorzugte Stellung der
Artistenfacultät erschüttert wurde, und schon ein Jahr nach dem Tode jenes
berühmten Scholastikers, 1393, konnte hier der Rector aus und von allen
Facultäten gewählt werden. Ferner scheint in Heidelberg die vom Stiftungs-
briefe angeordnete Theilung in Nationen niemals ins Leben getreten zu sein.
Endlich kann noch auffallen, daß hier 1614 und 1525 ein Student die Rector-
würde bekleidete, beide Male ein Graf von Henneberg. Indeß geschah es auch
an andern deutschen Universitäten bisweilen, daß man Studirenden vom


Facultäten, gewiß, daß sie Nationen hatte. Letztere waren vier an Zahl: die
böhmische, welche die Westslaven und Ungarn, die polnische, welche die Ost¬
slaven, die bayerische, welche die Süddeutschen und die Rheinländer, endlich
die sächsische, welche alle Norddeutschen und die Skandinavier umfaßte. Ur¬
sprünglich herrschte hinsichtlich der Berechtigung der Lehrer und der Lernenden
eine Mischung des pariser und des bologneser Princips: der Rector konnte
sowohl aus den Magistern als aus den Studenten genommen werden, und in
der Congregation der Universität hatten diese wie jene gleiche Stimme. 1392
aber gelangte auch hier die pariser Auffassung, nach welcher nur die Lehrer
stimm- und wahlfähig waren, zur vollen Geltung. Der Rector wurde bis
1368 aus der Artistenfacultät gewählt. Zu einer vollständigen Ausprägung
des pariser Begriffs der univerLitg-s kam es nicht, einmal weil alle Ordens¬
geistlichen, deren es sowohl unter den Graduirten als unter den Studenten viele
gab, der Jurisdiktion des Rectors und der Universität entzogen waren, sodann
weil 1372 die Juristen ganz aus dem gemeinsamen Verbände schieden und sich
zu einer besondern Fachschule mit eignem Rector und eignen Collegien zu¬
sammenthaten.

Wien war anfänglich dem pariser Muster nachgebildet. 1365 gegründet,
hatte es neben vier Nationen: der östreichischen, rheinischen, ungarischen und
sächsischen, die gewöhnlichen vier Facultäten. und Rector konnte nur ein Magister
der philosophischen Facultät werden. Später indeß, unter Albrecht dem Dritten,
traten einestheils die Nationen mehr zurück und die Facultäten in die erste
Reihe, anderntheils wurden letztere gleichberechtigt und von einander unabhängig.
Noch später, im fünfzehnten Jahrhundert, waren die Nationen ganz einflußlos
und damit eine bloße Form geworden.

Durchaus nach dem Vorbilde von Paris wurde 1388 die Universität zu Köln
eingerichtet, wo bereits hundert Jahre vorher eine weitberühmte Dominikaner¬
schule geblüht, an welcher Albertus'Magnus und dessen großer Schüler Thomas
von Aquino gelehrt hatten.

Demselben Muster wie in Köln folgte man bei der Organisation der Hoch¬
schule, welche 1386 von dem Pfalzgrafen Robert, hauptsächlich unter Mit¬
wirkung des Nominalisten Marsilius von Ingber zu Heidelberg gestiftet
Wurde. Indeß kam es daselbst bald dahin, daß die bevorzugte Stellung der
Artistenfacultät erschüttert wurde, und schon ein Jahr nach dem Tode jenes
berühmten Scholastikers, 1393, konnte hier der Rector aus und von allen
Facultäten gewählt werden. Ferner scheint in Heidelberg die vom Stiftungs-
briefe angeordnete Theilung in Nationen niemals ins Leben getreten zu sein.
Endlich kann noch auffallen, daß hier 1614 und 1525 ein Student die Rector-
würde bekleidete, beide Male ein Graf von Henneberg. Indeß geschah es auch
an andern deutschen Universitäten bisweilen, daß man Studirenden vom


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[0473] Facultäten, gewiß, daß sie Nationen hatte. Letztere waren vier an Zahl: die böhmische, welche die Westslaven und Ungarn, die polnische, welche die Ost¬ slaven, die bayerische, welche die Süddeutschen und die Rheinländer, endlich die sächsische, welche alle Norddeutschen und die Skandinavier umfaßte. Ur¬ sprünglich herrschte hinsichtlich der Berechtigung der Lehrer und der Lernenden eine Mischung des pariser und des bologneser Princips: der Rector konnte sowohl aus den Magistern als aus den Studenten genommen werden, und in der Congregation der Universität hatten diese wie jene gleiche Stimme. 1392 aber gelangte auch hier die pariser Auffassung, nach welcher nur die Lehrer stimm- und wahlfähig waren, zur vollen Geltung. Der Rector wurde bis 1368 aus der Artistenfacultät gewählt. Zu einer vollständigen Ausprägung des pariser Begriffs der univerLitg-s kam es nicht, einmal weil alle Ordens¬ geistlichen, deren es sowohl unter den Graduirten als unter den Studenten viele gab, der Jurisdiktion des Rectors und der Universität entzogen waren, sodann weil 1372 die Juristen ganz aus dem gemeinsamen Verbände schieden und sich zu einer besondern Fachschule mit eignem Rector und eignen Collegien zu¬ sammenthaten. Wien war anfänglich dem pariser Muster nachgebildet. 1365 gegründet, hatte es neben vier Nationen: der östreichischen, rheinischen, ungarischen und sächsischen, die gewöhnlichen vier Facultäten. und Rector konnte nur ein Magister der philosophischen Facultät werden. Später indeß, unter Albrecht dem Dritten, traten einestheils die Nationen mehr zurück und die Facultäten in die erste Reihe, anderntheils wurden letztere gleichberechtigt und von einander unabhängig. Noch später, im fünfzehnten Jahrhundert, waren die Nationen ganz einflußlos und damit eine bloße Form geworden. Durchaus nach dem Vorbilde von Paris wurde 1388 die Universität zu Köln eingerichtet, wo bereits hundert Jahre vorher eine weitberühmte Dominikaner¬ schule geblüht, an welcher Albertus'Magnus und dessen großer Schüler Thomas von Aquino gelehrt hatten. Demselben Muster wie in Köln folgte man bei der Organisation der Hoch¬ schule, welche 1386 von dem Pfalzgrafen Robert, hauptsächlich unter Mit¬ wirkung des Nominalisten Marsilius von Ingber zu Heidelberg gestiftet Wurde. Indeß kam es daselbst bald dahin, daß die bevorzugte Stellung der Artistenfacultät erschüttert wurde, und schon ein Jahr nach dem Tode jenes berühmten Scholastikers, 1393, konnte hier der Rector aus und von allen Facultäten gewählt werden. Ferner scheint in Heidelberg die vom Stiftungs- briefe angeordnete Theilung in Nationen niemals ins Leben getreten zu sein. Endlich kann noch auffallen, daß hier 1614 und 1525 ein Student die Rector- würde bekleidete, beide Male ein Graf von Henneberg. Indeß geschah es auch an andern deutschen Universitäten bisweilen, daß man Studirenden vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/473>, abgerufen am 01.07.2024.