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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Die pariser Universität war anfänglich ebenso wie Bologna organisirt.
d. t>. nur als politische Gemeinde gegliedert, indem sie seit 1206 in vier Nationen:
die Franzosen (welchen die Spanier, Portugiesen und Griechen beigezählt wur¬
den), die Allemannen (Deutsche und Engländer), die Normannen und Picarden
zerfiel. An der Spitze jeder Nation stand ein Procurator, an der Spitze des
Ganzen ein Rector. Als lehrende Körperschaft war die Universität im ganzen
ersten Säculum ihres Bestehens, wo ihr Zweck einfach Vermittelung höheren
Wissens ohne bestimmte Richtung auf Fachdisciplienen war. ein ungespaltenes
Ganze. Erst als Theologie, Jurisprudenz und Medicin festere Gestalt und
selbständigere Bedeutung gewonnen, in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahr¬
hunderts, lösten sich die Vertreter derselben von den übrigen Repräsentanten
gelehrter Bildung ab und constituirten sich als besondere Genossenschaften, die sich
Facultäten nannten, und von denen jede einen Dekan zum Vorstand hatte.
Die Zurückbleibenden, dadurch thatsächlich gleichfalls in die Stellung einer
Facultät gekommen, konnten den Ausscheidenden zwar nicht das Recht, zur
Gesammtkörperschaft zu gehören, absprechen, wohl aber behielten sie allein, als
die den alten Begriff der universitas darstellende Stammcorporation, die bis¬
herige Gliederung und ebenso einen bestimmten Theil der bis dahin von der
ganzen gelehrten Gemeinde besessenen und ausgeübten Befugnisse. Nur sie,
die Mitglieder der nunmehrigen philosophischen oder Artistenfacultät, zerfielen
in Nationen, und nur aus ihnen wurde, obwohl die drei andern Facultäten,
namentlich die theologische, als die vornehmeren galten, der Rector gewählt.
Nur in Ausnahmefällen, wo die Nationen der Mutterfacultät sich über die
Wahl eines solchen nicht einigen konnten, trat für dieselben der Dekan der
Theologen, als Vorsteher der höchsten unter den von der frühern Allgemeinheit
abgezweigten andern Gelehrtenzünfte, ein, um die Universitätsversammlung
zu berufen.

Die Nationen aber hatten zu Mitgliedern lediglich die zum Lehren Be-
fugten (maxistri); die nur Lernenden (seolarks) waren blos Angehörige. Allein
aus und von den Magistern wurde der Rector gewählt. Nur sie waren, wenn
wir die Universität mit ähnlichen Bildungen des Mittelalters vergleichen, Voll¬
bürger, nur sie Meister, die Studenten nur Schutzbefohlene und sofern sie das
Baccalaureat erlangt, Gesellen, sofern sie dieses nicht erlangt, Lehrlinge.

Mit diesem Organismus wurde Paris, wie angedeutet, das Muster fast
aller im Mittelalter gegründeten Hochschulen, der meisten italienischen, z. B.
PaduaS und Neapels, der englischen, der spanischen und schließlich auch der
ältesten deutschen. Doch führten die Verhältnisse bei mehren der letzteren erheb¬
liche Abweichungen von der pariser Verfassung herbei.

Die ersten Jahrzehnte der prager Universität sind von Dunkel umgeben.
Nur sehr wahrscheinlich ist, daß sie von Anfang an (sie wurde 1348 gestiftet)


Die pariser Universität war anfänglich ebenso wie Bologna organisirt.
d. t>. nur als politische Gemeinde gegliedert, indem sie seit 1206 in vier Nationen:
die Franzosen (welchen die Spanier, Portugiesen und Griechen beigezählt wur¬
den), die Allemannen (Deutsche und Engländer), die Normannen und Picarden
zerfiel. An der Spitze jeder Nation stand ein Procurator, an der Spitze des
Ganzen ein Rector. Als lehrende Körperschaft war die Universität im ganzen
ersten Säculum ihres Bestehens, wo ihr Zweck einfach Vermittelung höheren
Wissens ohne bestimmte Richtung auf Fachdisciplienen war. ein ungespaltenes
Ganze. Erst als Theologie, Jurisprudenz und Medicin festere Gestalt und
selbständigere Bedeutung gewonnen, in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahr¬
hunderts, lösten sich die Vertreter derselben von den übrigen Repräsentanten
gelehrter Bildung ab und constituirten sich als besondere Genossenschaften, die sich
Facultäten nannten, und von denen jede einen Dekan zum Vorstand hatte.
Die Zurückbleibenden, dadurch thatsächlich gleichfalls in die Stellung einer
Facultät gekommen, konnten den Ausscheidenden zwar nicht das Recht, zur
Gesammtkörperschaft zu gehören, absprechen, wohl aber behielten sie allein, als
die den alten Begriff der universitas darstellende Stammcorporation, die bis¬
herige Gliederung und ebenso einen bestimmten Theil der bis dahin von der
ganzen gelehrten Gemeinde besessenen und ausgeübten Befugnisse. Nur sie,
die Mitglieder der nunmehrigen philosophischen oder Artistenfacultät, zerfielen
in Nationen, und nur aus ihnen wurde, obwohl die drei andern Facultäten,
namentlich die theologische, als die vornehmeren galten, der Rector gewählt.
Nur in Ausnahmefällen, wo die Nationen der Mutterfacultät sich über die
Wahl eines solchen nicht einigen konnten, trat für dieselben der Dekan der
Theologen, als Vorsteher der höchsten unter den von der frühern Allgemeinheit
abgezweigten andern Gelehrtenzünfte, ein, um die Universitätsversammlung
zu berufen.

Die Nationen aber hatten zu Mitgliedern lediglich die zum Lehren Be-
fugten (maxistri); die nur Lernenden (seolarks) waren blos Angehörige. Allein
aus und von den Magistern wurde der Rector gewählt. Nur sie waren, wenn
wir die Universität mit ähnlichen Bildungen des Mittelalters vergleichen, Voll¬
bürger, nur sie Meister, die Studenten nur Schutzbefohlene und sofern sie das
Baccalaureat erlangt, Gesellen, sofern sie dieses nicht erlangt, Lehrlinge.

Mit diesem Organismus wurde Paris, wie angedeutet, das Muster fast
aller im Mittelalter gegründeten Hochschulen, der meisten italienischen, z. B.
PaduaS und Neapels, der englischen, der spanischen und schließlich auch der
ältesten deutschen. Doch führten die Verhältnisse bei mehren der letzteren erheb¬
liche Abweichungen von der pariser Verfassung herbei.

Die ersten Jahrzehnte der prager Universität sind von Dunkel umgeben.
Nur sehr wahrscheinlich ist, daß sie von Anfang an (sie wurde 1348 gestiftet)


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[0472] Die pariser Universität war anfänglich ebenso wie Bologna organisirt. d. t>. nur als politische Gemeinde gegliedert, indem sie seit 1206 in vier Nationen: die Franzosen (welchen die Spanier, Portugiesen und Griechen beigezählt wur¬ den), die Allemannen (Deutsche und Engländer), die Normannen und Picarden zerfiel. An der Spitze jeder Nation stand ein Procurator, an der Spitze des Ganzen ein Rector. Als lehrende Körperschaft war die Universität im ganzen ersten Säculum ihres Bestehens, wo ihr Zweck einfach Vermittelung höheren Wissens ohne bestimmte Richtung auf Fachdisciplienen war. ein ungespaltenes Ganze. Erst als Theologie, Jurisprudenz und Medicin festere Gestalt und selbständigere Bedeutung gewonnen, in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahr¬ hunderts, lösten sich die Vertreter derselben von den übrigen Repräsentanten gelehrter Bildung ab und constituirten sich als besondere Genossenschaften, die sich Facultäten nannten, und von denen jede einen Dekan zum Vorstand hatte. Die Zurückbleibenden, dadurch thatsächlich gleichfalls in die Stellung einer Facultät gekommen, konnten den Ausscheidenden zwar nicht das Recht, zur Gesammtkörperschaft zu gehören, absprechen, wohl aber behielten sie allein, als die den alten Begriff der universitas darstellende Stammcorporation, die bis¬ herige Gliederung und ebenso einen bestimmten Theil der bis dahin von der ganzen gelehrten Gemeinde besessenen und ausgeübten Befugnisse. Nur sie, die Mitglieder der nunmehrigen philosophischen oder Artistenfacultät, zerfielen in Nationen, und nur aus ihnen wurde, obwohl die drei andern Facultäten, namentlich die theologische, als die vornehmeren galten, der Rector gewählt. Nur in Ausnahmefällen, wo die Nationen der Mutterfacultät sich über die Wahl eines solchen nicht einigen konnten, trat für dieselben der Dekan der Theologen, als Vorsteher der höchsten unter den von der frühern Allgemeinheit abgezweigten andern Gelehrtenzünfte, ein, um die Universitätsversammlung zu berufen. Die Nationen aber hatten zu Mitgliedern lediglich die zum Lehren Be- fugten (maxistri); die nur Lernenden (seolarks) waren blos Angehörige. Allein aus und von den Magistern wurde der Rector gewählt. Nur sie waren, wenn wir die Universität mit ähnlichen Bildungen des Mittelalters vergleichen, Voll¬ bürger, nur sie Meister, die Studenten nur Schutzbefohlene und sofern sie das Baccalaureat erlangt, Gesellen, sofern sie dieses nicht erlangt, Lehrlinge. Mit diesem Organismus wurde Paris, wie angedeutet, das Muster fast aller im Mittelalter gegründeten Hochschulen, der meisten italienischen, z. B. PaduaS und Neapels, der englischen, der spanischen und schließlich auch der ältesten deutschen. Doch führten die Verhältnisse bei mehren der letzteren erheb¬ liche Abweichungen von der pariser Verfassung herbei. Die ersten Jahrzehnte der prager Universität sind von Dunkel umgeben. Nur sehr wahrscheinlich ist, daß sie von Anfang an (sie wurde 1348 gestiftet)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/472>, abgerufen am 01.07.2024.