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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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vollen Ganzen. Die Formengebung ist bei diesem vorzugsweis decorativer
Werk eine mehr allgemeine und dringt nicht über eine gewisse äußere Fertigkeit des
an der Antike gebildeten Stils hinaus.

Und darin ist Schievelbein auch in seinen folgenden Arbeiten sich ziemlich
ähnlich geblieben. Ich nenne von solchen die Statue des Engels Rafael. des
Begleiters Tobia, des Schutzgenius der Wanderer, die bei Potsdam an der
brandenburger Chaussee ihre Aufstellung fand, eine jugendliche Gestalt voll
stiller, feierlicher Anmuth, in geschürzten Gewände leicht dahinschreitend; die
Gruppe für die Hintere Dachseite des Alten Museums: Pegasus von der Muse
getränkt; das Kvlvssalrelief, welches er, entsprechend dem von Gustav Bläser
für das diesseitige, für das jenseitige Thor der Weichselbrücke bei Dichhau mit
den dazu gehörigen Zwickelfiguren modellirte. Er durste sich seinem Stoff ge¬
genüber freier bewegen, als jener bei dem im vorigen Artikel genannten. Denn
den Einzug des Christenthums in Preußen durch den deutschen Orden und
dessen Siege in großen historisch-symbolischen Zügen zu veranschaulichen, war
seine Aufgabe. Der Hochmeister auf mächtig daherschreitendcm Streitroß, ein pre¬
digender Bischof und reisiges Heergefolge deutscher Ritter um und hinter ihm,
zerstörte Götzenbilder, gefesselte Fürsten, bekehrte Männer und Weiber des unter¬
worfenen Preußen- und Lithaucrvolks -- daraus bildete er seine Komposition
in ruhiger, bedeutender und ernster Wirkung, breiter und derber in den Formen
und in der Behandlungsart, wie es sonst wohl seine Weise ist. Zu den Zwickel¬
figuren wurden dann die beiden Ordensmeister Winrich von Kniprode und
Meinhard von Querfurt gewählt, deren etwas gezwungene Komposition in den
gegebenen Raum hinein freilich den Vergleich mit der höchst freien, sich so be¬
quem und scheinbar selbstwillig in den vorhandnen Raum einschmiegenden der
gegenüberliegenden bereits erwähnten Figuren Bläsers, des Arbeiters und des
Ingenieurs, nicht aushalten kann.

Ebenso wie an diesem dirschauer Brückenthor bildete er auch an dem der
marienburger Nogatbrücke ein Gegenüber für ein von jenem Kunstgenossen
modellirtes Werk. Für dessen Albrecht von Brandenburg einen kolossalen Herr¬
mann von Salza; da Portraits von diesem ersten deutsch-ritterlichen Pionier
des heidnischen Preußens nicht überliefert sind, eine ganz freie Phantasieschöpfung
in der schönen Tracht der Blüthe des Mittelalters, eng anliegendem Ketten¬
harnisch über Leib und Glieder, mit weitfaltigem Ordensmantel, mit Schwert
und kaiserlicher Berleihungsurkunde in Händen, eine edle und mächtige Monu¬
mentalfigur von vortrefflicher Wirkung, von welcher man eine feinere Indi-
vidualisirung freilich nicht verlangen kann. Mir scheint immer, nach der
Brückengruppe und dem Fries im Museumshof zu urtheilen, als ob die wahren
naturgemäßen Aufgaben für Schievelbeins Talent doch eigentlich auf einem
andern Gebiet zu suchen wären, als auf dem, welchem die letztgenannten Gegen-


vollen Ganzen. Die Formengebung ist bei diesem vorzugsweis decorativer
Werk eine mehr allgemeine und dringt nicht über eine gewisse äußere Fertigkeit des
an der Antike gebildeten Stils hinaus.

Und darin ist Schievelbein auch in seinen folgenden Arbeiten sich ziemlich
ähnlich geblieben. Ich nenne von solchen die Statue des Engels Rafael. des
Begleiters Tobia, des Schutzgenius der Wanderer, die bei Potsdam an der
brandenburger Chaussee ihre Aufstellung fand, eine jugendliche Gestalt voll
stiller, feierlicher Anmuth, in geschürzten Gewände leicht dahinschreitend; die
Gruppe für die Hintere Dachseite des Alten Museums: Pegasus von der Muse
getränkt; das Kvlvssalrelief, welches er, entsprechend dem von Gustav Bläser
für das diesseitige, für das jenseitige Thor der Weichselbrücke bei Dichhau mit
den dazu gehörigen Zwickelfiguren modellirte. Er durste sich seinem Stoff ge¬
genüber freier bewegen, als jener bei dem im vorigen Artikel genannten. Denn
den Einzug des Christenthums in Preußen durch den deutschen Orden und
dessen Siege in großen historisch-symbolischen Zügen zu veranschaulichen, war
seine Aufgabe. Der Hochmeister auf mächtig daherschreitendcm Streitroß, ein pre¬
digender Bischof und reisiges Heergefolge deutscher Ritter um und hinter ihm,
zerstörte Götzenbilder, gefesselte Fürsten, bekehrte Männer und Weiber des unter¬
worfenen Preußen- und Lithaucrvolks — daraus bildete er seine Komposition
in ruhiger, bedeutender und ernster Wirkung, breiter und derber in den Formen
und in der Behandlungsart, wie es sonst wohl seine Weise ist. Zu den Zwickel¬
figuren wurden dann die beiden Ordensmeister Winrich von Kniprode und
Meinhard von Querfurt gewählt, deren etwas gezwungene Komposition in den
gegebenen Raum hinein freilich den Vergleich mit der höchst freien, sich so be¬
quem und scheinbar selbstwillig in den vorhandnen Raum einschmiegenden der
gegenüberliegenden bereits erwähnten Figuren Bläsers, des Arbeiters und des
Ingenieurs, nicht aushalten kann.

Ebenso wie an diesem dirschauer Brückenthor bildete er auch an dem der
marienburger Nogatbrücke ein Gegenüber für ein von jenem Kunstgenossen
modellirtes Werk. Für dessen Albrecht von Brandenburg einen kolossalen Herr¬
mann von Salza; da Portraits von diesem ersten deutsch-ritterlichen Pionier
des heidnischen Preußens nicht überliefert sind, eine ganz freie Phantasieschöpfung
in der schönen Tracht der Blüthe des Mittelalters, eng anliegendem Ketten¬
harnisch über Leib und Glieder, mit weitfaltigem Ordensmantel, mit Schwert
und kaiserlicher Berleihungsurkunde in Händen, eine edle und mächtige Monu¬
mentalfigur von vortrefflicher Wirkung, von welcher man eine feinere Indi-
vidualisirung freilich nicht verlangen kann. Mir scheint immer, nach der
Brückengruppe und dem Fries im Museumshof zu urtheilen, als ob die wahren
naturgemäßen Aufgaben für Schievelbeins Talent doch eigentlich auf einem
andern Gebiet zu suchen wären, als auf dem, welchem die letztgenannten Gegen-


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[0458] vollen Ganzen. Die Formengebung ist bei diesem vorzugsweis decorativer Werk eine mehr allgemeine und dringt nicht über eine gewisse äußere Fertigkeit des an der Antike gebildeten Stils hinaus. Und darin ist Schievelbein auch in seinen folgenden Arbeiten sich ziemlich ähnlich geblieben. Ich nenne von solchen die Statue des Engels Rafael. des Begleiters Tobia, des Schutzgenius der Wanderer, die bei Potsdam an der brandenburger Chaussee ihre Aufstellung fand, eine jugendliche Gestalt voll stiller, feierlicher Anmuth, in geschürzten Gewände leicht dahinschreitend; die Gruppe für die Hintere Dachseite des Alten Museums: Pegasus von der Muse getränkt; das Kvlvssalrelief, welches er, entsprechend dem von Gustav Bläser für das diesseitige, für das jenseitige Thor der Weichselbrücke bei Dichhau mit den dazu gehörigen Zwickelfiguren modellirte. Er durste sich seinem Stoff ge¬ genüber freier bewegen, als jener bei dem im vorigen Artikel genannten. Denn den Einzug des Christenthums in Preußen durch den deutschen Orden und dessen Siege in großen historisch-symbolischen Zügen zu veranschaulichen, war seine Aufgabe. Der Hochmeister auf mächtig daherschreitendcm Streitroß, ein pre¬ digender Bischof und reisiges Heergefolge deutscher Ritter um und hinter ihm, zerstörte Götzenbilder, gefesselte Fürsten, bekehrte Männer und Weiber des unter¬ worfenen Preußen- und Lithaucrvolks — daraus bildete er seine Komposition in ruhiger, bedeutender und ernster Wirkung, breiter und derber in den Formen und in der Behandlungsart, wie es sonst wohl seine Weise ist. Zu den Zwickel¬ figuren wurden dann die beiden Ordensmeister Winrich von Kniprode und Meinhard von Querfurt gewählt, deren etwas gezwungene Komposition in den gegebenen Raum hinein freilich den Vergleich mit der höchst freien, sich so be¬ quem und scheinbar selbstwillig in den vorhandnen Raum einschmiegenden der gegenüberliegenden bereits erwähnten Figuren Bläsers, des Arbeiters und des Ingenieurs, nicht aushalten kann. Ebenso wie an diesem dirschauer Brückenthor bildete er auch an dem der marienburger Nogatbrücke ein Gegenüber für ein von jenem Kunstgenossen modellirtes Werk. Für dessen Albrecht von Brandenburg einen kolossalen Herr¬ mann von Salza; da Portraits von diesem ersten deutsch-ritterlichen Pionier des heidnischen Preußens nicht überliefert sind, eine ganz freie Phantasieschöpfung in der schönen Tracht der Blüthe des Mittelalters, eng anliegendem Ketten¬ harnisch über Leib und Glieder, mit weitfaltigem Ordensmantel, mit Schwert und kaiserlicher Berleihungsurkunde in Händen, eine edle und mächtige Monu¬ mentalfigur von vortrefflicher Wirkung, von welcher man eine feinere Indi- vidualisirung freilich nicht verlangen kann. Mir scheint immer, nach der Brückengruppe und dem Fries im Museumshof zu urtheilen, als ob die wahren naturgemäßen Aufgaben für Schievelbeins Talent doch eigentlich auf einem andern Gebiet zu suchen wären, als auf dem, welchem die letztgenannten Gegen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/458>, abgerufen am 01.07.2024.