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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Die berliner BildlMerschule.
4.

Mit den letztgenannten Schülern Rauchs bald im Wettstreit, bald in nahem
Zusammenwirken, stand und steht ein um wenige Jahre jüngerer Künstler der
gleichen Bildhauergenerativn, Friedrich Hermann Schievelbein (geb.
Berlin 1818). Nicht in derselben Werkstatt, sondern in der Ludwig Wichmanns
hat er seine Bildung gesunden. 1842 errang er den Preis für die römische
Studienreise in der akademischen Bewerbung; benutzte diesen zunächst nur für
ein Jahr und wurde durch eine sich ihm darbietende Gelegenheit zu großen
decorativer Arbeiten und bedeutendem Verdienst nach Petersburg geführt, wo
ihn jene Thätigkeit bis über die Mitte der vierziger Jahre hinaus festhielt. Als
er nach Berlin zurückgekehrt, ließen auch hier die großen Austräge für ihn nicht
auf sich warten. Eine der acht Schloßbrückengruppen, ein großer Fries für den
griechisch-römischen Hof des Neuen Museums. Neliefcompositivnen für jenen
1849 bei Sanssouci errichteten kleinen Triumphbogen, mit welchem man die --
Siege des Prinzen von Preußen in Baden feierte; früher noch einige kolossale
Apostelgestallen für eine Kirche in Helsingfors sind darunter besonders zu nennen.
Schievelbeins Brückengruppe ist der Reihe nach (von den Linden auf der rechten
Seite beginnend) die zweite: Pallas unterrichtet den Jüngling in der Führung
der Waffen, im Speerwurf. Modell und Marmorausführung beschäftigten ihn
bis 1853.

Schievelbeins Talent verdient vorzugsweis die Bezeichnung eines "liebens¬
würdigen". An Ernst und Solidität der Arbeit läßt er nichts vermissen, an
Gewissen hafiigkeit steht er gegen keinen der Schüler Rauchs zurück. Aber man
glaubt der Mehrzahl seiner Arbeiten etwas von der gleichen Hinneigung zu der
weichern Grazie anzusehn, welche denen seines Meislcro Wichmann eigenthüm¬
lich war. Nur erscheint diese bei Schievelbein viel gehn über, weniger in schwäch¬
liche Zierlichkeit ausartend. So ist über jene Gruppe von ihm der Hauch einer
jugendlichen Anmuth gebreitet, der sie aus ihrer ganzen Umgebung heraushebt.
Sie mildert und vermenschlicht die Hoheit der Gestalt und des Antlitzes der
jungfräulichen Göttin und schmückt den frischen. elastischen Körper des Jüng¬
lings, dessen Speer diese lenkt, mit blühendem Liebreiz. An dieser schönen
Gruppe und speciell dieser Jünglingsgestalt ist nur das wunderliche Aushilfs¬
mittel zu bedauern, durch welches sich Schievelbein aus einer gewiß überflüssigen
Verlegenheit zu ziehn gedachte, bereitet von einem hier sehr deplacirten modernen


Die berliner BildlMerschule.
4.

Mit den letztgenannten Schülern Rauchs bald im Wettstreit, bald in nahem
Zusammenwirken, stand und steht ein um wenige Jahre jüngerer Künstler der
gleichen Bildhauergenerativn, Friedrich Hermann Schievelbein (geb.
Berlin 1818). Nicht in derselben Werkstatt, sondern in der Ludwig Wichmanns
hat er seine Bildung gesunden. 1842 errang er den Preis für die römische
Studienreise in der akademischen Bewerbung; benutzte diesen zunächst nur für
ein Jahr und wurde durch eine sich ihm darbietende Gelegenheit zu großen
decorativer Arbeiten und bedeutendem Verdienst nach Petersburg geführt, wo
ihn jene Thätigkeit bis über die Mitte der vierziger Jahre hinaus festhielt. Als
er nach Berlin zurückgekehrt, ließen auch hier die großen Austräge für ihn nicht
auf sich warten. Eine der acht Schloßbrückengruppen, ein großer Fries für den
griechisch-römischen Hof des Neuen Museums. Neliefcompositivnen für jenen
1849 bei Sanssouci errichteten kleinen Triumphbogen, mit welchem man die —
Siege des Prinzen von Preußen in Baden feierte; früher noch einige kolossale
Apostelgestallen für eine Kirche in Helsingfors sind darunter besonders zu nennen.
Schievelbeins Brückengruppe ist der Reihe nach (von den Linden auf der rechten
Seite beginnend) die zweite: Pallas unterrichtet den Jüngling in der Führung
der Waffen, im Speerwurf. Modell und Marmorausführung beschäftigten ihn
bis 1853.

Schievelbeins Talent verdient vorzugsweis die Bezeichnung eines „liebens¬
würdigen". An Ernst und Solidität der Arbeit läßt er nichts vermissen, an
Gewissen hafiigkeit steht er gegen keinen der Schüler Rauchs zurück. Aber man
glaubt der Mehrzahl seiner Arbeiten etwas von der gleichen Hinneigung zu der
weichern Grazie anzusehn, welche denen seines Meislcro Wichmann eigenthüm¬
lich war. Nur erscheint diese bei Schievelbein viel gehn über, weniger in schwäch¬
liche Zierlichkeit ausartend. So ist über jene Gruppe von ihm der Hauch einer
jugendlichen Anmuth gebreitet, der sie aus ihrer ganzen Umgebung heraushebt.
Sie mildert und vermenschlicht die Hoheit der Gestalt und des Antlitzes der
jungfräulichen Göttin und schmückt den frischen. elastischen Körper des Jüng¬
lings, dessen Speer diese lenkt, mit blühendem Liebreiz. An dieser schönen
Gruppe und speciell dieser Jünglingsgestalt ist nur das wunderliche Aushilfs¬
mittel zu bedauern, durch welches sich Schievelbein aus einer gewiß überflüssigen
Verlegenheit zu ziehn gedachte, bereitet von einem hier sehr deplacirten modernen


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[0456] Die berliner BildlMerschule. 4. Mit den letztgenannten Schülern Rauchs bald im Wettstreit, bald in nahem Zusammenwirken, stand und steht ein um wenige Jahre jüngerer Künstler der gleichen Bildhauergenerativn, Friedrich Hermann Schievelbein (geb. Berlin 1818). Nicht in derselben Werkstatt, sondern in der Ludwig Wichmanns hat er seine Bildung gesunden. 1842 errang er den Preis für die römische Studienreise in der akademischen Bewerbung; benutzte diesen zunächst nur für ein Jahr und wurde durch eine sich ihm darbietende Gelegenheit zu großen decorativer Arbeiten und bedeutendem Verdienst nach Petersburg geführt, wo ihn jene Thätigkeit bis über die Mitte der vierziger Jahre hinaus festhielt. Als er nach Berlin zurückgekehrt, ließen auch hier die großen Austräge für ihn nicht auf sich warten. Eine der acht Schloßbrückengruppen, ein großer Fries für den griechisch-römischen Hof des Neuen Museums. Neliefcompositivnen für jenen 1849 bei Sanssouci errichteten kleinen Triumphbogen, mit welchem man die — Siege des Prinzen von Preußen in Baden feierte; früher noch einige kolossale Apostelgestallen für eine Kirche in Helsingfors sind darunter besonders zu nennen. Schievelbeins Brückengruppe ist der Reihe nach (von den Linden auf der rechten Seite beginnend) die zweite: Pallas unterrichtet den Jüngling in der Führung der Waffen, im Speerwurf. Modell und Marmorausführung beschäftigten ihn bis 1853. Schievelbeins Talent verdient vorzugsweis die Bezeichnung eines „liebens¬ würdigen". An Ernst und Solidität der Arbeit läßt er nichts vermissen, an Gewissen hafiigkeit steht er gegen keinen der Schüler Rauchs zurück. Aber man glaubt der Mehrzahl seiner Arbeiten etwas von der gleichen Hinneigung zu der weichern Grazie anzusehn, welche denen seines Meislcro Wichmann eigenthüm¬ lich war. Nur erscheint diese bei Schievelbein viel gehn über, weniger in schwäch¬ liche Zierlichkeit ausartend. So ist über jene Gruppe von ihm der Hauch einer jugendlichen Anmuth gebreitet, der sie aus ihrer ganzen Umgebung heraushebt. Sie mildert und vermenschlicht die Hoheit der Gestalt und des Antlitzes der jungfräulichen Göttin und schmückt den frischen. elastischen Körper des Jüng¬ lings, dessen Speer diese lenkt, mit blühendem Liebreiz. An dieser schönen Gruppe und speciell dieser Jünglingsgestalt ist nur das wunderliche Aushilfs¬ mittel zu bedauern, durch welches sich Schievelbein aus einer gewiß überflüssigen Verlegenheit zu ziehn gedachte, bereitet von einem hier sehr deplacirten modernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/456>, abgerufen am 01.07.2024.