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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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und die lange schon glimmende Unzufriedenheit der Maori brach endlich im
Frühjahr 1860 in einem neuen großen Aufstand aus, der die Form eines Be¬
freiungskriegs annahm. Den Anstoß dazu gab die wahrhaft niederträchtige
Habsucht der Engländer, die in perfidester Weise die Eingebornen um ihr Land
zu bringen suchte. Zugleich aber hatte die Bewegung einen gewissen idealen
Zug, der auf Gründung eines Maoristaates unter einem eignen König ging
und zu gleicher Zeit eine, freilich fratzenhaft greuelvolle Maorireligion aus
alten heidnischen Vorstellungen und Brocken des Christenthums gemischt hervor-
trieb. Wir schildern diese neuesten Vorgänge vorzüglich nach Materialien, die sich
in mehren Aufsätzen des "Globus" (5. Bd.. 7. Lies., 7. Bd., 5. Lief, und 9. Bd.
1. Lies.) zusammengetragen finden, uns freuend, daß wir in dieser Angelegenheit
mit dem Herausgeber durchgehends übereinstimmen können.

Die Häuptlinge der Maoris sahen, daß es seit der Einwanderung der
Pakehas mit ihnen rückwärts ging, und daß aus ihrer Einschränkung durch
dieselben bald völlige Unterdrückung werden würde. So bildete sich unter den
mächtigen Waikatostämmcn im Innern der Nordinsel eine Art nationaler Partei,
die rasch um sich griff, in zahlreich besuchten Nunangas oder Volksversamm¬
lungen ihre Angelegenheiten verhandelte und vorzüglich darauf hinwirkte, daß
den Engländern kein Land mehr verkauft und so der weiteren Ausbreitung
derselben ein Damm vorgezogen würde. Zugleich wählten die Uuzufriednen
einen Maoritonig und führten unter sich eine eigne Gerichtsbarkeit ein. Jener
König spielte nach Hochstetter eine ziemlich dürftige Rolle und ist in den spä¬
teren Ereignissen wenig hervorgetreten. Die englischen Behörden betrachteten
ihn als harmloses' Spielzeug, und die Bewegung war in der That in den
letzten Jahren des vorigen Decenniums noch ziemlich sanft und scheinbar un¬
gefährlich. Der König sollte nicht Lossagung von der Königin Victoria be¬
deuten, und in der neuen Nationalflagge sah man das christliche Kreuz und
drei Sterne, welche Wakapono, Aroba und Türe, d. h. Glaube, Liebe und
Gesetz vorstellten. Aber die Sache nahm bald eine ernstere Gestalt an.

Zunächst begnügte man sich mit Klagen und Beschwerden. Die Landgesetze
würden schlecht gehandhabt, hieß es. Die Regierung zeige sich gleichgiltig
gegen die Interessen der Maori, der Gouverneur kümmere sich nicht um sie,
besuche sie nicht im Innern, spreche nicht einmal ihre Sprache, so daß die Häupt¬
linge, die zu ihm kämen, gegen ihren Rang mit untergeordneten Beamten ver¬
handeln müßten. Nichts geschehe, um in den entlegneren Districten Ordnung
und Gerechtigkeit einzuführen, ruhig sehe die Regierung zu. wie dort alter
Stammhaß zu blutigen Fehden ausschlage, weiche die Eingebornen jedes Jahr
mehr decimirten. Wohl führe man Listen über die Zahl der letzteren, aus denen
man berechne, wie sie sich fortwährend verminderten, nichts aber geschehe, um
die Ursache ihres Aussterbens zu heben. Die für die Eingebornen aus Europa


und die lange schon glimmende Unzufriedenheit der Maori brach endlich im
Frühjahr 1860 in einem neuen großen Aufstand aus, der die Form eines Be¬
freiungskriegs annahm. Den Anstoß dazu gab die wahrhaft niederträchtige
Habsucht der Engländer, die in perfidester Weise die Eingebornen um ihr Land
zu bringen suchte. Zugleich aber hatte die Bewegung einen gewissen idealen
Zug, der auf Gründung eines Maoristaates unter einem eignen König ging
und zu gleicher Zeit eine, freilich fratzenhaft greuelvolle Maorireligion aus
alten heidnischen Vorstellungen und Brocken des Christenthums gemischt hervor-
trieb. Wir schildern diese neuesten Vorgänge vorzüglich nach Materialien, die sich
in mehren Aufsätzen des „Globus" (5. Bd.. 7. Lies., 7. Bd., 5. Lief, und 9. Bd.
1. Lies.) zusammengetragen finden, uns freuend, daß wir in dieser Angelegenheit
mit dem Herausgeber durchgehends übereinstimmen können.

Die Häuptlinge der Maoris sahen, daß es seit der Einwanderung der
Pakehas mit ihnen rückwärts ging, und daß aus ihrer Einschränkung durch
dieselben bald völlige Unterdrückung werden würde. So bildete sich unter den
mächtigen Waikatostämmcn im Innern der Nordinsel eine Art nationaler Partei,
die rasch um sich griff, in zahlreich besuchten Nunangas oder Volksversamm¬
lungen ihre Angelegenheiten verhandelte und vorzüglich darauf hinwirkte, daß
den Engländern kein Land mehr verkauft und so der weiteren Ausbreitung
derselben ein Damm vorgezogen würde. Zugleich wählten die Uuzufriednen
einen Maoritonig und führten unter sich eine eigne Gerichtsbarkeit ein. Jener
König spielte nach Hochstetter eine ziemlich dürftige Rolle und ist in den spä¬
teren Ereignissen wenig hervorgetreten. Die englischen Behörden betrachteten
ihn als harmloses' Spielzeug, und die Bewegung war in der That in den
letzten Jahren des vorigen Decenniums noch ziemlich sanft und scheinbar un¬
gefährlich. Der König sollte nicht Lossagung von der Königin Victoria be¬
deuten, und in der neuen Nationalflagge sah man das christliche Kreuz und
drei Sterne, welche Wakapono, Aroba und Türe, d. h. Glaube, Liebe und
Gesetz vorstellten. Aber die Sache nahm bald eine ernstere Gestalt an.

Zunächst begnügte man sich mit Klagen und Beschwerden. Die Landgesetze
würden schlecht gehandhabt, hieß es. Die Regierung zeige sich gleichgiltig
gegen die Interessen der Maori, der Gouverneur kümmere sich nicht um sie,
besuche sie nicht im Innern, spreche nicht einmal ihre Sprache, so daß die Häupt¬
linge, die zu ihm kämen, gegen ihren Rang mit untergeordneten Beamten ver¬
handeln müßten. Nichts geschehe, um in den entlegneren Districten Ordnung
und Gerechtigkeit einzuführen, ruhig sehe die Regierung zu. wie dort alter
Stammhaß zu blutigen Fehden ausschlage, weiche die Eingebornen jedes Jahr
mehr decimirten. Wohl führe man Listen über die Zahl der letzteren, aus denen
man berechne, wie sie sich fortwährend verminderten, nichts aber geschehe, um
die Ursache ihres Aussterbens zu heben. Die für die Eingebornen aus Europa


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/450>, abgerufen am 29.06.2024.