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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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bedienen sie sich ausschließlich unsrer Nahrung, so erkranken sie. Jedenfalls
waren "die alten Nahrungsmittel für die Maori heilsamer als die Kartoffeln".

Ferner verschwindet die Naivetät der Sitten vor den Förmlichkeiten der
Civilisation. "Früher war das Volk gastfrei, jetzt ist es geldgierig. Ein Fähr¬
mann verlangte von einem Weißen, der über den Waikatofluß setzen wollte,
fünf Pfund Sterling Fährgeld. Sitten und Charakter haben sich verschlechtert,
besonders bei den Stadtmavri. Zu stolz und zu träge, um bei Europäern
Dienste zu nehmen, und durch regelmäßige Arbeit sich ihren Lebensunterhalt
zu verdienen, lungern sie in den Straßen und Wirthshäusern herum, physisch
und moralisch heruntergekommene Proletarier, den Europäern eine Last und
ihren Landsleuten draußen ein Greuel."

"So wirkt." sagt Hochstetter. die Bilanz ziehend, "die ganze europäische
Civilisation und Kolonisation, trotz mancher Vortheile, die sie den Eingebornen
gebracht hat, auf diese doch nur wie ein schleichendes Gift, das an dem innersten
Mark ihres Lebens > zehrt. Der vollen, frischen Lebenskraft gegenüber, mit
welcher die angelsächsische Race sich ausbreitet und vermehrt, ist der Maori der
schwächere Theil, und so zieht er im Kampf um das Dasein den Kürzeren."

Als man Neuseeland zuerst näher kennen lernte, schlug man die Bevölke¬
rung zu ungefähr 150,000 Seelen an, jetzt beträgt sie nicht viel mehr als ein
Drittel dieser Zahl, und nach officiellen Documenten kann man die Zeit be¬
rechnen, wo der letzte Maori vom Erdboden verschwunden sein wird. Die
Abnahme der eingebornen Bevölkerung betrug in den letzten vierzehn bis fünf¬
zehn Jabren, also innerhalb der halben Zeitdauer einer Generation, neunzehn
bis zwanzig Procent. Dauert sie in gleichem Verhältniß fort, so werden die
Maoris, die 1856 noch 56.049 Köpfe (31,667 männlichen und 24.300 weib¬
lichen Geschlechts) zählten, im Jahre 1900 nur noch 29,325. im Jahre 1956
blos noch 12,364 Seelen zählen und um das Jahr 2000 vermuthlich ganz
ausgestorben sein, während die europäische Bevölkerung Neuseelands, nach dem
Maß ihrer seitherigen Zunahme zu schließen, von den 84,000 Seelen, die sie 1860
aufwies, bis zum Anfang des dritten Jahrtausends unsrer Zeitrechnung auf
mindestens eine halbe Million angewachsen sein wird.

Die Maori sind sich dessen bewußt. Mit fatalistischer Ergebung sahen
viele, als Hochstetter sie besuchte, dem unabwendbaren Erlöschen ihres Stammes
entgegen. "Wie der Klee." sagten sie, "das Farrnkraut tödtete und der euro¬
päische Hund den Maorihund, wie die Maoriratten von den europäischen Ratten
vernichtet wurden, ebenso wird nach und nach auch unser Volk von den Euro¬
päern verdrängt und vernichtet werden."

Andere, kräftiger und kühner, dachten schon früh an Opposition gegen
die Pakehas. Wir haben oben Hckis Jnsurrection erwähnt. Er war unter¬
worfen worden, aber der Haß gegen die Fremden gährte in der Stille fort


bedienen sie sich ausschließlich unsrer Nahrung, so erkranken sie. Jedenfalls
waren „die alten Nahrungsmittel für die Maori heilsamer als die Kartoffeln".

Ferner verschwindet die Naivetät der Sitten vor den Förmlichkeiten der
Civilisation. „Früher war das Volk gastfrei, jetzt ist es geldgierig. Ein Fähr¬
mann verlangte von einem Weißen, der über den Waikatofluß setzen wollte,
fünf Pfund Sterling Fährgeld. Sitten und Charakter haben sich verschlechtert,
besonders bei den Stadtmavri. Zu stolz und zu träge, um bei Europäern
Dienste zu nehmen, und durch regelmäßige Arbeit sich ihren Lebensunterhalt
zu verdienen, lungern sie in den Straßen und Wirthshäusern herum, physisch
und moralisch heruntergekommene Proletarier, den Europäern eine Last und
ihren Landsleuten draußen ein Greuel."

„So wirkt." sagt Hochstetter. die Bilanz ziehend, „die ganze europäische
Civilisation und Kolonisation, trotz mancher Vortheile, die sie den Eingebornen
gebracht hat, auf diese doch nur wie ein schleichendes Gift, das an dem innersten
Mark ihres Lebens > zehrt. Der vollen, frischen Lebenskraft gegenüber, mit
welcher die angelsächsische Race sich ausbreitet und vermehrt, ist der Maori der
schwächere Theil, und so zieht er im Kampf um das Dasein den Kürzeren."

Als man Neuseeland zuerst näher kennen lernte, schlug man die Bevölke¬
rung zu ungefähr 150,000 Seelen an, jetzt beträgt sie nicht viel mehr als ein
Drittel dieser Zahl, und nach officiellen Documenten kann man die Zeit be¬
rechnen, wo der letzte Maori vom Erdboden verschwunden sein wird. Die
Abnahme der eingebornen Bevölkerung betrug in den letzten vierzehn bis fünf¬
zehn Jabren, also innerhalb der halben Zeitdauer einer Generation, neunzehn
bis zwanzig Procent. Dauert sie in gleichem Verhältniß fort, so werden die
Maoris, die 1856 noch 56.049 Köpfe (31,667 männlichen und 24.300 weib¬
lichen Geschlechts) zählten, im Jahre 1900 nur noch 29,325. im Jahre 1956
blos noch 12,364 Seelen zählen und um das Jahr 2000 vermuthlich ganz
ausgestorben sein, während die europäische Bevölkerung Neuseelands, nach dem
Maß ihrer seitherigen Zunahme zu schließen, von den 84,000 Seelen, die sie 1860
aufwies, bis zum Anfang des dritten Jahrtausends unsrer Zeitrechnung auf
mindestens eine halbe Million angewachsen sein wird.

Die Maori sind sich dessen bewußt. Mit fatalistischer Ergebung sahen
viele, als Hochstetter sie besuchte, dem unabwendbaren Erlöschen ihres Stammes
entgegen. „Wie der Klee." sagten sie, „das Farrnkraut tödtete und der euro¬
päische Hund den Maorihund, wie die Maoriratten von den europäischen Ratten
vernichtet wurden, ebenso wird nach und nach auch unser Volk von den Euro¬
päern verdrängt und vernichtet werden."

Andere, kräftiger und kühner, dachten schon früh an Opposition gegen
die Pakehas. Wir haben oben Hckis Jnsurrection erwähnt. Er war unter¬
worfen worden, aber der Haß gegen die Fremden gährte in der Stille fort


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[0449] bedienen sie sich ausschließlich unsrer Nahrung, so erkranken sie. Jedenfalls waren „die alten Nahrungsmittel für die Maori heilsamer als die Kartoffeln". Ferner verschwindet die Naivetät der Sitten vor den Förmlichkeiten der Civilisation. „Früher war das Volk gastfrei, jetzt ist es geldgierig. Ein Fähr¬ mann verlangte von einem Weißen, der über den Waikatofluß setzen wollte, fünf Pfund Sterling Fährgeld. Sitten und Charakter haben sich verschlechtert, besonders bei den Stadtmavri. Zu stolz und zu träge, um bei Europäern Dienste zu nehmen, und durch regelmäßige Arbeit sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, lungern sie in den Straßen und Wirthshäusern herum, physisch und moralisch heruntergekommene Proletarier, den Europäern eine Last und ihren Landsleuten draußen ein Greuel." „So wirkt." sagt Hochstetter. die Bilanz ziehend, „die ganze europäische Civilisation und Kolonisation, trotz mancher Vortheile, die sie den Eingebornen gebracht hat, auf diese doch nur wie ein schleichendes Gift, das an dem innersten Mark ihres Lebens > zehrt. Der vollen, frischen Lebenskraft gegenüber, mit welcher die angelsächsische Race sich ausbreitet und vermehrt, ist der Maori der schwächere Theil, und so zieht er im Kampf um das Dasein den Kürzeren." Als man Neuseeland zuerst näher kennen lernte, schlug man die Bevölke¬ rung zu ungefähr 150,000 Seelen an, jetzt beträgt sie nicht viel mehr als ein Drittel dieser Zahl, und nach officiellen Documenten kann man die Zeit be¬ rechnen, wo der letzte Maori vom Erdboden verschwunden sein wird. Die Abnahme der eingebornen Bevölkerung betrug in den letzten vierzehn bis fünf¬ zehn Jabren, also innerhalb der halben Zeitdauer einer Generation, neunzehn bis zwanzig Procent. Dauert sie in gleichem Verhältniß fort, so werden die Maoris, die 1856 noch 56.049 Köpfe (31,667 männlichen und 24.300 weib¬ lichen Geschlechts) zählten, im Jahre 1900 nur noch 29,325. im Jahre 1956 blos noch 12,364 Seelen zählen und um das Jahr 2000 vermuthlich ganz ausgestorben sein, während die europäische Bevölkerung Neuseelands, nach dem Maß ihrer seitherigen Zunahme zu schließen, von den 84,000 Seelen, die sie 1860 aufwies, bis zum Anfang des dritten Jahrtausends unsrer Zeitrechnung auf mindestens eine halbe Million angewachsen sein wird. Die Maori sind sich dessen bewußt. Mit fatalistischer Ergebung sahen viele, als Hochstetter sie besuchte, dem unabwendbaren Erlöschen ihres Stammes entgegen. „Wie der Klee." sagten sie, „das Farrnkraut tödtete und der euro¬ päische Hund den Maorihund, wie die Maoriratten von den europäischen Ratten vernichtet wurden, ebenso wird nach und nach auch unser Volk von den Euro¬ päern verdrängt und vernichtet werden." Andere, kräftiger und kühner, dachten schon früh an Opposition gegen die Pakehas. Wir haben oben Hckis Jnsurrection erwähnt. Er war unter¬ worfen worden, aber der Haß gegen die Fremden gährte in der Stille fort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/449>, abgerufen am 29.06.2024.