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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Gier der weißen Ansiedler nach Land, die zu Ungerechtigkeiten gegen die Ein-
gebornen führte, die verkehrten Maßregeln des Gouverneurs Fitzroy und guten-
theils auch die Eifersucht der Missionäre auf die weltlichen Behörden, welche
die Herrschaft über die Eingebornen nun mit jenen theilen wollten, hinderten
den Fortschritt der Colonie, und die Unzufriedenheit der Maori führte, durch
ihre geistlichen Leiter und Berather geschürt und geschärft, zuletzt zu offner Ge¬
waltthat. Ein Krieg, der 1846 zwischen ihnen und den verhaßten Pakeha aus-
brach, und in welchem der Häuptling Hell eine Hauptrolle spielte, brachte die
Niederlassung dem Untergange nahe. Erst nachdem die Engländer durch reguläre
Soldaten und namentlich Artillerie von Australien verstärkt worden, vermochte
man eine kräftige Offensive gegen die tapfern Feinde zu Ergreifen. Im Früh¬
jahr 1846 drangen die Engländer in das Innere der nördlichen Insel ein, er¬
stürmten das Pa (die Burg) des Häuptlings Kawiri, nahmen einen andern
Führer der Insurgenten, Rauperaha, gefangen und nöthigten Hell zur Flucht
und zuletzt zur Unterwerfung.

Seitdem wuchs die Einwanderung von Jahr zu Jahr, und in gleichem
Maße machte die Arbeit der Missionäre Fortschritte. Wenigstens wußten diese
wahrhaft wunderbare Erfolge zu berichten. Die Maori hatten, wenn diese"
Mittheilungen zu glauben war, fast ohne Ausnahme die Kriegsleute abgelegt
und bis auf einige Tausende die Taufe genommen. Sie verabscheuten die Sitte,
ihre Feinde zu fressen, und der Kindermord war nur noch eine trübe Erinnerung.
Der Neuseeländer war mit seiner anstelligen Art aus einem grimmen Kannibalen
ein wohlgesitteter Mensch geworden, der Ruhe als die erste Bürgerpflicht zu
achten wußte, friedlich als brauner Unterthan ok Hör N^jeht^ neben dem weißen
wohnte, mit dem er gleichberechtigt war. Viele konnten lesen, in den Schulen
wurde die Bibel tractirt. manche ernährten sich durch Handwerke, andere durch
Viehzucht und Ackerbau, wieder andere waren vortreffliche Matrosen. Die ge¬
räucherten Kopfe an den Häuserpfosten waren in europäisch e Museen gewandert.
Die Mehrzahl des Volkes kleidete sich nach der Weise der Pakeha. Wilde
Krieger wurden-gezähmt als Probe dieser großen Metamorphose zur Erbauung
christlicher Gemüther nach London geschickt, in dessen Salons sie Bewunderung
erregten. Söhne blutiger Häuptlinge predigten ihren noch umbekehrten Lands-
leuten das Evangelium und das Commonvrayerbook.

Allerdings hatte man bisweilen mit den Proselyten üble Erfahrungen ge-
macht. Manche Häuptlinge, deren kirchlichen Eifer und deren sanfte Sitte man
ganz besonders gepriesen, waren rückfällig geworden, hatten wieder zu den
Waffen gegriffen und sich mit der Drohung befehdet. "Mctzgerläden zu eröffnen
und das Fleisch der Feinde öffentlich zu verkaufen". Ein Arzt, der sechs Jahre
in der Stadt Newplymouth auf Neuseeland gelebt, schrieb 1858 sogar recht
geringschätzig: "Sie verachten uns und unsre Gesetze. Mit ihrer ganzen viel-


Gier der weißen Ansiedler nach Land, die zu Ungerechtigkeiten gegen die Ein-
gebornen führte, die verkehrten Maßregeln des Gouverneurs Fitzroy und guten-
theils auch die Eifersucht der Missionäre auf die weltlichen Behörden, welche
die Herrschaft über die Eingebornen nun mit jenen theilen wollten, hinderten
den Fortschritt der Colonie, und die Unzufriedenheit der Maori führte, durch
ihre geistlichen Leiter und Berather geschürt und geschärft, zuletzt zu offner Ge¬
waltthat. Ein Krieg, der 1846 zwischen ihnen und den verhaßten Pakeha aus-
brach, und in welchem der Häuptling Hell eine Hauptrolle spielte, brachte die
Niederlassung dem Untergange nahe. Erst nachdem die Engländer durch reguläre
Soldaten und namentlich Artillerie von Australien verstärkt worden, vermochte
man eine kräftige Offensive gegen die tapfern Feinde zu Ergreifen. Im Früh¬
jahr 1846 drangen die Engländer in das Innere der nördlichen Insel ein, er¬
stürmten das Pa (die Burg) des Häuptlings Kawiri, nahmen einen andern
Führer der Insurgenten, Rauperaha, gefangen und nöthigten Hell zur Flucht
und zuletzt zur Unterwerfung.

Seitdem wuchs die Einwanderung von Jahr zu Jahr, und in gleichem
Maße machte die Arbeit der Missionäre Fortschritte. Wenigstens wußten diese
wahrhaft wunderbare Erfolge zu berichten. Die Maori hatten, wenn diese»
Mittheilungen zu glauben war, fast ohne Ausnahme die Kriegsleute abgelegt
und bis auf einige Tausende die Taufe genommen. Sie verabscheuten die Sitte,
ihre Feinde zu fressen, und der Kindermord war nur noch eine trübe Erinnerung.
Der Neuseeländer war mit seiner anstelligen Art aus einem grimmen Kannibalen
ein wohlgesitteter Mensch geworden, der Ruhe als die erste Bürgerpflicht zu
achten wußte, friedlich als brauner Unterthan ok Hör N^jeht^ neben dem weißen
wohnte, mit dem er gleichberechtigt war. Viele konnten lesen, in den Schulen
wurde die Bibel tractirt. manche ernährten sich durch Handwerke, andere durch
Viehzucht und Ackerbau, wieder andere waren vortreffliche Matrosen. Die ge¬
räucherten Kopfe an den Häuserpfosten waren in europäisch e Museen gewandert.
Die Mehrzahl des Volkes kleidete sich nach der Weise der Pakeha. Wilde
Krieger wurden-gezähmt als Probe dieser großen Metamorphose zur Erbauung
christlicher Gemüther nach London geschickt, in dessen Salons sie Bewunderung
erregten. Söhne blutiger Häuptlinge predigten ihren noch umbekehrten Lands-
leuten das Evangelium und das Commonvrayerbook.

Allerdings hatte man bisweilen mit den Proselyten üble Erfahrungen ge-
macht. Manche Häuptlinge, deren kirchlichen Eifer und deren sanfte Sitte man
ganz besonders gepriesen, waren rückfällig geworden, hatten wieder zu den
Waffen gegriffen und sich mit der Drohung befehdet. „Mctzgerläden zu eröffnen
und das Fleisch der Feinde öffentlich zu verkaufen". Ein Arzt, der sechs Jahre
in der Stadt Newplymouth auf Neuseeland gelebt, schrieb 1858 sogar recht
geringschätzig: „Sie verachten uns und unsre Gesetze. Mit ihrer ganzen viel-


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[0446] Gier der weißen Ansiedler nach Land, die zu Ungerechtigkeiten gegen die Ein- gebornen führte, die verkehrten Maßregeln des Gouverneurs Fitzroy und guten- theils auch die Eifersucht der Missionäre auf die weltlichen Behörden, welche die Herrschaft über die Eingebornen nun mit jenen theilen wollten, hinderten den Fortschritt der Colonie, und die Unzufriedenheit der Maori führte, durch ihre geistlichen Leiter und Berather geschürt und geschärft, zuletzt zu offner Ge¬ waltthat. Ein Krieg, der 1846 zwischen ihnen und den verhaßten Pakeha aus- brach, und in welchem der Häuptling Hell eine Hauptrolle spielte, brachte die Niederlassung dem Untergange nahe. Erst nachdem die Engländer durch reguläre Soldaten und namentlich Artillerie von Australien verstärkt worden, vermochte man eine kräftige Offensive gegen die tapfern Feinde zu Ergreifen. Im Früh¬ jahr 1846 drangen die Engländer in das Innere der nördlichen Insel ein, er¬ stürmten das Pa (die Burg) des Häuptlings Kawiri, nahmen einen andern Führer der Insurgenten, Rauperaha, gefangen und nöthigten Hell zur Flucht und zuletzt zur Unterwerfung. Seitdem wuchs die Einwanderung von Jahr zu Jahr, und in gleichem Maße machte die Arbeit der Missionäre Fortschritte. Wenigstens wußten diese wahrhaft wunderbare Erfolge zu berichten. Die Maori hatten, wenn diese» Mittheilungen zu glauben war, fast ohne Ausnahme die Kriegsleute abgelegt und bis auf einige Tausende die Taufe genommen. Sie verabscheuten die Sitte, ihre Feinde zu fressen, und der Kindermord war nur noch eine trübe Erinnerung. Der Neuseeländer war mit seiner anstelligen Art aus einem grimmen Kannibalen ein wohlgesitteter Mensch geworden, der Ruhe als die erste Bürgerpflicht zu achten wußte, friedlich als brauner Unterthan ok Hör N^jeht^ neben dem weißen wohnte, mit dem er gleichberechtigt war. Viele konnten lesen, in den Schulen wurde die Bibel tractirt. manche ernährten sich durch Handwerke, andere durch Viehzucht und Ackerbau, wieder andere waren vortreffliche Matrosen. Die ge¬ räucherten Kopfe an den Häuserpfosten waren in europäisch e Museen gewandert. Die Mehrzahl des Volkes kleidete sich nach der Weise der Pakeha. Wilde Krieger wurden-gezähmt als Probe dieser großen Metamorphose zur Erbauung christlicher Gemüther nach London geschickt, in dessen Salons sie Bewunderung erregten. Söhne blutiger Häuptlinge predigten ihren noch umbekehrten Lands- leuten das Evangelium und das Commonvrayerbook. Allerdings hatte man bisweilen mit den Proselyten üble Erfahrungen ge- macht. Manche Häuptlinge, deren kirchlichen Eifer und deren sanfte Sitte man ganz besonders gepriesen, waren rückfällig geworden, hatten wieder zu den Waffen gegriffen und sich mit der Drohung befehdet. „Mctzgerläden zu eröffnen und das Fleisch der Feinde öffentlich zu verkaufen". Ein Arzt, der sechs Jahre in der Stadt Newplymouth auf Neuseeland gelebt, schrieb 1858 sogar recht geringschätzig: „Sie verachten uns und unsre Gesetze. Mit ihrer ganzen viel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/446>, abgerufen am 29.06.2024.