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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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kasischen Geistes an dem theologischen Gesetz der Geschichte zu zweifeln, darf
uns nicht beikommen. Weit edlere Stämme der Menschheit gingen in den
Kämpfen der Völkerwanderung des Mittelalters spurlos zu Grunde, ohne, was
in sie gelegt schien, entwickeln zu können. Wer wird die Libelle betrauern,
wenn sie nur wenige Tage ihre bunten Flügel am Bache entfalten darf! Es
giebt Phantasiespiele der schöpferischen Kraft auch in der Völkerwelt, theils an-
muthig, wie das Blumenvolk von Otahaiti, theils von grotesker Natur, wie
die Kannibalenstämme Neuseelands und der Fidschi-Jnseln. Sie gaukeln, gleichsam
Reste der Urwelt, wo die Phantasie im Schaffen überwog, eine Zeit lang neben
dem großen, von ethischen Principien nach den höchsten Zielen der Schöpfung
hingetriebenen Gang der Geschichte hin und gehen, so bald sie diesem in den
Weg gerathen, unter. Unrecht wird dabei gegen sie nur von Einzelnen be¬
gangen. Sie sterben, weil ihre Zeit eben um ist, wie Andere, ihnen Gleiche
vor ihnen gestorben sind, als ihre Stunde kam. Es sind Mcnschcnkreise in
der Dämmerung und nur für die Dämmerung entstanden, die Sonne steigt
auch an ihrem Horizont auf, und sie vergehen an ihrem Lichte.

Australien ist von den hier betrachteten Punkten der größte, aber nicht
derjenige, an den sich die meiste Erwartung für die Zukunft knüpft. Nur an
seinen Küsten für den Ackerbau und infolge dessen für höhere Cultur geeignet,
im Innern eine Wüste mit Oasen, die nur Viehzucht gestattet, ohne bedeutende
Flüsse, auf weite Strecken hin völlig ohne Wasser, steht diese ausgedehnteste
Insel der Erde fast in allen Beziehungen hinter kleineren Nachbarn in der
Südsee zurück. Mindestens ebenso wichtig wie Australien sind für die Zukunft
Polynesiens schon durch ihre Lage, dann durch ihre herrliche Natur die Eiland-
gruppcn von Otahaiti und Hawai. Die größten Aussichten aber auf eine
glänzende Entwickelung noch in diesem Jahrhundert und auf eine alle ringsum
gelegenen Glieder des Archipels der Südsee überragende Machtstellung haben die
beiden zuerst 1642 von Abel Tasman aufgefundenen, dann von Cook vor circa
hundert Jahren wieder entdeckten Inseln, welchen die Geographie den Gesammt-
namen Neuseeland gegeben hat. Schon 1787 schrieb Forster von diesem
Zwillingseiland: "Cooks Nachrichten beweisen zur Genüge, daß zumal die
nördliche Insel wegen ihrer vortrefflichen Häfen, ihrer Anhöhen, Thäler und
wohlbewässerten Ebenen, ihres gemäßigten Himmelsstrichs, ihrer herrlichen Wälder
vom besten Bau- und Nutzholz, ihrer dauerhaften Flachspflanze und ihrer fisch¬
reichen Gestade dereinst für unternehmende Europäer eine höchst wichtige Ent¬
deckung werden kann. In dem leichten fruchtbaren Boden jenes Landes würden
alle Arten von europäischem Getreide, von Pflanzen und Früchten gedeihen
und den Ansiedler mit den Nothwendigkeiten des Lebens, bald aber auch mit
allem, was zum Ueberfluß gehört, versehen. Ein Sommer wie in England,
dessen Hitze nie beschwerlich fällt, und ein Winter wie in Spaniens gemäßigten


kasischen Geistes an dem theologischen Gesetz der Geschichte zu zweifeln, darf
uns nicht beikommen. Weit edlere Stämme der Menschheit gingen in den
Kämpfen der Völkerwanderung des Mittelalters spurlos zu Grunde, ohne, was
in sie gelegt schien, entwickeln zu können. Wer wird die Libelle betrauern,
wenn sie nur wenige Tage ihre bunten Flügel am Bache entfalten darf! Es
giebt Phantasiespiele der schöpferischen Kraft auch in der Völkerwelt, theils an-
muthig, wie das Blumenvolk von Otahaiti, theils von grotesker Natur, wie
die Kannibalenstämme Neuseelands und der Fidschi-Jnseln. Sie gaukeln, gleichsam
Reste der Urwelt, wo die Phantasie im Schaffen überwog, eine Zeit lang neben
dem großen, von ethischen Principien nach den höchsten Zielen der Schöpfung
hingetriebenen Gang der Geschichte hin und gehen, so bald sie diesem in den
Weg gerathen, unter. Unrecht wird dabei gegen sie nur von Einzelnen be¬
gangen. Sie sterben, weil ihre Zeit eben um ist, wie Andere, ihnen Gleiche
vor ihnen gestorben sind, als ihre Stunde kam. Es sind Mcnschcnkreise in
der Dämmerung und nur für die Dämmerung entstanden, die Sonne steigt
auch an ihrem Horizont auf, und sie vergehen an ihrem Lichte.

Australien ist von den hier betrachteten Punkten der größte, aber nicht
derjenige, an den sich die meiste Erwartung für die Zukunft knüpft. Nur an
seinen Küsten für den Ackerbau und infolge dessen für höhere Cultur geeignet,
im Innern eine Wüste mit Oasen, die nur Viehzucht gestattet, ohne bedeutende
Flüsse, auf weite Strecken hin völlig ohne Wasser, steht diese ausgedehnteste
Insel der Erde fast in allen Beziehungen hinter kleineren Nachbarn in der
Südsee zurück. Mindestens ebenso wichtig wie Australien sind für die Zukunft
Polynesiens schon durch ihre Lage, dann durch ihre herrliche Natur die Eiland-
gruppcn von Otahaiti und Hawai. Die größten Aussichten aber auf eine
glänzende Entwickelung noch in diesem Jahrhundert und auf eine alle ringsum
gelegenen Glieder des Archipels der Südsee überragende Machtstellung haben die
beiden zuerst 1642 von Abel Tasman aufgefundenen, dann von Cook vor circa
hundert Jahren wieder entdeckten Inseln, welchen die Geographie den Gesammt-
namen Neuseeland gegeben hat. Schon 1787 schrieb Forster von diesem
Zwillingseiland: „Cooks Nachrichten beweisen zur Genüge, daß zumal die
nördliche Insel wegen ihrer vortrefflichen Häfen, ihrer Anhöhen, Thäler und
wohlbewässerten Ebenen, ihres gemäßigten Himmelsstrichs, ihrer herrlichen Wälder
vom besten Bau- und Nutzholz, ihrer dauerhaften Flachspflanze und ihrer fisch¬
reichen Gestade dereinst für unternehmende Europäer eine höchst wichtige Ent¬
deckung werden kann. In dem leichten fruchtbaren Boden jenes Landes würden
alle Arten von europäischem Getreide, von Pflanzen und Früchten gedeihen
und den Ansiedler mit den Nothwendigkeiten des Lebens, bald aber auch mit
allem, was zum Ueberfluß gehört, versehen. Ein Sommer wie in England,
dessen Hitze nie beschwerlich fällt, und ein Winter wie in Spaniens gemäßigten


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[0441] kasischen Geistes an dem theologischen Gesetz der Geschichte zu zweifeln, darf uns nicht beikommen. Weit edlere Stämme der Menschheit gingen in den Kämpfen der Völkerwanderung des Mittelalters spurlos zu Grunde, ohne, was in sie gelegt schien, entwickeln zu können. Wer wird die Libelle betrauern, wenn sie nur wenige Tage ihre bunten Flügel am Bache entfalten darf! Es giebt Phantasiespiele der schöpferischen Kraft auch in der Völkerwelt, theils an- muthig, wie das Blumenvolk von Otahaiti, theils von grotesker Natur, wie die Kannibalenstämme Neuseelands und der Fidschi-Jnseln. Sie gaukeln, gleichsam Reste der Urwelt, wo die Phantasie im Schaffen überwog, eine Zeit lang neben dem großen, von ethischen Principien nach den höchsten Zielen der Schöpfung hingetriebenen Gang der Geschichte hin und gehen, so bald sie diesem in den Weg gerathen, unter. Unrecht wird dabei gegen sie nur von Einzelnen be¬ gangen. Sie sterben, weil ihre Zeit eben um ist, wie Andere, ihnen Gleiche vor ihnen gestorben sind, als ihre Stunde kam. Es sind Mcnschcnkreise in der Dämmerung und nur für die Dämmerung entstanden, die Sonne steigt auch an ihrem Horizont auf, und sie vergehen an ihrem Lichte. Australien ist von den hier betrachteten Punkten der größte, aber nicht derjenige, an den sich die meiste Erwartung für die Zukunft knüpft. Nur an seinen Küsten für den Ackerbau und infolge dessen für höhere Cultur geeignet, im Innern eine Wüste mit Oasen, die nur Viehzucht gestattet, ohne bedeutende Flüsse, auf weite Strecken hin völlig ohne Wasser, steht diese ausgedehnteste Insel der Erde fast in allen Beziehungen hinter kleineren Nachbarn in der Südsee zurück. Mindestens ebenso wichtig wie Australien sind für die Zukunft Polynesiens schon durch ihre Lage, dann durch ihre herrliche Natur die Eiland- gruppcn von Otahaiti und Hawai. Die größten Aussichten aber auf eine glänzende Entwickelung noch in diesem Jahrhundert und auf eine alle ringsum gelegenen Glieder des Archipels der Südsee überragende Machtstellung haben die beiden zuerst 1642 von Abel Tasman aufgefundenen, dann von Cook vor circa hundert Jahren wieder entdeckten Inseln, welchen die Geographie den Gesammt- namen Neuseeland gegeben hat. Schon 1787 schrieb Forster von diesem Zwillingseiland: „Cooks Nachrichten beweisen zur Genüge, daß zumal die nördliche Insel wegen ihrer vortrefflichen Häfen, ihrer Anhöhen, Thäler und wohlbewässerten Ebenen, ihres gemäßigten Himmelsstrichs, ihrer herrlichen Wälder vom besten Bau- und Nutzholz, ihrer dauerhaften Flachspflanze und ihrer fisch¬ reichen Gestade dereinst für unternehmende Europäer eine höchst wichtige Ent¬ deckung werden kann. In dem leichten fruchtbaren Boden jenes Landes würden alle Arten von europäischem Getreide, von Pflanzen und Früchten gedeihen und den Ansiedler mit den Nothwendigkeiten des Lebens, bald aber auch mit allem, was zum Ueberfluß gehört, versehen. Ein Sommer wie in England, dessen Hitze nie beschwerlich fällt, und ein Winter wie in Spaniens gemäßigten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/441>, abgerufen am 29.06.2024.