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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Einzelner neugewonnene Ueberzeugung noch alle Vorzüge und Schwächen einer
individuellen Auffassung hat.

Allerdings wird uns diese nothwendige Selbstbeschränkung auch deshalb
schwer, weil wir liberal sind, das heißt, weil wir nicht nur im Staat, sondern
auf jedem Gebiete des geistigen Lebens mit größerer Energie und mit größerer
Gemüthswärme, als irgendein anderes Volk, nach Freiheit gerungen haben.
Der ernste innere Proceß, den jeder von uns in Glauben und Lehre, in der
Weise, wie er seine Pflichten und Rechte erfaßt, durchgekämpft hat, grade die
siegreiche Arbeit aus großen idealen Gebieten unsers Lebens, macht uns schwer,
einen und den andern Titel unserer Erkenntniß oder unsers Wollens gegenüber
unserer politischen Partei aufzugeben. Der Geist, welcher gewöhnt ist. tief aus
seinem Innern die Wahrheit herauszuholen, welche er verkündet, und das Gute,
welches er für Andere thut, ist auch geneigt, für jede einzelne seiner Ueber¬
zeugungen zu fechten, am liebsten gegen solche, welche ihm nahe stehen, d. h.
gegen solche, mit denen ihm überhaupt Verständigung möglich ist. Und da wir
in diesem Sinn alle mehr oder weniger Gelehrte sind, kommen wir in der
Politik leicht in Gefahr, uns ein eigenes System zu bauen und unsere Forderun¬
gen auch gegen politische Nachbarn eigensinnig geltend zu machen.

Schwieriger noch ist die Lage der preußischen Liberalen außerhalb Preußens,
sie sind weder Wähler noch Gewählte, sie haben nur indirecten Antheil an den
Stimmungen, welche in Preußen selbst durch den Kampf um die Verfassung auf.
geregt werden, leicht empfinden sie die innern Zerwürfnisse in dem Staat ihrer
Hoffnung als nachtheilige Hemmnisse für äußere Erfolge. Dazu kommt, daß ihnen
eine energische Einwirkung auf die Parteikämpfe fast nur durch gelegentliches Aus-
sprechen ihrer Ueberzeugungen in der Presse möglich ist. Auf der andern Seite
erscheint grade ihnen in andern Territorien Deutschlands der Vortheil eines
großen Staates imponirender. und der Wunsch, durch Preußen diesen Vortheil
für ganz Deutschland bereitet zu sehen, heftiger. Kein Wunder also, wenn
ihnen die deutsche Ausgabe Preußens wichtiger erscheint, als die Ausgleichung
der innern Schwierigkeiten, für welche sie vielleicht das beste Correctiv in einer
Vergrößerung des Staates erkennen.

Zuverlässig ist solche Anschauung auch für die liberalen Politiker in Preußen
nicht ohne Werth, denn die größere Unbefangenheit, mit welcher die Aufgabe
des Staates von solchen Anhängern, welche außerhalb leben, in den Vorder¬
grund gestellt wird, kann das eine Mal der Mutlosigkeit, ein anderes Mal
der Verbitterung wirksam entgegentreten. Aber diese Stellung außerhalb des
Staates behängt auch das Urtheil, die Theilnahme wird zur Ungeduld,
die Entfernung verhindert genaue Kenntniß der innern Zustände und Stim¬
mungen. Grade von warmen Anhängern Preußens, welche außerhalb des Staats¬
verbandes leben, ist die Ansicht vertreten worden, daß der Kampf für die innere


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Einzelner neugewonnene Ueberzeugung noch alle Vorzüge und Schwächen einer
individuellen Auffassung hat.

Allerdings wird uns diese nothwendige Selbstbeschränkung auch deshalb
schwer, weil wir liberal sind, das heißt, weil wir nicht nur im Staat, sondern
auf jedem Gebiete des geistigen Lebens mit größerer Energie und mit größerer
Gemüthswärme, als irgendein anderes Volk, nach Freiheit gerungen haben.
Der ernste innere Proceß, den jeder von uns in Glauben und Lehre, in der
Weise, wie er seine Pflichten und Rechte erfaßt, durchgekämpft hat, grade die
siegreiche Arbeit aus großen idealen Gebieten unsers Lebens, macht uns schwer,
einen und den andern Titel unserer Erkenntniß oder unsers Wollens gegenüber
unserer politischen Partei aufzugeben. Der Geist, welcher gewöhnt ist. tief aus
seinem Innern die Wahrheit herauszuholen, welche er verkündet, und das Gute,
welches er für Andere thut, ist auch geneigt, für jede einzelne seiner Ueber¬
zeugungen zu fechten, am liebsten gegen solche, welche ihm nahe stehen, d. h.
gegen solche, mit denen ihm überhaupt Verständigung möglich ist. Und da wir
in diesem Sinn alle mehr oder weniger Gelehrte sind, kommen wir in der
Politik leicht in Gefahr, uns ein eigenes System zu bauen und unsere Forderun¬
gen auch gegen politische Nachbarn eigensinnig geltend zu machen.

Schwieriger noch ist die Lage der preußischen Liberalen außerhalb Preußens,
sie sind weder Wähler noch Gewählte, sie haben nur indirecten Antheil an den
Stimmungen, welche in Preußen selbst durch den Kampf um die Verfassung auf.
geregt werden, leicht empfinden sie die innern Zerwürfnisse in dem Staat ihrer
Hoffnung als nachtheilige Hemmnisse für äußere Erfolge. Dazu kommt, daß ihnen
eine energische Einwirkung auf die Parteikämpfe fast nur durch gelegentliches Aus-
sprechen ihrer Ueberzeugungen in der Presse möglich ist. Auf der andern Seite
erscheint grade ihnen in andern Territorien Deutschlands der Vortheil eines
großen Staates imponirender. und der Wunsch, durch Preußen diesen Vortheil
für ganz Deutschland bereitet zu sehen, heftiger. Kein Wunder also, wenn
ihnen die deutsche Ausgabe Preußens wichtiger erscheint, als die Ausgleichung
der innern Schwierigkeiten, für welche sie vielleicht das beste Correctiv in einer
Vergrößerung des Staates erkennen.

Zuverlässig ist solche Anschauung auch für die liberalen Politiker in Preußen
nicht ohne Werth, denn die größere Unbefangenheit, mit welcher die Aufgabe
des Staates von solchen Anhängern, welche außerhalb leben, in den Vorder¬
grund gestellt wird, kann das eine Mal der Mutlosigkeit, ein anderes Mal
der Verbitterung wirksam entgegentreten. Aber diese Stellung außerhalb des
Staates behängt auch das Urtheil, die Theilnahme wird zur Ungeduld,
die Entfernung verhindert genaue Kenntniß der innern Zustände und Stim¬
mungen. Grade von warmen Anhängern Preußens, welche außerhalb des Staats¬
verbandes leben, ist die Ansicht vertreten worden, daß der Kampf für die innere


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[0435] Einzelner neugewonnene Ueberzeugung noch alle Vorzüge und Schwächen einer individuellen Auffassung hat. Allerdings wird uns diese nothwendige Selbstbeschränkung auch deshalb schwer, weil wir liberal sind, das heißt, weil wir nicht nur im Staat, sondern auf jedem Gebiete des geistigen Lebens mit größerer Energie und mit größerer Gemüthswärme, als irgendein anderes Volk, nach Freiheit gerungen haben. Der ernste innere Proceß, den jeder von uns in Glauben und Lehre, in der Weise, wie er seine Pflichten und Rechte erfaßt, durchgekämpft hat, grade die siegreiche Arbeit aus großen idealen Gebieten unsers Lebens, macht uns schwer, einen und den andern Titel unserer Erkenntniß oder unsers Wollens gegenüber unserer politischen Partei aufzugeben. Der Geist, welcher gewöhnt ist. tief aus seinem Innern die Wahrheit herauszuholen, welche er verkündet, und das Gute, welches er für Andere thut, ist auch geneigt, für jede einzelne seiner Ueber¬ zeugungen zu fechten, am liebsten gegen solche, welche ihm nahe stehen, d. h. gegen solche, mit denen ihm überhaupt Verständigung möglich ist. Und da wir in diesem Sinn alle mehr oder weniger Gelehrte sind, kommen wir in der Politik leicht in Gefahr, uns ein eigenes System zu bauen und unsere Forderun¬ gen auch gegen politische Nachbarn eigensinnig geltend zu machen. Schwieriger noch ist die Lage der preußischen Liberalen außerhalb Preußens, sie sind weder Wähler noch Gewählte, sie haben nur indirecten Antheil an den Stimmungen, welche in Preußen selbst durch den Kampf um die Verfassung auf. geregt werden, leicht empfinden sie die innern Zerwürfnisse in dem Staat ihrer Hoffnung als nachtheilige Hemmnisse für äußere Erfolge. Dazu kommt, daß ihnen eine energische Einwirkung auf die Parteikämpfe fast nur durch gelegentliches Aus- sprechen ihrer Ueberzeugungen in der Presse möglich ist. Auf der andern Seite erscheint grade ihnen in andern Territorien Deutschlands der Vortheil eines großen Staates imponirender. und der Wunsch, durch Preußen diesen Vortheil für ganz Deutschland bereitet zu sehen, heftiger. Kein Wunder also, wenn ihnen die deutsche Ausgabe Preußens wichtiger erscheint, als die Ausgleichung der innern Schwierigkeiten, für welche sie vielleicht das beste Correctiv in einer Vergrößerung des Staates erkennen. Zuverlässig ist solche Anschauung auch für die liberalen Politiker in Preußen nicht ohne Werth, denn die größere Unbefangenheit, mit welcher die Aufgabe des Staates von solchen Anhängern, welche außerhalb leben, in den Vorder¬ grund gestellt wird, kann das eine Mal der Mutlosigkeit, ein anderes Mal der Verbitterung wirksam entgegentreten. Aber diese Stellung außerhalb des Staates behängt auch das Urtheil, die Theilnahme wird zur Ungeduld, die Entfernung verhindert genaue Kenntniß der innern Zustände und Stim¬ mungen. Grade von warmen Anhängern Preußens, welche außerhalb des Staats¬ verbandes leben, ist die Ansicht vertreten worden, daß der Kampf für die innere «An'iijl'vie» I, >Xti«i. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/435>, abgerufen am 29.06.2024.