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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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aber ebenso sehr in dem ganzen Zuge des Blattes feste Parteihaltung und rück¬
sichtsvolle Behandlung der Parteigenossen fordert.

Aber auch die Führer einer Oppositionspartei, die Abgeordneten, sind nur
einige Monate des Jahres in vereinigter Thätigkeit für uns sichtbar, auch sie
treten alljährlich wieder in das Privatleben zurück, und der Mangel eines ein¬
heitlichen Zusammenhangs der Parteigenossen wird dann allerdings sehr fühlbar.
Bei jeder neuen Frage, die in der Zwischenzeit zwischen zwei Landtagen auf¬
taucht, für alle Stimmungen, welche unterdeß in das Volk dringen, fehlt
der Regulator der Tribüne und die einheitliche Beeinflussung der öffentlichen
Meinung. In dieser Zeit bleibt vorzugsweise der Presse überlassen, die
Traditionen aufrecht zu erhalten. Selbst in Staaten von längerer parlamentarischer
Erfahrung, wo die Parteiübcrlieferungen fest und die Disciplin der Partei¬
genossen Mit strammer ist, benutzen die Parteiführer mit großer Sorgfalt jede
sich darbietende Gelegenheit, um vor angesehenen Korporationen, vor ihren
Wählern, bei festlichen Gelegenheiten sich über neue Tagesfragen auszusprechen
und dadurch die öffentliche Meinung Vorsichtig zu leiten. Vielleicht mangelt den
Führern der preußischen Partei zu sehr die Gelegenheit; zuweilen auch die Ge¬
wöhnung, bei solcher gelegentlichen Aussprache die Vorsicht und vornehme
Haltung zu bewahren, welche der öffentlichen Rede eines Volksvertreters so gut
stehen. Es fehlt uns allen noch etwas von der Taktik, welche sich in längerem
parlamentarischen Leben herausbildet.

Aber grade da uns in einem Theil des Jahres die stille Direction fehlt,
welche vor anderem die Tribüne vermittelt, und da wir jeden Tag in die Lage
kommen können, in vereinzelter Stellung unter dem Eindruck eines neuen Er¬
eignisses zu sprechen und zu handeln, ist uns nothwendig, daß wir die Fühlung
mit Gleichgesinnten und den parlamentarischen Führern der Partei niemals
ausgeben. Persönlicher und brieflicher Verkehr mit Parteigenossen hat unter
uns besondere Bedeutung, er vermag freilich nicht den Mangel eines festen
Zusammenhangs unter den Leitern der Presse und den Deputaten zu ersetzen.

Da wir nun leicht in Gefahr kommen, in der Auffassung neuer politischer
Interessen auseinandcrzugchcn, so wird wenigstens die größte Rücksicht aus'
die Personen unserer politischen Führer und größte Schonung einer entgegen¬
gesetzten Ansicht bei Parteigenossen unsre Pflicht. Denn in vielen Fällen,
wo verschiedenartige Behandlung derselben Frage die Kraft der Partei schwächt,
ist die letzte Ursache nur die mangelnde Gelegenheit zu persönlicher Verstän¬
digung unter den Einzelnen, bevor sie sich durch Wort und That sür eine
bestimmte Richtung engagirt haben. Diesen Uebelstand vermögen wir nicht zu be¬
seitigen, er ist zuletzt eine Folge davon, daß weder Deutschland, noch in diesem
Sinne Preußen einen großen politischen Mittelpunkt hat; aber wir können ihn
mildern, wenn wir uns in jedem Augenblick erinnern, daß unsere oder mehrer


aber ebenso sehr in dem ganzen Zuge des Blattes feste Parteihaltung und rück¬
sichtsvolle Behandlung der Parteigenossen fordert.

Aber auch die Führer einer Oppositionspartei, die Abgeordneten, sind nur
einige Monate des Jahres in vereinigter Thätigkeit für uns sichtbar, auch sie
treten alljährlich wieder in das Privatleben zurück, und der Mangel eines ein¬
heitlichen Zusammenhangs der Parteigenossen wird dann allerdings sehr fühlbar.
Bei jeder neuen Frage, die in der Zwischenzeit zwischen zwei Landtagen auf¬
taucht, für alle Stimmungen, welche unterdeß in das Volk dringen, fehlt
der Regulator der Tribüne und die einheitliche Beeinflussung der öffentlichen
Meinung. In dieser Zeit bleibt vorzugsweise der Presse überlassen, die
Traditionen aufrecht zu erhalten. Selbst in Staaten von längerer parlamentarischer
Erfahrung, wo die Parteiübcrlieferungen fest und die Disciplin der Partei¬
genossen Mit strammer ist, benutzen die Parteiführer mit großer Sorgfalt jede
sich darbietende Gelegenheit, um vor angesehenen Korporationen, vor ihren
Wählern, bei festlichen Gelegenheiten sich über neue Tagesfragen auszusprechen
und dadurch die öffentliche Meinung Vorsichtig zu leiten. Vielleicht mangelt den
Führern der preußischen Partei zu sehr die Gelegenheit; zuweilen auch die Ge¬
wöhnung, bei solcher gelegentlichen Aussprache die Vorsicht und vornehme
Haltung zu bewahren, welche der öffentlichen Rede eines Volksvertreters so gut
stehen. Es fehlt uns allen noch etwas von der Taktik, welche sich in längerem
parlamentarischen Leben herausbildet.

Aber grade da uns in einem Theil des Jahres die stille Direction fehlt,
welche vor anderem die Tribüne vermittelt, und da wir jeden Tag in die Lage
kommen können, in vereinzelter Stellung unter dem Eindruck eines neuen Er¬
eignisses zu sprechen und zu handeln, ist uns nothwendig, daß wir die Fühlung
mit Gleichgesinnten und den parlamentarischen Führern der Partei niemals
ausgeben. Persönlicher und brieflicher Verkehr mit Parteigenossen hat unter
uns besondere Bedeutung, er vermag freilich nicht den Mangel eines festen
Zusammenhangs unter den Leitern der Presse und den Deputaten zu ersetzen.

Da wir nun leicht in Gefahr kommen, in der Auffassung neuer politischer
Interessen auseinandcrzugchcn, so wird wenigstens die größte Rücksicht aus'
die Personen unserer politischen Führer und größte Schonung einer entgegen¬
gesetzten Ansicht bei Parteigenossen unsre Pflicht. Denn in vielen Fällen,
wo verschiedenartige Behandlung derselben Frage die Kraft der Partei schwächt,
ist die letzte Ursache nur die mangelnde Gelegenheit zu persönlicher Verstän¬
digung unter den Einzelnen, bevor sie sich durch Wort und That sür eine
bestimmte Richtung engagirt haben. Diesen Uebelstand vermögen wir nicht zu be¬
seitigen, er ist zuletzt eine Folge davon, daß weder Deutschland, noch in diesem
Sinne Preußen einen großen politischen Mittelpunkt hat; aber wir können ihn
mildern, wenn wir uns in jedem Augenblick erinnern, daß unsere oder mehrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/434>, abgerufen am 29.06.2024.