Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.sie sind die erwählten Führer der Partei, ihrem Gewissen ist die folgenschwere Es ist deshalb selbstverständlich, daß die Möglichkeit, welche dem Ein¬ sie sind die erwählten Führer der Partei, ihrem Gewissen ist die folgenschwere Es ist deshalb selbstverständlich, daß die Möglichkeit, welche dem Ein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284903"/> <p xml:id="ID_1409" prev="#ID_1408"> sie sind die erwählten Führer der Partei, ihrem Gewissen ist die folgenschwere<lb/> Beurtheilung der höchsten Staatsfragen anheimgegeben, durch ihre Thätigkeit<lb/> in der Kammer leiten sie auch das Schicksal ihrer Partei; durch sie erst wird<lb/> die Parteibildung vollendet, denn sie erst bringen ihre Partei zu gesetzlicher<lb/> politischer Geltung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1410" next="#ID_1411"> Es ist deshalb selbstverständlich, daß die Möglichkeit, welche dem Ein¬<lb/> zelnen wird, eine persönliche Ueberzeugung zur Geltung zu bringen, in hohem<lb/> Grade abhängig ist von der socialen Stellung, welche er innerhalb der Partei<lb/> einnimmt, d. h. von dem Theil seiner Zeit, welchen er der Politik zu widmen<lb/> im Stande ist. Der Wähler, der Journalist, der Abgeordnete stehen darin<lb/> nicht gleich. Wer nur einzelne Stunden eines beschäftigten Lebens herzugeben<lb/> vermag, bei dem wird die größte Selbstbeschränkung und die willigste Unter¬<lb/> ordnung unter die Führer nützlich sein; eine feste persönliche Ueberzeugung vermag<lb/> er in der Regel nur in kleinem Kreise geltend zu machen. Tritt jemand aber<lb/> mit einer großen Forderung gegen die Partei hervor und wirbt er selbstwillig<lb/> für seine Ueberzeugung Anhänger, so legt sich auch die Pflicht auf seine Seele,<lb/> das Neue, welches er selbst in die Partei hineinträgt, in ihr oder gegen sie<lb/> zu politischer Geltung zu bringen. Einem Mann von gewöhnlicher wohlge-<lb/> messener Menschenkraft wird dies selten ohne eine vollständige Hingabe an<lb/> solche Idee möglich sein, er wird dann selbst Abgeordneter werden und sich<lb/> zutrauen müssen, durch persönlichen Verkehr und in dem politischen Kampf der<lb/> Tribüne seiner Partei neue Gesichtspunkte zu geben oder eine neue Partei<lb/> zu bilden u. s. w. Erkennt er aber die Unmöglichkeit, sein persönliches<lb/> Wollen siegreich im Staate durchzusetzen, so wird er sich mit Bescheidenheit<lb/> resigniren, weil er im entgegengesetzten Fall vielleicht eine Störung des in<lb/> Deutschland ohne dies noch viel zu lockern Parteizusammenhangs hervorbringen,<lb/> aber nichts Positives schaffen würde. Freier steht der Journalist, und wer<lb/> sonst durch die Presse auf die öffentliche Meinung einwirkt. Unlciugbar hat<lb/> hier die persönliche Ausfassung weit größere Rechte, schon deshalb, weil sie<lb/> unvermeidlich ist; denn der Journalist hat nicht nur Thatsachen mitzutheilen,<lb/> sondern auch das eigene Urtheil beizufügen; er ist nicht immer in der Lage,<lb/> Parteistimmung und Beschlüsse der Parteiführer abzuwarten, ja von ihm<lb/> wird verlangt, daß er diese selbst begutachte. Aber auch er ist abhängig zu-<lb/> nächst von Tendenz und Haltung des Blattes, in welchem er sich äußert, dann<lb/> von seiner eigenen Stellung zu den Parteien; sein und seiner Zeitung Werth<lb/> wird darnach geschätzt, ob sie politischen Charakter und Parteitreue habe, und<lb/> ob die Urtheile Intelligenz und Patriotismus und die Kenntnisse verrathen,<lb/> welche die Leser dauernd fesseln. Es ist eine charakteristische Erscheinung, daß<lb/> das Publikum selten solche Blätter zu seinen Lieblingsblättern macht, welche<lb/> sich völlig als Organe der leitenden Politiker einer Partei darstellen, daß es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0433]
sie sind die erwählten Führer der Partei, ihrem Gewissen ist die folgenschwere
Beurtheilung der höchsten Staatsfragen anheimgegeben, durch ihre Thätigkeit
in der Kammer leiten sie auch das Schicksal ihrer Partei; durch sie erst wird
die Parteibildung vollendet, denn sie erst bringen ihre Partei zu gesetzlicher
politischer Geltung.
Es ist deshalb selbstverständlich, daß die Möglichkeit, welche dem Ein¬
zelnen wird, eine persönliche Ueberzeugung zur Geltung zu bringen, in hohem
Grade abhängig ist von der socialen Stellung, welche er innerhalb der Partei
einnimmt, d. h. von dem Theil seiner Zeit, welchen er der Politik zu widmen
im Stande ist. Der Wähler, der Journalist, der Abgeordnete stehen darin
nicht gleich. Wer nur einzelne Stunden eines beschäftigten Lebens herzugeben
vermag, bei dem wird die größte Selbstbeschränkung und die willigste Unter¬
ordnung unter die Führer nützlich sein; eine feste persönliche Ueberzeugung vermag
er in der Regel nur in kleinem Kreise geltend zu machen. Tritt jemand aber
mit einer großen Forderung gegen die Partei hervor und wirbt er selbstwillig
für seine Ueberzeugung Anhänger, so legt sich auch die Pflicht auf seine Seele,
das Neue, welches er selbst in die Partei hineinträgt, in ihr oder gegen sie
zu politischer Geltung zu bringen. Einem Mann von gewöhnlicher wohlge-
messener Menschenkraft wird dies selten ohne eine vollständige Hingabe an
solche Idee möglich sein, er wird dann selbst Abgeordneter werden und sich
zutrauen müssen, durch persönlichen Verkehr und in dem politischen Kampf der
Tribüne seiner Partei neue Gesichtspunkte zu geben oder eine neue Partei
zu bilden u. s. w. Erkennt er aber die Unmöglichkeit, sein persönliches
Wollen siegreich im Staate durchzusetzen, so wird er sich mit Bescheidenheit
resigniren, weil er im entgegengesetzten Fall vielleicht eine Störung des in
Deutschland ohne dies noch viel zu lockern Parteizusammenhangs hervorbringen,
aber nichts Positives schaffen würde. Freier steht der Journalist, und wer
sonst durch die Presse auf die öffentliche Meinung einwirkt. Unlciugbar hat
hier die persönliche Ausfassung weit größere Rechte, schon deshalb, weil sie
unvermeidlich ist; denn der Journalist hat nicht nur Thatsachen mitzutheilen,
sondern auch das eigene Urtheil beizufügen; er ist nicht immer in der Lage,
Parteistimmung und Beschlüsse der Parteiführer abzuwarten, ja von ihm
wird verlangt, daß er diese selbst begutachte. Aber auch er ist abhängig zu-
nächst von Tendenz und Haltung des Blattes, in welchem er sich äußert, dann
von seiner eigenen Stellung zu den Parteien; sein und seiner Zeitung Werth
wird darnach geschätzt, ob sie politischen Charakter und Parteitreue habe, und
ob die Urtheile Intelligenz und Patriotismus und die Kenntnisse verrathen,
welche die Leser dauernd fesseln. Es ist eine charakteristische Erscheinung, daß
das Publikum selten solche Blätter zu seinen Lieblingsblättern macht, welche
sich völlig als Organe der leitenden Politiker einer Partei darstellen, daß es
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