Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.einem Augenblick ihrer politischen Thätigkeit nicht die absolute Mehrzahl der Jeder solcher Anschluß giebt viel und nimmt einiges, er macht sicherer Die politische Thätigkeit einer Partei, welche nicht im Besitz der Regierungs¬ einem Augenblick ihrer politischen Thätigkeit nicht die absolute Mehrzahl der Jeder solcher Anschluß giebt viel und nimmt einiges, er macht sicherer Die politische Thätigkeit einer Partei, welche nicht im Besitz der Regierungs¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284902"/> <p xml:id="ID_1406" prev="#ID_1405"> einem Augenblick ihrer politischen Thätigkeit nicht die absolute Mehrzahl der<lb/> Staatsangehörigen unter ihren Fahnen zähle; das ist nie und nirgend der<lb/> Fall, außer in Katastrophen des Staats, und dann wird in der Regel eine<lb/> schnelle Entscheidung herbeigeführt. Ein verständiger Staatsmann darf nur<lb/> fragen, zu welcher Partei gehen stille Neigung und Wünsche der zur Zeit<lb/> schweigenden großen Mehrzahl der Staatsangehörigen, und in der Regel wird<lb/> diese Frage nicht schwer zu beantworten sein. Aber wie groß die Zahl derer<lb/> in einem Staate sein mag. welche ihre Parteinahme nicht öffentlich manifestirt<lb/> haben; so lange sie in der Stellung ruhiger Beobachtung verharren, vermögen sie<lb/> den Sieg einer Partei aufzuhalten, aber niemals selbst einen Erfolg durchzusetzen,<lb/> denn Indifferenz, Borsicht, Trägheit, Furcht, Verstimmung und Abneigung gegen<lb/> alle Politik sind keine Qualitäten, welche eine politische Kraftäußerung möglich<lb/> machen. Dagegen sind sie für jede Partei wichtig, weil jede um sie wirbt,<lb/> und weil das Bestreben, ihre stillen Sympathien nicht zu verlieren, die Partei<lb/> vor argen Ausschreitungen und vor übergroßer Einseitigkeit bewahrt. Wer also<lb/> in politischen Dingen irgendetwas durchzusetzen wünscht, der hat sich und seine<lb/> Interessen nicht diesen Indifferenten anzuvertrauen, sondern er hat sich an<lb/> eine thätige Partei anzuschließen und die Consequenzen dieses Anschlusses auf<lb/> sich zu nehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1407"> Jeder solcher Anschluß giebt viel und nimmt einiges, er macht sicherer<lb/> und stärker, aber er beschränkt wahrscheinlich auch in manchen Fällen die Frei¬<lb/> heit, eine persönliche Ueberzeugung in beliebiger Weise geltend zu machen; er giebt<lb/> Gelegenheit zu einer großen Wirksamkeit, aber er stellt auch dieser Wirksamkeit<lb/> gewisse feste Schranken auf. Die Partei hebt, trägt und bringt zur Geltung,<lb/> aber sie bändigt auch den eigenen Willen und sie nöthigt die genialste Kraft,<lb/> sich zu bescheiden. Das hat Cäsar gefühlt, Cromwell und jeder andere Staats¬<lb/> mann, der aus dem Privatleben heraufkam. Denn die Grundlage jeder segens¬<lb/> reichen politischen Thätigkeit ist Cvmpromiß, und zwar Compromiß des Wahl¬<lb/> manns mit dem Wahlmann, des Schriftstellers mit seinen Lesern, des Deputirten<lb/> mit seinen Parteigenossen, der Partei mit der Gegenpartei, der Regierung mit<lb/> den Parteien, der Staaten untereinander. Der Einzelne, welcher sich solcher<lb/> Parteisubordination nicht unterwerfen will, mag als Einzelner friedlich dahin<lb/> leben, aber er muß auf jede nützliche Theilnahme an Politik verzichten. Es<lb/> versteht sich von selbst, daß darum niemand Sklave der Partei wird; jedem<lb/> steht der Austritt und Rückzug in das Privatleben frei, und keinem kann<lb/> Ä priori das Recht genommen werden, eine neue Partei zu bilden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1408" next="#ID_1409"> Die politische Thätigkeit einer Partei, welche nicht im Besitz der Regierungs¬<lb/> gewalt ist, äußert sich auf der Tribüne, durch die Presse, durch persönliche<lb/> Einwirkung auf die einzelnen Wählerkreise. Die Abgeordneten sind es, welche<lb/> durch das Vertrauen ihrer Wähler zu verhandelnden Politikern ernannt werden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0432]
einem Augenblick ihrer politischen Thätigkeit nicht die absolute Mehrzahl der
Staatsangehörigen unter ihren Fahnen zähle; das ist nie und nirgend der
Fall, außer in Katastrophen des Staats, und dann wird in der Regel eine
schnelle Entscheidung herbeigeführt. Ein verständiger Staatsmann darf nur
fragen, zu welcher Partei gehen stille Neigung und Wünsche der zur Zeit
schweigenden großen Mehrzahl der Staatsangehörigen, und in der Regel wird
diese Frage nicht schwer zu beantworten sein. Aber wie groß die Zahl derer
in einem Staate sein mag. welche ihre Parteinahme nicht öffentlich manifestirt
haben; so lange sie in der Stellung ruhiger Beobachtung verharren, vermögen sie
den Sieg einer Partei aufzuhalten, aber niemals selbst einen Erfolg durchzusetzen,
denn Indifferenz, Borsicht, Trägheit, Furcht, Verstimmung und Abneigung gegen
alle Politik sind keine Qualitäten, welche eine politische Kraftäußerung möglich
machen. Dagegen sind sie für jede Partei wichtig, weil jede um sie wirbt,
und weil das Bestreben, ihre stillen Sympathien nicht zu verlieren, die Partei
vor argen Ausschreitungen und vor übergroßer Einseitigkeit bewahrt. Wer also
in politischen Dingen irgendetwas durchzusetzen wünscht, der hat sich und seine
Interessen nicht diesen Indifferenten anzuvertrauen, sondern er hat sich an
eine thätige Partei anzuschließen und die Consequenzen dieses Anschlusses auf
sich zu nehmen.
Jeder solcher Anschluß giebt viel und nimmt einiges, er macht sicherer
und stärker, aber er beschränkt wahrscheinlich auch in manchen Fällen die Frei¬
heit, eine persönliche Ueberzeugung in beliebiger Weise geltend zu machen; er giebt
Gelegenheit zu einer großen Wirksamkeit, aber er stellt auch dieser Wirksamkeit
gewisse feste Schranken auf. Die Partei hebt, trägt und bringt zur Geltung,
aber sie bändigt auch den eigenen Willen und sie nöthigt die genialste Kraft,
sich zu bescheiden. Das hat Cäsar gefühlt, Cromwell und jeder andere Staats¬
mann, der aus dem Privatleben heraufkam. Denn die Grundlage jeder segens¬
reichen politischen Thätigkeit ist Cvmpromiß, und zwar Compromiß des Wahl¬
manns mit dem Wahlmann, des Schriftstellers mit seinen Lesern, des Deputirten
mit seinen Parteigenossen, der Partei mit der Gegenpartei, der Regierung mit
den Parteien, der Staaten untereinander. Der Einzelne, welcher sich solcher
Parteisubordination nicht unterwerfen will, mag als Einzelner friedlich dahin
leben, aber er muß auf jede nützliche Theilnahme an Politik verzichten. Es
versteht sich von selbst, daß darum niemand Sklave der Partei wird; jedem
steht der Austritt und Rückzug in das Privatleben frei, und keinem kann
Ä priori das Recht genommen werden, eine neue Partei zu bilden.
Die politische Thätigkeit einer Partei, welche nicht im Besitz der Regierungs¬
gewalt ist, äußert sich auf der Tribüne, durch die Presse, durch persönliche
Einwirkung auf die einzelnen Wählerkreise. Die Abgeordneten sind es, welche
durch das Vertrauen ihrer Wähler zu verhandelnden Politikern ernannt werden.
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