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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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ganzen gebildeten Europas. Für den warmen Antheil, womit das Ausland
den preußischen Streit für die Gerfassung betrachtet, sind wir dankbar; wir
würdigen sehr wohl den Werth, welchen die Sympathien Europas in irgend¬
einem bevorstehenden Stadium des Conflictes für uns haben können. Da aber
die englische Presse den Preußen einen gewissen Mangel an Entschlossenheit
vorwirft, so geben wir ihr freundlich zu bedenken, daß die Führer des Langen
Parlaments wahrscheinlich als friedliche Colonisten in irgendeinem Territorium
Amerikas geendet hätten, wenn König Karl 200,000 Soldaten unter der Fahne
und eine vortrefflich eingerichtete und fügsame Bcamtenmaschinerie zur Ver¬
fügung gehabt hätte. Auch die Franzosen mögen uns nicht zürnen, wenn wir
Anstand nehmen, ihrem Beispiel zu folgen. Wir sehen nicht, daß der häufige
Wechsel der Dynastien ein untrügliches Mittel ist. die innere Freiheit zu stärken.
Und wir vermögen den Imperialismus auch dann nicht zu bewundern, wenn
wir zugeben, daß er der Franzosen Macht und Ansehn in Europa vergrößert
hat. Denn wir sehen zugleich, daß dies System die Individuen schwächer und
politisch untüchtiger macht. Und wir wünschen unserm Preußen solche Größe
nicht, welche gezwungen ist, die Bürger herabzuwürdigen, um den Staat zu
heben.

Dieser Kampf um die Reorganisation des preußischen Staates, das heißt
um seine Verwandlung in einen Verfassungsstaat, mag in unserem oder einem
folgenden Geschlecht mit dem Siege unserer Partei enden; wie er jetzt schwebt,
füllt er uns Herz und Gedanken, durch ihn sind wir Teilnehmer an den po¬
litischen Geschicken unseres Volkes, er ist uns Freude und Sorge und das große
Interesse unserer Tage. Er ist es mehr oder weniger auch für die Deutschen,
welche nicht in Preußen selbst sich daran zu betheiligen vermögen.

Und es ist sehr an der Zeit, daß, wer irgend zur liberalen Partei gehört,
und wer auf Preußens Zukunft irgendwelche Hoffnung setzt, sich selbst klar
mache, wie er zu diesem Kampfe stehe, und welches Verhalten ihm Pflicht sei.

Es sei deshalb erlaubt, zunächst an einige triviale Wahrheiten zu erinnern.

In Preußen gehört, grade wie in Staaten mit altem Verfassungsleben,
nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil der urtheilsfähigem Menschen einer de"
stimmten politischen Partei an. der größere Theil beharrt in der Rolle eines
theilnehmenden Zuschauers, der sich den Parteien gegenüber eine gewisse Un¬
befangenheit des Urtheils zu bewahren sucht und nur in Fällen der Noth oder
bei zufälliger Veranlassung als thätiges Mitglied einer Partei hervortritt.
Auch diese stillen Beobachter sind nicht parteilos, ihre Sympathien sind doch
i" der Hauptsache auf einer Seite, auch sie werden durch die Parteien beein¬
flußt, in Zeiten der Noth sind sie aus den Anschluß an die bestehenden an¬
gewiesen und treten unter das Commando der vorhandenen Führer. Es
ist deshalb nicht statthaft, einer Partei vorzuwerfen, daß sie in irgend-


ganzen gebildeten Europas. Für den warmen Antheil, womit das Ausland
den preußischen Streit für die Gerfassung betrachtet, sind wir dankbar; wir
würdigen sehr wohl den Werth, welchen die Sympathien Europas in irgend¬
einem bevorstehenden Stadium des Conflictes für uns haben können. Da aber
die englische Presse den Preußen einen gewissen Mangel an Entschlossenheit
vorwirft, so geben wir ihr freundlich zu bedenken, daß die Führer des Langen
Parlaments wahrscheinlich als friedliche Colonisten in irgendeinem Territorium
Amerikas geendet hätten, wenn König Karl 200,000 Soldaten unter der Fahne
und eine vortrefflich eingerichtete und fügsame Bcamtenmaschinerie zur Ver¬
fügung gehabt hätte. Auch die Franzosen mögen uns nicht zürnen, wenn wir
Anstand nehmen, ihrem Beispiel zu folgen. Wir sehen nicht, daß der häufige
Wechsel der Dynastien ein untrügliches Mittel ist. die innere Freiheit zu stärken.
Und wir vermögen den Imperialismus auch dann nicht zu bewundern, wenn
wir zugeben, daß er der Franzosen Macht und Ansehn in Europa vergrößert
hat. Denn wir sehen zugleich, daß dies System die Individuen schwächer und
politisch untüchtiger macht. Und wir wünschen unserm Preußen solche Größe
nicht, welche gezwungen ist, die Bürger herabzuwürdigen, um den Staat zu
heben.

Dieser Kampf um die Reorganisation des preußischen Staates, das heißt
um seine Verwandlung in einen Verfassungsstaat, mag in unserem oder einem
folgenden Geschlecht mit dem Siege unserer Partei enden; wie er jetzt schwebt,
füllt er uns Herz und Gedanken, durch ihn sind wir Teilnehmer an den po¬
litischen Geschicken unseres Volkes, er ist uns Freude und Sorge und das große
Interesse unserer Tage. Er ist es mehr oder weniger auch für die Deutschen,
welche nicht in Preußen selbst sich daran zu betheiligen vermögen.

Und es ist sehr an der Zeit, daß, wer irgend zur liberalen Partei gehört,
und wer auf Preußens Zukunft irgendwelche Hoffnung setzt, sich selbst klar
mache, wie er zu diesem Kampfe stehe, und welches Verhalten ihm Pflicht sei.

Es sei deshalb erlaubt, zunächst an einige triviale Wahrheiten zu erinnern.

In Preußen gehört, grade wie in Staaten mit altem Verfassungsleben,
nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil der urtheilsfähigem Menschen einer de»
stimmten politischen Partei an. der größere Theil beharrt in der Rolle eines
theilnehmenden Zuschauers, der sich den Parteien gegenüber eine gewisse Un¬
befangenheit des Urtheils zu bewahren sucht und nur in Fällen der Noth oder
bei zufälliger Veranlassung als thätiges Mitglied einer Partei hervortritt.
Auch diese stillen Beobachter sind nicht parteilos, ihre Sympathien sind doch
i» der Hauptsache auf einer Seite, auch sie werden durch die Parteien beein¬
flußt, in Zeiten der Noth sind sie aus den Anschluß an die bestehenden an¬
gewiesen und treten unter das Commando der vorhandenen Führer. Es
ist deshalb nicht statthaft, einer Partei vorzuwerfen, daß sie in irgend-


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[0431] ganzen gebildeten Europas. Für den warmen Antheil, womit das Ausland den preußischen Streit für die Gerfassung betrachtet, sind wir dankbar; wir würdigen sehr wohl den Werth, welchen die Sympathien Europas in irgend¬ einem bevorstehenden Stadium des Conflictes für uns haben können. Da aber die englische Presse den Preußen einen gewissen Mangel an Entschlossenheit vorwirft, so geben wir ihr freundlich zu bedenken, daß die Führer des Langen Parlaments wahrscheinlich als friedliche Colonisten in irgendeinem Territorium Amerikas geendet hätten, wenn König Karl 200,000 Soldaten unter der Fahne und eine vortrefflich eingerichtete und fügsame Bcamtenmaschinerie zur Ver¬ fügung gehabt hätte. Auch die Franzosen mögen uns nicht zürnen, wenn wir Anstand nehmen, ihrem Beispiel zu folgen. Wir sehen nicht, daß der häufige Wechsel der Dynastien ein untrügliches Mittel ist. die innere Freiheit zu stärken. Und wir vermögen den Imperialismus auch dann nicht zu bewundern, wenn wir zugeben, daß er der Franzosen Macht und Ansehn in Europa vergrößert hat. Denn wir sehen zugleich, daß dies System die Individuen schwächer und politisch untüchtiger macht. Und wir wünschen unserm Preußen solche Größe nicht, welche gezwungen ist, die Bürger herabzuwürdigen, um den Staat zu heben. Dieser Kampf um die Reorganisation des preußischen Staates, das heißt um seine Verwandlung in einen Verfassungsstaat, mag in unserem oder einem folgenden Geschlecht mit dem Siege unserer Partei enden; wie er jetzt schwebt, füllt er uns Herz und Gedanken, durch ihn sind wir Teilnehmer an den po¬ litischen Geschicken unseres Volkes, er ist uns Freude und Sorge und das große Interesse unserer Tage. Er ist es mehr oder weniger auch für die Deutschen, welche nicht in Preußen selbst sich daran zu betheiligen vermögen. Und es ist sehr an der Zeit, daß, wer irgend zur liberalen Partei gehört, und wer auf Preußens Zukunft irgendwelche Hoffnung setzt, sich selbst klar mache, wie er zu diesem Kampfe stehe, und welches Verhalten ihm Pflicht sei. Es sei deshalb erlaubt, zunächst an einige triviale Wahrheiten zu erinnern. In Preußen gehört, grade wie in Staaten mit altem Verfassungsleben, nur ein verhältnißmäßig kleiner Theil der urtheilsfähigem Menschen einer de» stimmten politischen Partei an. der größere Theil beharrt in der Rolle eines theilnehmenden Zuschauers, der sich den Parteien gegenüber eine gewisse Un¬ befangenheit des Urtheils zu bewahren sucht und nur in Fällen der Noth oder bei zufälliger Veranlassung als thätiges Mitglied einer Partei hervortritt. Auch diese stillen Beobachter sind nicht parteilos, ihre Sympathien sind doch i» der Hauptsache auf einer Seite, auch sie werden durch die Parteien beein¬ flußt, in Zeiten der Noth sind sie aus den Anschluß an die bestehenden an¬ gewiesen und treten unter das Commando der vorhandenen Führer. Es ist deshalb nicht statthaft, einer Partei vorzuwerfen, daß sie in irgend-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/431>, abgerufen am 28.09.2024.