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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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welche das Volk selbst vornehmen muß, deren Früchte ihm nicht als ein Ge¬
schenk von oben kommen dürfen.

Es ist allerdings in Preußen bekannt, daß der Kronprinz in fester Oppo¬
sition gegen das herrschende System verharrt, daß er an den Sitzungen des
Ministerraths keinen Theil nimmt und nur bei den Conseilsitzungen erscheint,
zu denen er vom König selbst beordert wird.

Aber was ist alles in Preußen umzuformen! Riesengroß ist die Arbeit
geworden, sie vermag, wie die Sachen liegen, nimmer durch den guten Willen
eines Fürsten gethan zu werden. Wo ungeeignete Personen aus ihren Aemtern
entfernt werden, müssen doch andere bewährte statt ihrer eintreten, wie sollen
diese einem Fürsten erkennbar und der Last gewachsen sein, wenn sie sich nicht
im lebhaften Kampfe bewährt und das Metall ihres Willens gehärtet haben.
Ferner aber sind die in Preußen nöthigen Reformen zum Theil von der Art.
daß sie sich gar nicht anders durchführen lassen, als gefordert durch eine stark
bewegte und imponirende öffentliche Meinung, welche zahllosen Ansprüchen
Einzelner und ganzer Classen gebieterisch Resignation auferlegt. Wir erinnern
nur an die Umgestaltung des Herrenhauses. Es ist in Preußen nicht eine
kleine, sondern eine große und mächtige Partei, welche dadurch tödtlich gekränkt
wird; Ansprüche, welche in fast zwanzig Jahren groß gezogen. Anschauungen,
welche von oben sorgfältig gepflegt sind, weichen nicht einem Federstrich, und
wenn er von der Hand eines Königs käme; es genügt auch nicht, zweihundert
neue Mitglieder des Herrenhauses zu ernennen, um den aufbrennenden Haß
und stillen Widerstand von Tausenden einflußreicher Männer zu brechen,
das vermag nur durch die Ueberzeugung zu geschehen, daß auf dem Wege,
der bis dahin beschütten wurde, ohne größte Gefahr für die Einzelnen und
den Staat nicht weiter zu kommen sei. Und diese zwingende Ueberzeugung
vermag, wie Menschenart ist, nur eine Respect einflößende Haltung des preu¬
ßischen Volkes zu geben.

Es fehlt in Preußen auch nicht an solchen Liberalen, welche jetzt schon finster
in die Zukunft sehen und sich unheimlicher Vergleichung mit den Revolutionen
des vorigen Jahrhunderts nicht entschlagen können. Es hat damit keine Noth.
Die Preußen sind keine Franzosen, der Bauer ist kein Sklave, der Erwerbende
hat trotz der Forderungen eines strengen Staates die. Ueberzeugung, daß er
wacker vorwärts kommt, in den Familien ist Zucht und Sitte, die große Idee,
daß der Einzelne sich zuletzt dem Staate schuldig sei. ist dort sehr tief in die
Seelen geprägt. Auch die Opposition mag einmal zu gewagten Schritten ge¬
drängt werden, aber die Veranlassung und Methode des Streites ist dazu an¬
gethan, den Leitern Besonnenheit und Selbstbeschränkung zu geben, denn es
ist ein Kampf um gesetzliches Recht und seine Consequenzen. Auch steht die
liberale Partei in Deutschland jetzt unter der Zucht und dem Urtheile des


welche das Volk selbst vornehmen muß, deren Früchte ihm nicht als ein Ge¬
schenk von oben kommen dürfen.

Es ist allerdings in Preußen bekannt, daß der Kronprinz in fester Oppo¬
sition gegen das herrschende System verharrt, daß er an den Sitzungen des
Ministerraths keinen Theil nimmt und nur bei den Conseilsitzungen erscheint,
zu denen er vom König selbst beordert wird.

Aber was ist alles in Preußen umzuformen! Riesengroß ist die Arbeit
geworden, sie vermag, wie die Sachen liegen, nimmer durch den guten Willen
eines Fürsten gethan zu werden. Wo ungeeignete Personen aus ihren Aemtern
entfernt werden, müssen doch andere bewährte statt ihrer eintreten, wie sollen
diese einem Fürsten erkennbar und der Last gewachsen sein, wenn sie sich nicht
im lebhaften Kampfe bewährt und das Metall ihres Willens gehärtet haben.
Ferner aber sind die in Preußen nöthigen Reformen zum Theil von der Art.
daß sie sich gar nicht anders durchführen lassen, als gefordert durch eine stark
bewegte und imponirende öffentliche Meinung, welche zahllosen Ansprüchen
Einzelner und ganzer Classen gebieterisch Resignation auferlegt. Wir erinnern
nur an die Umgestaltung des Herrenhauses. Es ist in Preußen nicht eine
kleine, sondern eine große und mächtige Partei, welche dadurch tödtlich gekränkt
wird; Ansprüche, welche in fast zwanzig Jahren groß gezogen. Anschauungen,
welche von oben sorgfältig gepflegt sind, weichen nicht einem Federstrich, und
wenn er von der Hand eines Königs käme; es genügt auch nicht, zweihundert
neue Mitglieder des Herrenhauses zu ernennen, um den aufbrennenden Haß
und stillen Widerstand von Tausenden einflußreicher Männer zu brechen,
das vermag nur durch die Ueberzeugung zu geschehen, daß auf dem Wege,
der bis dahin beschütten wurde, ohne größte Gefahr für die Einzelnen und
den Staat nicht weiter zu kommen sei. Und diese zwingende Ueberzeugung
vermag, wie Menschenart ist, nur eine Respect einflößende Haltung des preu¬
ßischen Volkes zu geben.

Es fehlt in Preußen auch nicht an solchen Liberalen, welche jetzt schon finster
in die Zukunft sehen und sich unheimlicher Vergleichung mit den Revolutionen
des vorigen Jahrhunderts nicht entschlagen können. Es hat damit keine Noth.
Die Preußen sind keine Franzosen, der Bauer ist kein Sklave, der Erwerbende
hat trotz der Forderungen eines strengen Staates die. Ueberzeugung, daß er
wacker vorwärts kommt, in den Familien ist Zucht und Sitte, die große Idee,
daß der Einzelne sich zuletzt dem Staate schuldig sei. ist dort sehr tief in die
Seelen geprägt. Auch die Opposition mag einmal zu gewagten Schritten ge¬
drängt werden, aber die Veranlassung und Methode des Streites ist dazu an¬
gethan, den Leitern Besonnenheit und Selbstbeschränkung zu geben, denn es
ist ein Kampf um gesetzliches Recht und seine Consequenzen. Auch steht die
liberale Partei in Deutschland jetzt unter der Zucht und dem Urtheile des


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[0430] welche das Volk selbst vornehmen muß, deren Früchte ihm nicht als ein Ge¬ schenk von oben kommen dürfen. Es ist allerdings in Preußen bekannt, daß der Kronprinz in fester Oppo¬ sition gegen das herrschende System verharrt, daß er an den Sitzungen des Ministerraths keinen Theil nimmt und nur bei den Conseilsitzungen erscheint, zu denen er vom König selbst beordert wird. Aber was ist alles in Preußen umzuformen! Riesengroß ist die Arbeit geworden, sie vermag, wie die Sachen liegen, nimmer durch den guten Willen eines Fürsten gethan zu werden. Wo ungeeignete Personen aus ihren Aemtern entfernt werden, müssen doch andere bewährte statt ihrer eintreten, wie sollen diese einem Fürsten erkennbar und der Last gewachsen sein, wenn sie sich nicht im lebhaften Kampfe bewährt und das Metall ihres Willens gehärtet haben. Ferner aber sind die in Preußen nöthigen Reformen zum Theil von der Art. daß sie sich gar nicht anders durchführen lassen, als gefordert durch eine stark bewegte und imponirende öffentliche Meinung, welche zahllosen Ansprüchen Einzelner und ganzer Classen gebieterisch Resignation auferlegt. Wir erinnern nur an die Umgestaltung des Herrenhauses. Es ist in Preußen nicht eine kleine, sondern eine große und mächtige Partei, welche dadurch tödtlich gekränkt wird; Ansprüche, welche in fast zwanzig Jahren groß gezogen. Anschauungen, welche von oben sorgfältig gepflegt sind, weichen nicht einem Federstrich, und wenn er von der Hand eines Königs käme; es genügt auch nicht, zweihundert neue Mitglieder des Herrenhauses zu ernennen, um den aufbrennenden Haß und stillen Widerstand von Tausenden einflußreicher Männer zu brechen, das vermag nur durch die Ueberzeugung zu geschehen, daß auf dem Wege, der bis dahin beschütten wurde, ohne größte Gefahr für die Einzelnen und den Staat nicht weiter zu kommen sei. Und diese zwingende Ueberzeugung vermag, wie Menschenart ist, nur eine Respect einflößende Haltung des preu¬ ßischen Volkes zu geben. Es fehlt in Preußen auch nicht an solchen Liberalen, welche jetzt schon finster in die Zukunft sehen und sich unheimlicher Vergleichung mit den Revolutionen des vorigen Jahrhunderts nicht entschlagen können. Es hat damit keine Noth. Die Preußen sind keine Franzosen, der Bauer ist kein Sklave, der Erwerbende hat trotz der Forderungen eines strengen Staates die. Ueberzeugung, daß er wacker vorwärts kommt, in den Familien ist Zucht und Sitte, die große Idee, daß der Einzelne sich zuletzt dem Staate schuldig sei. ist dort sehr tief in die Seelen geprägt. Auch die Opposition mag einmal zu gewagten Schritten ge¬ drängt werden, aber die Veranlassung und Methode des Streites ist dazu an¬ gethan, den Leitern Besonnenheit und Selbstbeschränkung zu geben, denn es ist ein Kampf um gesetzliches Recht und seine Consequenzen. Auch steht die liberale Partei in Deutschland jetzt unter der Zucht und dem Urtheile des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/430>, abgerufen am 29.06.2024.