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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Zeiträumen geruht hat, ist ein Kampf nicht nur um die Verfassung selbst, son¬
dern um die gesammten sittlichen Grundlagen des bürgerlichen Lebens. Wie
matt er in manchem Jahre geführt wurde, er ist doch in der Stille unaufhörlich
fortgeführt worden, in der Kirche, in den Familien, in der Gesellschaft, im
Beamtenstrind, im Heer, auch auf dem weiten Gebiet der materiellen Interessen.
Immer bestand der drohende und dem Staat furchtbare Gegensatz zwischen
einer großen Genossenschaft der Privilegirten, welche durch engen Anschluß an
die Idee des selbstwilligen Königthums ihre eigene Sonderstellung im Staate
zu behaupten suchten, als regierende Beamte, als Militärs, als Zugehörige des
Hofes, als bevorzugte Grundbesitzer; und zwischen solchen, welche den Rechts¬
staat wollten. Immer war dies ein tiefer Gegensatz auch in den gesammten
sittlichen Grundlagen des Handelns: hier Ehre, dort Recht, hier Autorität, dort
freie Selbstbestimmung, hier hingebender Glaube, dort selbständige Forschung,
hier Vorrechte, dort freie Concurrenz. In jedem Staat sind dieselben Gegen¬
sätze des Idealismus und der Thatkraft geschäftig, aber Jahrhunderte mögen
vergehen, ohne daß eine Partei die andere unerträglich findet. Anders ist es
in Preußen gekommen, wie es denn überhaupt zum Wesen dieses Staates gehört,
sich in den schärfsten Gegensätzen von Tüchtigkeit und Verkehrtheit, von Größe,
und Kleinlichkeit, von Kraftentwickelung und Schwäche darzustellen. Hier
haben zwei Fürsten des Regentenhauses eifrig gearbeitet, sich und den Staat
auf die Reagirenden in der Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft zu
stützen. Dadurch ist eine extreme Partei von äußerster Unduldsamkeit zur
Macht gekommen. -- Selbstverständlich unterscheiden sich sehr viele tüchtige
Männer in unserm Landadel und im Heere, auch wenn sie sich der Partei zu¬
rechnen, welche mit Unrecht die conservative genannt wird, nur durch eine
wenig bemerkbare Schattirung von nahestehenden Männern der andern Partei.
Aber charakteristisch ist, daß in verhältnißmäßig vielen Individuen die ganze
Schärfe des Contrastes zu Tage kommt, und daß grade die Exaltirten der reac-
tionären Partei es sind, welche das Herrenhaus füllen, das Ministerium stützen
und beschränken, als Vertreter und Tonangeber des Heeres ihren Einfluß er¬
weisen. Deshalb ist es in der That ein Zusammenstoß zweier grundverschiedener
Weltanschauungen, was aus dem Terrain des preußischen Staates gegen ein¬
ander streitet.

Manche Preußen hoffen noch immer eine Tilgung des Risses, der den
ganzen Staatsbäu durchzieht, von einer Aenderung in den Anschauungen des
Staatsoberhauptes, und vertrösten auf solche Aenderung in der jetzt lebenden
oder künstigen Generation. Wir halten für ein Glück, und zwar zunächst
aus Loyalität, daß diese Zahl in Preußen täglich kleiner wird. Denn wer so
denkt, ist in dringender Gefahr, die Hände in den Schooß zu legen und wieder
auf das Haupt und die Verantwortung des Königs eine Arbeit zu wälzen,


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Zeiträumen geruht hat, ist ein Kampf nicht nur um die Verfassung selbst, son¬
dern um die gesammten sittlichen Grundlagen des bürgerlichen Lebens. Wie
matt er in manchem Jahre geführt wurde, er ist doch in der Stille unaufhörlich
fortgeführt worden, in der Kirche, in den Familien, in der Gesellschaft, im
Beamtenstrind, im Heer, auch auf dem weiten Gebiet der materiellen Interessen.
Immer bestand der drohende und dem Staat furchtbare Gegensatz zwischen
einer großen Genossenschaft der Privilegirten, welche durch engen Anschluß an
die Idee des selbstwilligen Königthums ihre eigene Sonderstellung im Staate
zu behaupten suchten, als regierende Beamte, als Militärs, als Zugehörige des
Hofes, als bevorzugte Grundbesitzer; und zwischen solchen, welche den Rechts¬
staat wollten. Immer war dies ein tiefer Gegensatz auch in den gesammten
sittlichen Grundlagen des Handelns: hier Ehre, dort Recht, hier Autorität, dort
freie Selbstbestimmung, hier hingebender Glaube, dort selbständige Forschung,
hier Vorrechte, dort freie Concurrenz. In jedem Staat sind dieselben Gegen¬
sätze des Idealismus und der Thatkraft geschäftig, aber Jahrhunderte mögen
vergehen, ohne daß eine Partei die andere unerträglich findet. Anders ist es
in Preußen gekommen, wie es denn überhaupt zum Wesen dieses Staates gehört,
sich in den schärfsten Gegensätzen von Tüchtigkeit und Verkehrtheit, von Größe,
und Kleinlichkeit, von Kraftentwickelung und Schwäche darzustellen. Hier
haben zwei Fürsten des Regentenhauses eifrig gearbeitet, sich und den Staat
auf die Reagirenden in der Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft zu
stützen. Dadurch ist eine extreme Partei von äußerster Unduldsamkeit zur
Macht gekommen. — Selbstverständlich unterscheiden sich sehr viele tüchtige
Männer in unserm Landadel und im Heere, auch wenn sie sich der Partei zu¬
rechnen, welche mit Unrecht die conservative genannt wird, nur durch eine
wenig bemerkbare Schattirung von nahestehenden Männern der andern Partei.
Aber charakteristisch ist, daß in verhältnißmäßig vielen Individuen die ganze
Schärfe des Contrastes zu Tage kommt, und daß grade die Exaltirten der reac-
tionären Partei es sind, welche das Herrenhaus füllen, das Ministerium stützen
und beschränken, als Vertreter und Tonangeber des Heeres ihren Einfluß er¬
weisen. Deshalb ist es in der That ein Zusammenstoß zweier grundverschiedener
Weltanschauungen, was aus dem Terrain des preußischen Staates gegen ein¬
ander streitet.

Manche Preußen hoffen noch immer eine Tilgung des Risses, der den
ganzen Staatsbäu durchzieht, von einer Aenderung in den Anschauungen des
Staatsoberhauptes, und vertrösten auf solche Aenderung in der jetzt lebenden
oder künstigen Generation. Wir halten für ein Glück, und zwar zunächst
aus Loyalität, daß diese Zahl in Preußen täglich kleiner wird. Denn wer so
denkt, ist in dringender Gefahr, die Hände in den Schooß zu legen und wieder
auf das Haupt und die Verantwortung des Königs eine Arbeit zu wälzen,


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[0429] Zeiträumen geruht hat, ist ein Kampf nicht nur um die Verfassung selbst, son¬ dern um die gesammten sittlichen Grundlagen des bürgerlichen Lebens. Wie matt er in manchem Jahre geführt wurde, er ist doch in der Stille unaufhörlich fortgeführt worden, in der Kirche, in den Familien, in der Gesellschaft, im Beamtenstrind, im Heer, auch auf dem weiten Gebiet der materiellen Interessen. Immer bestand der drohende und dem Staat furchtbare Gegensatz zwischen einer großen Genossenschaft der Privilegirten, welche durch engen Anschluß an die Idee des selbstwilligen Königthums ihre eigene Sonderstellung im Staate zu behaupten suchten, als regierende Beamte, als Militärs, als Zugehörige des Hofes, als bevorzugte Grundbesitzer; und zwischen solchen, welche den Rechts¬ staat wollten. Immer war dies ein tiefer Gegensatz auch in den gesammten sittlichen Grundlagen des Handelns: hier Ehre, dort Recht, hier Autorität, dort freie Selbstbestimmung, hier hingebender Glaube, dort selbständige Forschung, hier Vorrechte, dort freie Concurrenz. In jedem Staat sind dieselben Gegen¬ sätze des Idealismus und der Thatkraft geschäftig, aber Jahrhunderte mögen vergehen, ohne daß eine Partei die andere unerträglich findet. Anders ist es in Preußen gekommen, wie es denn überhaupt zum Wesen dieses Staates gehört, sich in den schärfsten Gegensätzen von Tüchtigkeit und Verkehrtheit, von Größe, und Kleinlichkeit, von Kraftentwickelung und Schwäche darzustellen. Hier haben zwei Fürsten des Regentenhauses eifrig gearbeitet, sich und den Staat auf die Reagirenden in der Kirche und der bürgerlichen Gesellschaft zu stützen. Dadurch ist eine extreme Partei von äußerster Unduldsamkeit zur Macht gekommen. — Selbstverständlich unterscheiden sich sehr viele tüchtige Männer in unserm Landadel und im Heere, auch wenn sie sich der Partei zu¬ rechnen, welche mit Unrecht die conservative genannt wird, nur durch eine wenig bemerkbare Schattirung von nahestehenden Männern der andern Partei. Aber charakteristisch ist, daß in verhältnißmäßig vielen Individuen die ganze Schärfe des Contrastes zu Tage kommt, und daß grade die Exaltirten der reac- tionären Partei es sind, welche das Herrenhaus füllen, das Ministerium stützen und beschränken, als Vertreter und Tonangeber des Heeres ihren Einfluß er¬ weisen. Deshalb ist es in der That ein Zusammenstoß zweier grundverschiedener Weltanschauungen, was aus dem Terrain des preußischen Staates gegen ein¬ ander streitet. Manche Preußen hoffen noch immer eine Tilgung des Risses, der den ganzen Staatsbäu durchzieht, von einer Aenderung in den Anschauungen des Staatsoberhauptes, und vertrösten auf solche Aenderung in der jetzt lebenden oder künstigen Generation. Wir halten für ein Glück, und zwar zunächst aus Loyalität, daß diese Zahl in Preußen täglich kleiner wird. Denn wer so denkt, ist in dringender Gefahr, die Hände in den Schooß zu legen und wieder auf das Haupt und die Verantwortung des Königs eine Arbeit zu wälzen, 51*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/429>, abgerufen am 26.06.2024.