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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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ober alle ihre Künste werden nur zum Wohlgefallen der holden Frauen ver¬
wendet und einem Jüngling Anweisung dazu gegeben. Doch dürfen wir
Aristoteles nicht vergessen, der in jener Zeit mehr als eine Facultät vertritt
und der uns wiederholt vorgeführt wird als der Gewährsmann aller Wahrheit,
als daS Muster aller Tugend. Einem nur können selbst Die mächtigsten und
weisesten Männer nicht widerstehen, das ist der Frauen Liebreiz, durch welche selbst
eines Aristoteles Weisheit zur Thorheit wird. An vier Königssöhnen hat der
große Meister seine physiognomische Wissenschaft erprobt und nicht eben Löb¬
liches von ihrer Complexion verkündet. Da wird ihm sein eignes Bild vor-
gelegt, und er findet daran einen Mörder, Dieb, Lügner und unkeuschen Mann.
Schon triumphiren alle, daß seine Kunst zu Schanden geworden, aber er wider¬
legt sie mit dem offenen Geständnis;, daß er allerdings jene Gebrechen habe,
sie aber zu bezwingen wisse. Das stolze Wort soll durch die That rasch gc-
Prüft werden. Des Sultans Weib naht ihm mit freundlichen Worten (in
einem andern Spiel ist es die Königin, der er zunächst nur ^ramatioam, loieam,
xdilosoMam und i-ettrorieg-in lehren will, aber sie weist diese Künste zurück,
die sich für ein Weib nicht ziemen), er wird bethört, wirft sich auf alle vier und
läßt die Fürstin auf sich hin und her traben, die in der rechten Hand eine
Art Knute schwingt und in der linken einen Zaum hält, der dem bärtigen
Philosophen durch den Mund geht. Bitter beklagt er nachher die ihm durch
solche Thorheit erwachsene Schande und will lieber sterben und warnt darum
ernstlich die jungen Gesellen, sich nicht von einem Weibe bethören zri lassen.
Das ist ein Stoff, an dem das Mittelalter sein besonderes Behagen gefunden
Und den es selbst durch die Bildhauerei und Malerei wiederholt dargestellt hat.


ober alle ihre Künste werden nur zum Wohlgefallen der holden Frauen ver¬
wendet und einem Jüngling Anweisung dazu gegeben. Doch dürfen wir
Aristoteles nicht vergessen, der in jener Zeit mehr als eine Facultät vertritt
und der uns wiederholt vorgeführt wird als der Gewährsmann aller Wahrheit,
als daS Muster aller Tugend. Einem nur können selbst Die mächtigsten und
weisesten Männer nicht widerstehen, das ist der Frauen Liebreiz, durch welche selbst
eines Aristoteles Weisheit zur Thorheit wird. An vier Königssöhnen hat der
große Meister seine physiognomische Wissenschaft erprobt und nicht eben Löb¬
liches von ihrer Complexion verkündet. Da wird ihm sein eignes Bild vor-
gelegt, und er findet daran einen Mörder, Dieb, Lügner und unkeuschen Mann.
Schon triumphiren alle, daß seine Kunst zu Schanden geworden, aber er wider¬
legt sie mit dem offenen Geständnis;, daß er allerdings jene Gebrechen habe,
sie aber zu bezwingen wisse. Das stolze Wort soll durch die That rasch gc-
Prüft werden. Des Sultans Weib naht ihm mit freundlichen Worten (in
einem andern Spiel ist es die Königin, der er zunächst nur ^ramatioam, loieam,
xdilosoMam und i-ettrorieg-in lehren will, aber sie weist diese Künste zurück,
die sich für ein Weib nicht ziemen), er wird bethört, wirft sich auf alle vier und
läßt die Fürstin auf sich hin und her traben, die in der rechten Hand eine
Art Knute schwingt und in der linken einen Zaum hält, der dem bärtigen
Philosophen durch den Mund geht. Bitter beklagt er nachher die ihm durch
solche Thorheit erwachsene Schande und will lieber sterben und warnt darum
ernstlich die jungen Gesellen, sich nicht von einem Weibe bethören zri lassen.
Das ist ein Stoff, an dem das Mittelalter sein besonderes Behagen gefunden
Und den es selbst durch die Bildhauerei und Malerei wiederholt dargestellt hat.


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[0421] ober alle ihre Künste werden nur zum Wohlgefallen der holden Frauen ver¬ wendet und einem Jüngling Anweisung dazu gegeben. Doch dürfen wir Aristoteles nicht vergessen, der in jener Zeit mehr als eine Facultät vertritt und der uns wiederholt vorgeführt wird als der Gewährsmann aller Wahrheit, als daS Muster aller Tugend. Einem nur können selbst Die mächtigsten und weisesten Männer nicht widerstehen, das ist der Frauen Liebreiz, durch welche selbst eines Aristoteles Weisheit zur Thorheit wird. An vier Königssöhnen hat der große Meister seine physiognomische Wissenschaft erprobt und nicht eben Löb¬ liches von ihrer Complexion verkündet. Da wird ihm sein eignes Bild vor- gelegt, und er findet daran einen Mörder, Dieb, Lügner und unkeuschen Mann. Schon triumphiren alle, daß seine Kunst zu Schanden geworden, aber er wider¬ legt sie mit dem offenen Geständnis;, daß er allerdings jene Gebrechen habe, sie aber zu bezwingen wisse. Das stolze Wort soll durch die That rasch gc- Prüft werden. Des Sultans Weib naht ihm mit freundlichen Worten (in einem andern Spiel ist es die Königin, der er zunächst nur ^ramatioam, loieam, xdilosoMam und i-ettrorieg-in lehren will, aber sie weist diese Künste zurück, die sich für ein Weib nicht ziemen), er wird bethört, wirft sich auf alle vier und läßt die Fürstin auf sich hin und her traben, die in der rechten Hand eine Art Knute schwingt und in der linken einen Zaum hält, der dem bärtigen Philosophen durch den Mund geht. Bitter beklagt er nachher die ihm durch solche Thorheit erwachsene Schande und will lieber sterben und warnt darum ernstlich die jungen Gesellen, sich nicht von einem Weibe bethören zri lassen. Das ist ein Stoff, an dem das Mittelalter sein besonderes Behagen gefunden Und den es selbst durch die Bildhauerei und Malerei wiederholt dargestellt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/421>, abgerufen am 29.06.2024.