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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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der Jude wird bekehrt trotz aller Klagen seiner Kinder. Nicht vergessen bleibt
der Antichrist oder wie er noch im sechszehnten Jahrhundert heißt der Ende¬
christ, denn so war im Munde des Volks sein Name gestaltet, nicht weil er
erst am Ende der Welt erscheinen solle, wie Grimm sagt, sondern weil er als
das Ende der Christenheit gedacht wird. Vor Philipp dem Schönen. Herzog von
Burgund, erscheint auf der einen Seite Sibylla, auf der andern ein Trupp Juden
mit ihrem Messias, den sie endlich gefunden zu haben behaupten. Der Messias
soll ein Zeichen thun, und ein feuerspeiender Drache erscheint, aber Sibylla
bannt die böse Zauberei, entlarvt in dem angeblichen Messias den Antichrist
und die grausamsten, ja unflätigsten Strafen werden über die armen Juden ver¬
hängt. In einem andern Spiel: des entkrist Vasnacht (68) hält er seinen
feierlichen Einzug in das Land, kündigt sich an als ein Herr über alle Herren,
als der wahre Gott; zwei Propheten, die ihn als den teuflischen Mann erkennen,
läßt er todtschlagen, die Juden begrüßen ihn freudig als den gehofften Messias
und spotten der Christen und ihres Heilands. Auch von den Christen verlangt
er Anerkennung; der Kaiser und seine Räthe sind gar nicht abgeneigt, die
Geistlichkeit wird leicht für ihn gewonnen, weil er dem Bischof das Bisthum
von Luzern (auch ein Spott, da es ein solches nicht giebt) verspricht, dem
Abt seinen Bauch füllen will, der Kaplan sich auf die Abschaffung des Coeli-
bates freut, und endlich singt gar ein Vielfraß das Lob des neuen Gottes.
Freilich bat vorher noch ein frommer Pilger, der den Trägen, Aeffer und Lüger
verflucht, dafür mit dem Tode büßen müssen.

Mit solchen Proceßspielen lassen sich am bequemsten die Räthselfragen ver¬
binden, namentlich diejenige Form derselben, in der ein neckender Witz, mit¬
unter auch ein Wortspiel die Hauptsache ist. Dennoch ist das Räthsel nicht so
oft verwendet worden, wie man nach der komischen Wendung, die viele derselben
nehmen, voraussetzen sollte. Jedermann kennt Bürgers Gedicht vom Kaiser
und Abt, das zunächst einer englischen Ballade von König Johann und dem
Abt von Canterbury oder Kantelburg, wie Bodmer sagte, nachgedichtet ist. Der¬
selbe Stoff geht durch alle Völker und Zeiten bis zu den Tibetanern und hinauf
in die nordische Mythologie, in der wenigstens Simrock S. 482 den Schäfer
Hans Bendix an Odins Stelle treten läßt. Das spil von einem leiser und
ein apt (22) ist in der Ausführung eins der vollendetsten. Das Vertrauen,
dessen sich der Abt bei dem Kaiser erfreut, hat den Neid der Großen erregt;
sie verweisen den bedrängten Kaiser höhnisch an den Abt, der wie er sonst zu
gutem trank und feisten praten gerathen habe, so auch jetzt mit seiner Weisheit
gegen die Feinde helfen werde. Der weiß freilich nicht zu rathen; da droht
ihm der Kaiser, daß er für allen Schaden der Feinde stehen solle, wenn er als
ein geistlicher Mann nicht drei Sachen zu rathen im Stande sei:


der Jude wird bekehrt trotz aller Klagen seiner Kinder. Nicht vergessen bleibt
der Antichrist oder wie er noch im sechszehnten Jahrhundert heißt der Ende¬
christ, denn so war im Munde des Volks sein Name gestaltet, nicht weil er
erst am Ende der Welt erscheinen solle, wie Grimm sagt, sondern weil er als
das Ende der Christenheit gedacht wird. Vor Philipp dem Schönen. Herzog von
Burgund, erscheint auf der einen Seite Sibylla, auf der andern ein Trupp Juden
mit ihrem Messias, den sie endlich gefunden zu haben behaupten. Der Messias
soll ein Zeichen thun, und ein feuerspeiender Drache erscheint, aber Sibylla
bannt die böse Zauberei, entlarvt in dem angeblichen Messias den Antichrist
und die grausamsten, ja unflätigsten Strafen werden über die armen Juden ver¬
hängt. In einem andern Spiel: des entkrist Vasnacht (68) hält er seinen
feierlichen Einzug in das Land, kündigt sich an als ein Herr über alle Herren,
als der wahre Gott; zwei Propheten, die ihn als den teuflischen Mann erkennen,
läßt er todtschlagen, die Juden begrüßen ihn freudig als den gehofften Messias
und spotten der Christen und ihres Heilands. Auch von den Christen verlangt
er Anerkennung; der Kaiser und seine Räthe sind gar nicht abgeneigt, die
Geistlichkeit wird leicht für ihn gewonnen, weil er dem Bischof das Bisthum
von Luzern (auch ein Spott, da es ein solches nicht giebt) verspricht, dem
Abt seinen Bauch füllen will, der Kaplan sich auf die Abschaffung des Coeli-
bates freut, und endlich singt gar ein Vielfraß das Lob des neuen Gottes.
Freilich bat vorher noch ein frommer Pilger, der den Trägen, Aeffer und Lüger
verflucht, dafür mit dem Tode büßen müssen.

Mit solchen Proceßspielen lassen sich am bequemsten die Räthselfragen ver¬
binden, namentlich diejenige Form derselben, in der ein neckender Witz, mit¬
unter auch ein Wortspiel die Hauptsache ist. Dennoch ist das Räthsel nicht so
oft verwendet worden, wie man nach der komischen Wendung, die viele derselben
nehmen, voraussetzen sollte. Jedermann kennt Bürgers Gedicht vom Kaiser
und Abt, das zunächst einer englischen Ballade von König Johann und dem
Abt von Canterbury oder Kantelburg, wie Bodmer sagte, nachgedichtet ist. Der¬
selbe Stoff geht durch alle Völker und Zeiten bis zu den Tibetanern und hinauf
in die nordische Mythologie, in der wenigstens Simrock S. 482 den Schäfer
Hans Bendix an Odins Stelle treten läßt. Das spil von einem leiser und
ein apt (22) ist in der Ausführung eins der vollendetsten. Das Vertrauen,
dessen sich der Abt bei dem Kaiser erfreut, hat den Neid der Großen erregt;
sie verweisen den bedrängten Kaiser höhnisch an den Abt, der wie er sonst zu
gutem trank und feisten praten gerathen habe, so auch jetzt mit seiner Weisheit
gegen die Feinde helfen werde. Der weiß freilich nicht zu rathen; da droht
ihm der Kaiser, daß er für allen Schaden der Feinde stehen solle, wenn er als
ein geistlicher Mann nicht drei Sachen zu rathen im Stande sei:


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[0416] der Jude wird bekehrt trotz aller Klagen seiner Kinder. Nicht vergessen bleibt der Antichrist oder wie er noch im sechszehnten Jahrhundert heißt der Ende¬ christ, denn so war im Munde des Volks sein Name gestaltet, nicht weil er erst am Ende der Welt erscheinen solle, wie Grimm sagt, sondern weil er als das Ende der Christenheit gedacht wird. Vor Philipp dem Schönen. Herzog von Burgund, erscheint auf der einen Seite Sibylla, auf der andern ein Trupp Juden mit ihrem Messias, den sie endlich gefunden zu haben behaupten. Der Messias soll ein Zeichen thun, und ein feuerspeiender Drache erscheint, aber Sibylla bannt die böse Zauberei, entlarvt in dem angeblichen Messias den Antichrist und die grausamsten, ja unflätigsten Strafen werden über die armen Juden ver¬ hängt. In einem andern Spiel: des entkrist Vasnacht (68) hält er seinen feierlichen Einzug in das Land, kündigt sich an als ein Herr über alle Herren, als der wahre Gott; zwei Propheten, die ihn als den teuflischen Mann erkennen, läßt er todtschlagen, die Juden begrüßen ihn freudig als den gehofften Messias und spotten der Christen und ihres Heilands. Auch von den Christen verlangt er Anerkennung; der Kaiser und seine Räthe sind gar nicht abgeneigt, die Geistlichkeit wird leicht für ihn gewonnen, weil er dem Bischof das Bisthum von Luzern (auch ein Spott, da es ein solches nicht giebt) verspricht, dem Abt seinen Bauch füllen will, der Kaplan sich auf die Abschaffung des Coeli- bates freut, und endlich singt gar ein Vielfraß das Lob des neuen Gottes. Freilich bat vorher noch ein frommer Pilger, der den Trägen, Aeffer und Lüger verflucht, dafür mit dem Tode büßen müssen. Mit solchen Proceßspielen lassen sich am bequemsten die Räthselfragen ver¬ binden, namentlich diejenige Form derselben, in der ein neckender Witz, mit¬ unter auch ein Wortspiel die Hauptsache ist. Dennoch ist das Räthsel nicht so oft verwendet worden, wie man nach der komischen Wendung, die viele derselben nehmen, voraussetzen sollte. Jedermann kennt Bürgers Gedicht vom Kaiser und Abt, das zunächst einer englischen Ballade von König Johann und dem Abt von Canterbury oder Kantelburg, wie Bodmer sagte, nachgedichtet ist. Der¬ selbe Stoff geht durch alle Völker und Zeiten bis zu den Tibetanern und hinauf in die nordische Mythologie, in der wenigstens Simrock S. 482 den Schäfer Hans Bendix an Odins Stelle treten läßt. Das spil von einem leiser und ein apt (22) ist in der Ausführung eins der vollendetsten. Das Vertrauen, dessen sich der Abt bei dem Kaiser erfreut, hat den Neid der Großen erregt; sie verweisen den bedrängten Kaiser höhnisch an den Abt, der wie er sonst zu gutem trank und feisten praten gerathen habe, so auch jetzt mit seiner Weisheit gegen die Feinde helfen werde. Der weiß freilich nicht zu rathen; da droht ihm der Kaiser, daß er für allen Schaden der Feinde stehen solle, wenn er als ein geistlicher Mann nicht drei Sachen zu rathen im Stande sei:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/416>, abgerufen am 29.06.2024.