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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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zehren will, oder nur ein Viertel Wein (34); aber nicht immer läuft es so
harmlos ab. Ueber einen jungen Mann, den ein Freund zum Freiwerber ge¬
nommen, der aber das Mädchen für sich geworben hatte, werden sechs Strafen
verhängt, von denen als die härteste die erscheint, S. 159:

Bis jetzt waren eS Verhältnisse des wirklichen Lebens, welche zu einer
Entscheidung gebracht werden sollten; es traten aber auch Personificationen an
deren Stelle. In einem niederdeutschen Spiele streiten sich Leben und Tod (121);
jenes bringt allerlei Auskünfte vor, aber der Tod beweist siegreich mit sieben
Stellen aus dem N. T., daß ihm nichts entgehen könne. Im Jahre 1414 hat
ein böses Siechthum, der Tanawäschel, Deutschland verheert (54), alle Stände
erscheinen vor dem Marschall, um ihn zu verklagen, der Tanawäschel schiebt alle
Schuld der Todesfälle auf das unregelmäßige Leben der Verstorbenen, aber die
Richter spreche" ihm das Leben ab, er beichtet und dann wird ihm von dem
Henker der Kopf abgeschlagen; denn solche Hinrichtungen sind wesentlich aus
die komische Wirkung berechnet. Oft tritt die Fastnacht selbst als Klägerin
auf; so beklagt sie in Ur. 72, daß sie von der Fastenzeit beschlichen allen ihren
Gesellen habe Urlaub geben müssen und selbst ein geistlich Leben führen solle;
die Fastenzeit hält Widerrede, aber die neun Richter scheuen sich eine Ent¬
scheidung zu geben und verschieben dieselbe auf die fröhliche Maienzeit. Oder
in Ur. 73 klagt sie, daß noch so viele Sulzen, Krapfen und Hühner übrig
geblieben seien, wofür sie die Fastenzeit entschädigen müsse; hier hält der Papst
selbst die Widerrede, aber der Richter mit seinen fünf Schöppen weiß sich nicht
anders zu helfen, als daß sie die Klage aus die Osterzeit aussetzen, die mit
Eiern und Fladen wiederkehrend das geben werde, was die Fasten genommen
haben. Die Fastnacht wird auch selbst verklagt; die Anwälte des Adels, des
Bürgers, der Handwerker, der Bauern und selbst der Frauen treten als Kläger
nach einander gegen sie auf; aber sie weiß keck jede Einrede zurückzuweisen und
auch der Richter will schließlich das alte und lange Herkommen geehrt wissen.

Nicht minder bieten die kirchlichen Verhältnisse einen willkommenen Stoff.
In dem Spiele von der alten und neuen Ehe von Hans Folz treten Christen¬
thum und Judenthum. Kirche und Synagoge, Doctor und Rabbi. Talmud
und Bibel gegen einander auf, aber die Entscheidung wird auf das nächste
Jahr verschoben. In dem langen Spiel von Kaiser Constantinus (106) ist
dieser der Vertreter des Christenthums, seine Mutter Helena die Verfechterin
des Judenthums. Beide haben ihre Worthalter zur Stelle gebracht, die Kaiserin
einen Rabbi, der Kaiser einen Doctor; diese beginnen eine förmliche Tischpibatzen.


zehren will, oder nur ein Viertel Wein (34); aber nicht immer läuft es so
harmlos ab. Ueber einen jungen Mann, den ein Freund zum Freiwerber ge¬
nommen, der aber das Mädchen für sich geworben hatte, werden sechs Strafen
verhängt, von denen als die härteste die erscheint, S. 159:

Bis jetzt waren eS Verhältnisse des wirklichen Lebens, welche zu einer
Entscheidung gebracht werden sollten; es traten aber auch Personificationen an
deren Stelle. In einem niederdeutschen Spiele streiten sich Leben und Tod (121);
jenes bringt allerlei Auskünfte vor, aber der Tod beweist siegreich mit sieben
Stellen aus dem N. T., daß ihm nichts entgehen könne. Im Jahre 1414 hat
ein böses Siechthum, der Tanawäschel, Deutschland verheert (54), alle Stände
erscheinen vor dem Marschall, um ihn zu verklagen, der Tanawäschel schiebt alle
Schuld der Todesfälle auf das unregelmäßige Leben der Verstorbenen, aber die
Richter spreche» ihm das Leben ab, er beichtet und dann wird ihm von dem
Henker der Kopf abgeschlagen; denn solche Hinrichtungen sind wesentlich aus
die komische Wirkung berechnet. Oft tritt die Fastnacht selbst als Klägerin
auf; so beklagt sie in Ur. 72, daß sie von der Fastenzeit beschlichen allen ihren
Gesellen habe Urlaub geben müssen und selbst ein geistlich Leben führen solle;
die Fastenzeit hält Widerrede, aber die neun Richter scheuen sich eine Ent¬
scheidung zu geben und verschieben dieselbe auf die fröhliche Maienzeit. Oder
in Ur. 73 klagt sie, daß noch so viele Sulzen, Krapfen und Hühner übrig
geblieben seien, wofür sie die Fastenzeit entschädigen müsse; hier hält der Papst
selbst die Widerrede, aber der Richter mit seinen fünf Schöppen weiß sich nicht
anders zu helfen, als daß sie die Klage aus die Osterzeit aussetzen, die mit
Eiern und Fladen wiederkehrend das geben werde, was die Fasten genommen
haben. Die Fastnacht wird auch selbst verklagt; die Anwälte des Adels, des
Bürgers, der Handwerker, der Bauern und selbst der Frauen treten als Kläger
nach einander gegen sie auf; aber sie weiß keck jede Einrede zurückzuweisen und
auch der Richter will schließlich das alte und lange Herkommen geehrt wissen.

Nicht minder bieten die kirchlichen Verhältnisse einen willkommenen Stoff.
In dem Spiele von der alten und neuen Ehe von Hans Folz treten Christen¬
thum und Judenthum. Kirche und Synagoge, Doctor und Rabbi. Talmud
und Bibel gegen einander auf, aber die Entscheidung wird auf das nächste
Jahr verschoben. In dem langen Spiel von Kaiser Constantinus (106) ist
dieser der Vertreter des Christenthums, seine Mutter Helena die Verfechterin
des Judenthums. Beide haben ihre Worthalter zur Stelle gebracht, die Kaiserin
einen Rabbi, der Kaiser einen Doctor; diese beginnen eine förmliche Tischpibatzen.


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[0415] zehren will, oder nur ein Viertel Wein (34); aber nicht immer läuft es so harmlos ab. Ueber einen jungen Mann, den ein Freund zum Freiwerber ge¬ nommen, der aber das Mädchen für sich geworben hatte, werden sechs Strafen verhängt, von denen als die härteste die erscheint, S. 159: Bis jetzt waren eS Verhältnisse des wirklichen Lebens, welche zu einer Entscheidung gebracht werden sollten; es traten aber auch Personificationen an deren Stelle. In einem niederdeutschen Spiele streiten sich Leben und Tod (121); jenes bringt allerlei Auskünfte vor, aber der Tod beweist siegreich mit sieben Stellen aus dem N. T., daß ihm nichts entgehen könne. Im Jahre 1414 hat ein böses Siechthum, der Tanawäschel, Deutschland verheert (54), alle Stände erscheinen vor dem Marschall, um ihn zu verklagen, der Tanawäschel schiebt alle Schuld der Todesfälle auf das unregelmäßige Leben der Verstorbenen, aber die Richter spreche» ihm das Leben ab, er beichtet und dann wird ihm von dem Henker der Kopf abgeschlagen; denn solche Hinrichtungen sind wesentlich aus die komische Wirkung berechnet. Oft tritt die Fastnacht selbst als Klägerin auf; so beklagt sie in Ur. 72, daß sie von der Fastenzeit beschlichen allen ihren Gesellen habe Urlaub geben müssen und selbst ein geistlich Leben führen solle; die Fastenzeit hält Widerrede, aber die neun Richter scheuen sich eine Ent¬ scheidung zu geben und verschieben dieselbe auf die fröhliche Maienzeit. Oder in Ur. 73 klagt sie, daß noch so viele Sulzen, Krapfen und Hühner übrig geblieben seien, wofür sie die Fastenzeit entschädigen müsse; hier hält der Papst selbst die Widerrede, aber der Richter mit seinen fünf Schöppen weiß sich nicht anders zu helfen, als daß sie die Klage aus die Osterzeit aussetzen, die mit Eiern und Fladen wiederkehrend das geben werde, was die Fasten genommen haben. Die Fastnacht wird auch selbst verklagt; die Anwälte des Adels, des Bürgers, der Handwerker, der Bauern und selbst der Frauen treten als Kläger nach einander gegen sie auf; aber sie weiß keck jede Einrede zurückzuweisen und auch der Richter will schließlich das alte und lange Herkommen geehrt wissen. Nicht minder bieten die kirchlichen Verhältnisse einen willkommenen Stoff. In dem Spiele von der alten und neuen Ehe von Hans Folz treten Christen¬ thum und Judenthum. Kirche und Synagoge, Doctor und Rabbi. Talmud und Bibel gegen einander auf, aber die Entscheidung wird auf das nächste Jahr verschoben. In dem langen Spiel von Kaiser Constantinus (106) ist dieser der Vertreter des Christenthums, seine Mutter Helena die Verfechterin des Judenthums. Beide haben ihre Worthalter zur Stelle gebracht, die Kaiserin einen Rabbi, der Kaiser einen Doctor; diese beginnen eine förmliche Tischpibatzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/415>, abgerufen am 29.06.2024.