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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Diese Spiele haben sich aus den Fastnachtabend beschränkt, daher ihr
Name; denn Fastnacht bedeutet den Vorabend der Fastenzeit. Dafür spricht auch
der seltenere Name Fastelabendesspiel. Wenn ein einziges Stück (Ur. 71)
die Ueberschrift Aschermittwochvasnacht, vom Peichten hat. so hindert
der Inhalt gar nicht anzunehmen, daß man den Ernst dieses Feiertages zum
Gegenstande einer lustigen Parodie am Fastnachtavelid gemacht hat, und man darf
darin keine Bestätigung modernsten und naheliegenden Brauches finden, nach wel¬
chem grade Aschermittwoch noch einmal zum Austoben toller Faschingslust dient.
Daß man aber zu keiner andern Zeit des Jahres gespielt hat, erhellt unzweifel¬
haft aus dem häusig wiederkehrenden Versprechen, daß man übers Jahr wieder-
kommen werde*) und aus der überall sich wiederholenden Entschuldigung, daß
die Vasnacht allein den plumpen Scherz gestatte und daß man ihr Recht thun
müsse in närrischen Spiel.

Wer sind aber die Spieler gewesen? Eigentliche Schauspielertruppen hat
es vor den s. g. englischen Komödianten nicht gegeben. Die Spielleute und
die Farenden, die sonst wohl öffentlich und in Privathäusern mit allerlei Gaukel-
werk belustigten, werden nirgends verwendet, und selbst der Schwerttänzer, der
in einem der Spiele die Rolle des Herolds spielt, ist nur in diese Maske ge¬
steckt. Es sind junge Leute aus dem Bürgerstande, gute Knaben S. S8. wohl¬
gewanderte Knaben S. 92, die sich zu dieser Lustbarkeit vereinigten und so die
ersten Liebhabertheater abgaben. Alle Rollen werden von Männern gespielt,
auch die Weiberrollen, wie in den geistlichen Spielen. Daß in einem solchen
die Susanna zu Basel von einem Mädchen gespielt sei, folgert Wackernagel
S. 4S6 zu rasch aus den Worten, daß man dort eine Bühne aus dem Brunnen
gemacht und einen zinnernen Kasten daneben gestellt habe "darin die Susanna
sich weschet". Das erste öffentliche Auftreten von Frauen auf der Bühne ist erst
durch die Bedürfnisse der Oper bedingt, und die ersten Schauspielerinnen scheinen
sich in der Truppe Joh. Vcltheims befunden zu haben, der, eines höllischen
Kramermeisters Sohn, die wissenschaftlichen Studien aufgab und kurfürstlich
sächsischer Kvmödiendirecter wurde um 1K85. Die Spieler erschienen in der
Tracht der darzustellende" Personen, bisweilen auch in der eigentlichen Narren¬
tracht (S. 729), die aber noch nicht das buntscheckige Kleid des Arlekin ist,
sondern die blaue Farbe zeigt. Auch sieben Männer in sieben verschiedene Farben
gekleidet treten auf (103). Der Schellenbesatz an der Kappe und die Kolbe,
bald von Holz bald der Bequemlichkeit wegen von Leder, wird nicht gefehlt
haben. Eigenthümlich aber ist die Narrentracht für eine höchst wichtige Person,
die man von den geistlichen Spielen auch auf die Fastnachtsspiele übertrug,
den xraeem'soi'" Vorläufer, Einschreier und Ausschreier (pro- und exelamator,



') Vgl. S, 169, 198, 213, 218, 240, 647. 730. Die Zahlen der Seiten und die
Nummern der einzelnen Spiele beziehen sich auf die Sammlung von Keller.
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Diese Spiele haben sich aus den Fastnachtabend beschränkt, daher ihr
Name; denn Fastnacht bedeutet den Vorabend der Fastenzeit. Dafür spricht auch
der seltenere Name Fastelabendesspiel. Wenn ein einziges Stück (Ur. 71)
die Ueberschrift Aschermittwochvasnacht, vom Peichten hat. so hindert
der Inhalt gar nicht anzunehmen, daß man den Ernst dieses Feiertages zum
Gegenstande einer lustigen Parodie am Fastnachtavelid gemacht hat, und man darf
darin keine Bestätigung modernsten und naheliegenden Brauches finden, nach wel¬
chem grade Aschermittwoch noch einmal zum Austoben toller Faschingslust dient.
Daß man aber zu keiner andern Zeit des Jahres gespielt hat, erhellt unzweifel¬
haft aus dem häusig wiederkehrenden Versprechen, daß man übers Jahr wieder-
kommen werde*) und aus der überall sich wiederholenden Entschuldigung, daß
die Vasnacht allein den plumpen Scherz gestatte und daß man ihr Recht thun
müsse in närrischen Spiel.

Wer sind aber die Spieler gewesen? Eigentliche Schauspielertruppen hat
es vor den s. g. englischen Komödianten nicht gegeben. Die Spielleute und
die Farenden, die sonst wohl öffentlich und in Privathäusern mit allerlei Gaukel-
werk belustigten, werden nirgends verwendet, und selbst der Schwerttänzer, der
in einem der Spiele die Rolle des Herolds spielt, ist nur in diese Maske ge¬
steckt. Es sind junge Leute aus dem Bürgerstande, gute Knaben S. S8. wohl¬
gewanderte Knaben S. 92, die sich zu dieser Lustbarkeit vereinigten und so die
ersten Liebhabertheater abgaben. Alle Rollen werden von Männern gespielt,
auch die Weiberrollen, wie in den geistlichen Spielen. Daß in einem solchen
die Susanna zu Basel von einem Mädchen gespielt sei, folgert Wackernagel
S. 4S6 zu rasch aus den Worten, daß man dort eine Bühne aus dem Brunnen
gemacht und einen zinnernen Kasten daneben gestellt habe „darin die Susanna
sich weschet". Das erste öffentliche Auftreten von Frauen auf der Bühne ist erst
durch die Bedürfnisse der Oper bedingt, und die ersten Schauspielerinnen scheinen
sich in der Truppe Joh. Vcltheims befunden zu haben, der, eines höllischen
Kramermeisters Sohn, die wissenschaftlichen Studien aufgab und kurfürstlich
sächsischer Kvmödiendirecter wurde um 1K85. Die Spieler erschienen in der
Tracht der darzustellende» Personen, bisweilen auch in der eigentlichen Narren¬
tracht (S. 729), die aber noch nicht das buntscheckige Kleid des Arlekin ist,
sondern die blaue Farbe zeigt. Auch sieben Männer in sieben verschiedene Farben
gekleidet treten auf (103). Der Schellenbesatz an der Kappe und die Kolbe,
bald von Holz bald der Bequemlichkeit wegen von Leder, wird nicht gefehlt
haben. Eigenthümlich aber ist die Narrentracht für eine höchst wichtige Person,
die man von den geistlichen Spielen auch auf die Fastnachtsspiele übertrug,
den xraeem'soi'» Vorläufer, Einschreier und Ausschreier (pro- und exelamator,



') Vgl. S, 169, 198, 213, 218, 240, 647. 730. Die Zahlen der Seiten und die
Nummern der einzelnen Spiele beziehen sich auf die Sammlung von Keller.
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[0411] Diese Spiele haben sich aus den Fastnachtabend beschränkt, daher ihr Name; denn Fastnacht bedeutet den Vorabend der Fastenzeit. Dafür spricht auch der seltenere Name Fastelabendesspiel. Wenn ein einziges Stück (Ur. 71) die Ueberschrift Aschermittwochvasnacht, vom Peichten hat. so hindert der Inhalt gar nicht anzunehmen, daß man den Ernst dieses Feiertages zum Gegenstande einer lustigen Parodie am Fastnachtavelid gemacht hat, und man darf darin keine Bestätigung modernsten und naheliegenden Brauches finden, nach wel¬ chem grade Aschermittwoch noch einmal zum Austoben toller Faschingslust dient. Daß man aber zu keiner andern Zeit des Jahres gespielt hat, erhellt unzweifel¬ haft aus dem häusig wiederkehrenden Versprechen, daß man übers Jahr wieder- kommen werde*) und aus der überall sich wiederholenden Entschuldigung, daß die Vasnacht allein den plumpen Scherz gestatte und daß man ihr Recht thun müsse in närrischen Spiel. Wer sind aber die Spieler gewesen? Eigentliche Schauspielertruppen hat es vor den s. g. englischen Komödianten nicht gegeben. Die Spielleute und die Farenden, die sonst wohl öffentlich und in Privathäusern mit allerlei Gaukel- werk belustigten, werden nirgends verwendet, und selbst der Schwerttänzer, der in einem der Spiele die Rolle des Herolds spielt, ist nur in diese Maske ge¬ steckt. Es sind junge Leute aus dem Bürgerstande, gute Knaben S. S8. wohl¬ gewanderte Knaben S. 92, die sich zu dieser Lustbarkeit vereinigten und so die ersten Liebhabertheater abgaben. Alle Rollen werden von Männern gespielt, auch die Weiberrollen, wie in den geistlichen Spielen. Daß in einem solchen die Susanna zu Basel von einem Mädchen gespielt sei, folgert Wackernagel S. 4S6 zu rasch aus den Worten, daß man dort eine Bühne aus dem Brunnen gemacht und einen zinnernen Kasten daneben gestellt habe „darin die Susanna sich weschet". Das erste öffentliche Auftreten von Frauen auf der Bühne ist erst durch die Bedürfnisse der Oper bedingt, und die ersten Schauspielerinnen scheinen sich in der Truppe Joh. Vcltheims befunden zu haben, der, eines höllischen Kramermeisters Sohn, die wissenschaftlichen Studien aufgab und kurfürstlich sächsischer Kvmödiendirecter wurde um 1K85. Die Spieler erschienen in der Tracht der darzustellende» Personen, bisweilen auch in der eigentlichen Narren¬ tracht (S. 729), die aber noch nicht das buntscheckige Kleid des Arlekin ist, sondern die blaue Farbe zeigt. Auch sieben Männer in sieben verschiedene Farben gekleidet treten auf (103). Der Schellenbesatz an der Kappe und die Kolbe, bald von Holz bald der Bequemlichkeit wegen von Leder, wird nicht gefehlt haben. Eigenthümlich aber ist die Narrentracht für eine höchst wichtige Person, die man von den geistlichen Spielen auch auf die Fastnachtsspiele übertrug, den xraeem'soi'» Vorläufer, Einschreier und Ausschreier (pro- und exelamator, ') Vgl. S, 169, 198, 213, 218, 240, 647. 730. Die Zahlen der Seiten und die Nummern der einzelnen Spiele beziehen sich auf die Sammlung von Keller. 49*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/411>, abgerufen am 29.06.2024.