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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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vasnaht bauend hatte namentlich Wackernagel faseln verglichen, das uns in
den Wortbildungen Faselei, faseln, faselig. Faselhans. Faseljürge ganz geläufig
geworden ist und doch in dieser Bedeutung des zerstreuten, zerfahrenen und
dadurch närrischen und thörichten Wesens wohl kaum über den Anfang des acht¬
zehnten Jahrhunderts hinaufgeht. Sie haben sich mehr noch durch Fasel, das
junge Thier, bestimmen lassen und die allen Völkern gebräuchliche Übertragung des
ausgelassenen, ausschweifenden Benehmens dieser Thiere auf menschliches Gebahren
(Kälbern) zur Vergleichung herangezogen. Für die Fastnacht spricht der
Fastelabend, die Fastelnacht, der Fasteltag und mehr noch als dies die Herleitung
aller unserer dramatischen Poesie aus den Gebräuchen der Kirche. Aus den
lateinischen Spielen zur Weihnachts-, Oster- und Himmelfahrtszeit waren all-
mälig im vierzehnten Jahrhundert deutsche geistliche Spiele hervorgegangen, in
denen man die Gelegenheit komische Scenen einzumischen gern ergriff, weil
man dadurch des Beifalls der Menge sicherer war. Solche Spiele paßten nicht
mehr für die kirchlichen Räume; man spielte sie auf dem Markte oder sonstigen
freien Plätzen ohne große Zurüstung. Aber das Volk wollte auch seine besondere
Lust haben und Angesichts der vierzigtägigen Fastenzeit, welche die Kirche auf¬
erlegte und in Rückblick aus die altgermanische Frühlingsfeier, wählte man den
Vorabend des Aschermittwochs für eine besondere Art von Spielen. Wie man
sich in dieser Zeit manches herausnahm, was man in der Charwoche oder am
Osiertage nicht würde gethan haben, so gestattete man auch den Fastnachtsspielen
eine Ausgelassenheit, ja Rohheit. die nur in der Zeit ihrer Entstehung und
der größeren Lebendigkeit unserer süddeutschen Stammesgenossen ihre Ent¬
schuldigung findet.

Denn dort haben sie ihren Anfang genommen im fünfzehnten Jahrhundert
und bis in das siebzehnte Jahrbundert hinein ihre vorzüglichste Pflege gefunden.
Auf Nürnberg und seine Umgegend weisen die erwähnten Ortschaften; Augs¬
burg und das Lechfeld kommen beiläufig vor. Nach Nürnberg gehören die beiden
Dichter, deren Stücke uns aus dem fünfzehnten Jahrhundert erhalten sind.
Hans Nosenplüt der Schnepperer um 1430 und Hans Folz aus Worms. der
Barbier; dorthin der wackere Meister Hans Sachs, dessen Spiele mit 1817
beginnen und erst 1563 aufhören, und dessen Nachahmer Jacob Ayrer, der
1605 gestorben ist. Einige wenige Spiele sind aus der Schweiz gekommen;
dorthin gehört der baseler Bürger P amphi lus Gen gerd ach. dessen Nollhart
1517 durch etlich geschickt burger einer löblichen stat Basel ausgeführt
ist; von Bern stammt Manuel. Dem Norden sind sie gleichfalls nicht fremd ge¬
blieben; denn wir haben niederdeutsche Spiele, von denen eines sicher in Lübeck
gedruckt ist. Aber von den wenigsten Stücken sind uns Verfasser. Zeit und Ort
bekannt; die rohe Form zeigt, daß sie aus dem Volke hervorgegangen sind, das
sie durch derbe Späße zu ergötzen bestimmt waren. Viele zeigen fränkischen Dialekt.


vasnaht bauend hatte namentlich Wackernagel faseln verglichen, das uns in
den Wortbildungen Faselei, faseln, faselig. Faselhans. Faseljürge ganz geläufig
geworden ist und doch in dieser Bedeutung des zerstreuten, zerfahrenen und
dadurch närrischen und thörichten Wesens wohl kaum über den Anfang des acht¬
zehnten Jahrhunderts hinaufgeht. Sie haben sich mehr noch durch Fasel, das
junge Thier, bestimmen lassen und die allen Völkern gebräuchliche Übertragung des
ausgelassenen, ausschweifenden Benehmens dieser Thiere auf menschliches Gebahren
(Kälbern) zur Vergleichung herangezogen. Für die Fastnacht spricht der
Fastelabend, die Fastelnacht, der Fasteltag und mehr noch als dies die Herleitung
aller unserer dramatischen Poesie aus den Gebräuchen der Kirche. Aus den
lateinischen Spielen zur Weihnachts-, Oster- und Himmelfahrtszeit waren all-
mälig im vierzehnten Jahrhundert deutsche geistliche Spiele hervorgegangen, in
denen man die Gelegenheit komische Scenen einzumischen gern ergriff, weil
man dadurch des Beifalls der Menge sicherer war. Solche Spiele paßten nicht
mehr für die kirchlichen Räume; man spielte sie auf dem Markte oder sonstigen
freien Plätzen ohne große Zurüstung. Aber das Volk wollte auch seine besondere
Lust haben und Angesichts der vierzigtägigen Fastenzeit, welche die Kirche auf¬
erlegte und in Rückblick aus die altgermanische Frühlingsfeier, wählte man den
Vorabend des Aschermittwochs für eine besondere Art von Spielen. Wie man
sich in dieser Zeit manches herausnahm, was man in der Charwoche oder am
Osiertage nicht würde gethan haben, so gestattete man auch den Fastnachtsspielen
eine Ausgelassenheit, ja Rohheit. die nur in der Zeit ihrer Entstehung und
der größeren Lebendigkeit unserer süddeutschen Stammesgenossen ihre Ent¬
schuldigung findet.

Denn dort haben sie ihren Anfang genommen im fünfzehnten Jahrhundert
und bis in das siebzehnte Jahrbundert hinein ihre vorzüglichste Pflege gefunden.
Auf Nürnberg und seine Umgegend weisen die erwähnten Ortschaften; Augs¬
burg und das Lechfeld kommen beiläufig vor. Nach Nürnberg gehören die beiden
Dichter, deren Stücke uns aus dem fünfzehnten Jahrhundert erhalten sind.
Hans Nosenplüt der Schnepperer um 1430 und Hans Folz aus Worms. der
Barbier; dorthin der wackere Meister Hans Sachs, dessen Spiele mit 1817
beginnen und erst 1563 aufhören, und dessen Nachahmer Jacob Ayrer, der
1605 gestorben ist. Einige wenige Spiele sind aus der Schweiz gekommen;
dorthin gehört der baseler Bürger P amphi lus Gen gerd ach. dessen Nollhart
1517 durch etlich geschickt burger einer löblichen stat Basel ausgeführt
ist; von Bern stammt Manuel. Dem Norden sind sie gleichfalls nicht fremd ge¬
blieben; denn wir haben niederdeutsche Spiele, von denen eines sicher in Lübeck
gedruckt ist. Aber von den wenigsten Stücken sind uns Verfasser. Zeit und Ort
bekannt; die rohe Form zeigt, daß sie aus dem Volke hervorgegangen sind, das
sie durch derbe Späße zu ergötzen bestimmt waren. Viele zeigen fränkischen Dialekt.


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[0410] vasnaht bauend hatte namentlich Wackernagel faseln verglichen, das uns in den Wortbildungen Faselei, faseln, faselig. Faselhans. Faseljürge ganz geläufig geworden ist und doch in dieser Bedeutung des zerstreuten, zerfahrenen und dadurch närrischen und thörichten Wesens wohl kaum über den Anfang des acht¬ zehnten Jahrhunderts hinaufgeht. Sie haben sich mehr noch durch Fasel, das junge Thier, bestimmen lassen und die allen Völkern gebräuchliche Übertragung des ausgelassenen, ausschweifenden Benehmens dieser Thiere auf menschliches Gebahren (Kälbern) zur Vergleichung herangezogen. Für die Fastnacht spricht der Fastelabend, die Fastelnacht, der Fasteltag und mehr noch als dies die Herleitung aller unserer dramatischen Poesie aus den Gebräuchen der Kirche. Aus den lateinischen Spielen zur Weihnachts-, Oster- und Himmelfahrtszeit waren all- mälig im vierzehnten Jahrhundert deutsche geistliche Spiele hervorgegangen, in denen man die Gelegenheit komische Scenen einzumischen gern ergriff, weil man dadurch des Beifalls der Menge sicherer war. Solche Spiele paßten nicht mehr für die kirchlichen Räume; man spielte sie auf dem Markte oder sonstigen freien Plätzen ohne große Zurüstung. Aber das Volk wollte auch seine besondere Lust haben und Angesichts der vierzigtägigen Fastenzeit, welche die Kirche auf¬ erlegte und in Rückblick aus die altgermanische Frühlingsfeier, wählte man den Vorabend des Aschermittwochs für eine besondere Art von Spielen. Wie man sich in dieser Zeit manches herausnahm, was man in der Charwoche oder am Osiertage nicht würde gethan haben, so gestattete man auch den Fastnachtsspielen eine Ausgelassenheit, ja Rohheit. die nur in der Zeit ihrer Entstehung und der größeren Lebendigkeit unserer süddeutschen Stammesgenossen ihre Ent¬ schuldigung findet. Denn dort haben sie ihren Anfang genommen im fünfzehnten Jahrhundert und bis in das siebzehnte Jahrbundert hinein ihre vorzüglichste Pflege gefunden. Auf Nürnberg und seine Umgegend weisen die erwähnten Ortschaften; Augs¬ burg und das Lechfeld kommen beiläufig vor. Nach Nürnberg gehören die beiden Dichter, deren Stücke uns aus dem fünfzehnten Jahrhundert erhalten sind. Hans Nosenplüt der Schnepperer um 1430 und Hans Folz aus Worms. der Barbier; dorthin der wackere Meister Hans Sachs, dessen Spiele mit 1817 beginnen und erst 1563 aufhören, und dessen Nachahmer Jacob Ayrer, der 1605 gestorben ist. Einige wenige Spiele sind aus der Schweiz gekommen; dorthin gehört der baseler Bürger P amphi lus Gen gerd ach. dessen Nollhart 1517 durch etlich geschickt burger einer löblichen stat Basel ausgeführt ist; von Bern stammt Manuel. Dem Norden sind sie gleichfalls nicht fremd ge¬ blieben; denn wir haben niederdeutsche Spiele, von denen eines sicher in Lübeck gedruckt ist. Aber von den wenigsten Stücken sind uns Verfasser. Zeit und Ort bekannt; die rohe Form zeigt, daß sie aus dem Volke hervorgegangen sind, das sie durch derbe Späße zu ergötzen bestimmt waren. Viele zeigen fränkischen Dialekt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/410>, abgerufen am 29.06.2024.