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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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indeß noch nicht erfolgt. Dagegen hat sich die kurländische Ritterschaft ferner
bewegen lassen, zum Besten der seither in einem Pächterverhältniß zu den
Grundbesitzern stehenden bäuerlichen Wirthe den "Gesindeverkauf" freizugeben,
wodurch der Bauernschaft allgemein die Möglichkeit geworden ist, eignen Grund¬
besitz zu erwerben, und womit ein Gegenstand gerechter Klage beseitigt wurde,
Welcher den Slavophilen beinahe eine Million Letten in ihr Netz getrieben hätte.

Noch ist in den baltischen Ländern ungemein viel zu bessern und abzu¬
schaffen, namentlich auch auf dem Gebiete der Justiz, der Kirche und der Schule.
Aber es ist jetzt mindestens ein Anfang mit der Umgestaltung des Aliherkömm¬
lichen gemacht, und fährt die baltische Ritterschaft auf diesem Wege der Selbst¬
reform-fort, und beeilen sich auch die Städte, ihre Zunftordnungen und Sekten¬
unterschiede aus der Gesetzgebung zu verbannen, so wird man bald aufhören
können, sich über die boshaften Angriffe der russischen Presse zu beunruhigen;
denn der heißhungrige Wunsch moskauer Knownothings, das baltische Deutsch-
thum in ihr alleinseligmachendes Nussenthum aufgehen zu sehen, welcher sich
hinter dieser Polemik gegen sociale Uebelstände verbirgt, wird dann nicht mehr
den Deckmantel des Liberalismus umnehmen können.




Alte Fastnachtsspiele.
Vortrag am 7. Februar 1866 im leipziger Professorenverein
gehalten von Professor Eckstein.

Sie sind bei der letzten Zusammenkunft einer lebendigen Darstellung hö¬
fischer Sitte und ritterlicher Frauenverehrung mit Interesse gefolgt und haben
an Herrn Ulrich von Lichtenstein, dem steirischen Edelmann, das traurige Leben
gesehen, welches ein unglücklicher Minner durch die Launen einer ihn höhnenden
Frau geführt hat. Gestatten Sie mir, Ihnen eine andere Seite unseres deutschen
Lebens im Mittelalter vorzuführen, dessen Züge sich für bestimmte Lebenskreise
in reicher Fülle aus den Fastnachtsspielen ergeben. Denn Fastnachtspiele und
nicht Fasnacht muß ich sagen, nachdem Zarncke mit überzeugenden Gründen
die Ansicht süddeutscher Gelehrten widerlegt hat*) Auf die sehr häufige Form



') Wackernagel. L. G. S, 314, Schmeller I, 369. Zarncke, Mhd. Wörterb. Il,
S. 301. Möller in HerrigS Archiv XIV, S. 400.
Grenzboten I. 1866. 49

indeß noch nicht erfolgt. Dagegen hat sich die kurländische Ritterschaft ferner
bewegen lassen, zum Besten der seither in einem Pächterverhältniß zu den
Grundbesitzern stehenden bäuerlichen Wirthe den „Gesindeverkauf" freizugeben,
wodurch der Bauernschaft allgemein die Möglichkeit geworden ist, eignen Grund¬
besitz zu erwerben, und womit ein Gegenstand gerechter Klage beseitigt wurde,
Welcher den Slavophilen beinahe eine Million Letten in ihr Netz getrieben hätte.

Noch ist in den baltischen Ländern ungemein viel zu bessern und abzu¬
schaffen, namentlich auch auf dem Gebiete der Justiz, der Kirche und der Schule.
Aber es ist jetzt mindestens ein Anfang mit der Umgestaltung des Aliherkömm¬
lichen gemacht, und fährt die baltische Ritterschaft auf diesem Wege der Selbst¬
reform-fort, und beeilen sich auch die Städte, ihre Zunftordnungen und Sekten¬
unterschiede aus der Gesetzgebung zu verbannen, so wird man bald aufhören
können, sich über die boshaften Angriffe der russischen Presse zu beunruhigen;
denn der heißhungrige Wunsch moskauer Knownothings, das baltische Deutsch-
thum in ihr alleinseligmachendes Nussenthum aufgehen zu sehen, welcher sich
hinter dieser Polemik gegen sociale Uebelstände verbirgt, wird dann nicht mehr
den Deckmantel des Liberalismus umnehmen können.




Alte Fastnachtsspiele.
Vortrag am 7. Februar 1866 im leipziger Professorenverein
gehalten von Professor Eckstein.

Sie sind bei der letzten Zusammenkunft einer lebendigen Darstellung hö¬
fischer Sitte und ritterlicher Frauenverehrung mit Interesse gefolgt und haben
an Herrn Ulrich von Lichtenstein, dem steirischen Edelmann, das traurige Leben
gesehen, welches ein unglücklicher Minner durch die Launen einer ihn höhnenden
Frau geführt hat. Gestatten Sie mir, Ihnen eine andere Seite unseres deutschen
Lebens im Mittelalter vorzuführen, dessen Züge sich für bestimmte Lebenskreise
in reicher Fülle aus den Fastnachtsspielen ergeben. Denn Fastnachtspiele und
nicht Fasnacht muß ich sagen, nachdem Zarncke mit überzeugenden Gründen
die Ansicht süddeutscher Gelehrten widerlegt hat*) Auf die sehr häufige Form



') Wackernagel. L. G. S, 314, Schmeller I, 369. Zarncke, Mhd. Wörterb. Il,
S. 301. Möller in HerrigS Archiv XIV, S. 400.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/409>, abgerufen am 29.06.2024.