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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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überhandnehmen") !sieht. Im Allgemeinen aber muß man dem Verfasser bei¬
pflichten, wenn er diese Bedenken nicht theilen kann. "Nicht die geringe Ziffer
der in Oestreich wohnenden Deutschen ist es," so antwortet er den Bedenklichen,
"wodurch dieselben bisher gegenüber den andern Nationalitäten gefährdet er¬
schienen, so wenig als die vierzig Millionen deutsche Bundesgenossen jenseits
der östreichischen Grenzen auch nur den kleinen Finger gerührt haben, um unsre
selbständige nationale Entwicklung in Dcutschöstreich zu fördern. Die Unter¬
stützung von Seiten unsrer deutschen Brüder hat sich bisher wesentlich auf einige
schöne und billige Redensarten beschränkt. Wenn wir Deutschen in Oestreich
uns trotzdem von deutscher Bildung genährt und in deutschem Sinn entwickelt
haben, so ist dies nur dem unabweislichen Einflüsse des deutschen Geistes und
seinen wissenschaftlichen und literarischen Leistungen zu verdanken, und je freieren,
innigeren und thätigeren Antheil die Oestreicher künstig selbst an diesen Leistungen
nehmen, je lebendiger sich das Bewußtsein der geistigen Verwandtschaft und der
gemeinsame Wetteifer für die Hebung und Verbreitung deutscher Cultur ent¬
wickeln wird, desto inniger wird sich auch ohne jedes äußerliche Band das Ver¬
hältniß der Deutschen diesseits und jenseits der östreichischen Grenze gestalten,
und desto entschiedener wird sich zugleich das geistige und moralische Gewicht des
deutschen Einflusses auf die benachbarten und verbündeten Nationalitäten in
Oestreich geltend machen. Und dieser Einfluß wird von Seiten der andern
Nationalitäten um so williger als ein vollkommen berechtigter anerkannt werden,
je freier er aus der tiefen Quelle deutschen Wesens und Geistes entspringen
und je weniger die Regierung sich dieses Einflusses als eines politischen Be-
kehrungsmtttcls, als einer bureaukratischen Handhabe bedienen wird, um zu
Gunsten der centralifirenden Staatsgewalt die verschiedenen Nationalitäten zu
gcrmanisiren. Daß das Deutschthum in Oestreich sich unter dem Schutz einer
freien Verfassung vollständig zu erhalten und zu entwickeln vermag, davon
geben die Deutschen grade in jenen Gebieten Zeugniß, welche bisher außer
dem deutschen Bunde waren und daher der angeblichen Unterstützung ihrer
deutschen Brüder nicht theilhaft werden konnten." "Um wie viel weniger haben
die Deutschen in den Erbländer für ihre selbständige nationale Entwicklung
zu besorgen, wo sie in unmittelbarem Verkehr mit dem Venachbarten Deutschland
und selbst in einer compacten Majorität beisammen wohnend, das natürliche
Mittelglied zwischen Deutschland und den östlichen Ländern Europas bilden?
Um wie viel weniger dürfen sich aber auch die Deutschöstreicher das Armuths¬
zeugniß ausstellen, daß sie, im Besitz der materiell und geistig cultivirteste"
Provinzen, gestützt auf eine ansehnliche Landwirthschaft, eine überlegne Industrie,



Nur infolge einer thörichte" Sitte der sächsischen Bauern, welche die Vermehrung
der dortigen deutschen Bevölkerung aufhält.

überhandnehmen") !sieht. Im Allgemeinen aber muß man dem Verfasser bei¬
pflichten, wenn er diese Bedenken nicht theilen kann. „Nicht die geringe Ziffer
der in Oestreich wohnenden Deutschen ist es," so antwortet er den Bedenklichen,
„wodurch dieselben bisher gegenüber den andern Nationalitäten gefährdet er¬
schienen, so wenig als die vierzig Millionen deutsche Bundesgenossen jenseits
der östreichischen Grenzen auch nur den kleinen Finger gerührt haben, um unsre
selbständige nationale Entwicklung in Dcutschöstreich zu fördern. Die Unter¬
stützung von Seiten unsrer deutschen Brüder hat sich bisher wesentlich auf einige
schöne und billige Redensarten beschränkt. Wenn wir Deutschen in Oestreich
uns trotzdem von deutscher Bildung genährt und in deutschem Sinn entwickelt
haben, so ist dies nur dem unabweislichen Einflüsse des deutschen Geistes und
seinen wissenschaftlichen und literarischen Leistungen zu verdanken, und je freieren,
innigeren und thätigeren Antheil die Oestreicher künstig selbst an diesen Leistungen
nehmen, je lebendiger sich das Bewußtsein der geistigen Verwandtschaft und der
gemeinsame Wetteifer für die Hebung und Verbreitung deutscher Cultur ent¬
wickeln wird, desto inniger wird sich auch ohne jedes äußerliche Band das Ver¬
hältniß der Deutschen diesseits und jenseits der östreichischen Grenze gestalten,
und desto entschiedener wird sich zugleich das geistige und moralische Gewicht des
deutschen Einflusses auf die benachbarten und verbündeten Nationalitäten in
Oestreich geltend machen. Und dieser Einfluß wird von Seiten der andern
Nationalitäten um so williger als ein vollkommen berechtigter anerkannt werden,
je freier er aus der tiefen Quelle deutschen Wesens und Geistes entspringen
und je weniger die Regierung sich dieses Einflusses als eines politischen Be-
kehrungsmtttcls, als einer bureaukratischen Handhabe bedienen wird, um zu
Gunsten der centralifirenden Staatsgewalt die verschiedenen Nationalitäten zu
gcrmanisiren. Daß das Deutschthum in Oestreich sich unter dem Schutz einer
freien Verfassung vollständig zu erhalten und zu entwickeln vermag, davon
geben die Deutschen grade in jenen Gebieten Zeugniß, welche bisher außer
dem deutschen Bunde waren und daher der angeblichen Unterstützung ihrer
deutschen Brüder nicht theilhaft werden konnten." „Um wie viel weniger haben
die Deutschen in den Erbländer für ihre selbständige nationale Entwicklung
zu besorgen, wo sie in unmittelbarem Verkehr mit dem Venachbarten Deutschland
und selbst in einer compacten Majorität beisammen wohnend, das natürliche
Mittelglied zwischen Deutschland und den östlichen Ländern Europas bilden?
Um wie viel weniger dürfen sich aber auch die Deutschöstreicher das Armuths¬
zeugniß ausstellen, daß sie, im Besitz der materiell und geistig cultivirteste»
Provinzen, gestützt auf eine ansehnliche Landwirthschaft, eine überlegne Industrie,



Nur infolge einer thörichte» Sitte der sächsischen Bauern, welche die Vermehrung
der dortigen deutschen Bevölkerung aufhält.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/356>, abgerufen am 29.06.2024.