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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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bedeutende Capitalkräfte und eine Reihe von deutschen Bildungsanstalten, ton¬
angebend in der Hauptstadt des Reichs, unmittelbar geschützt und geleitet von
einem rein deutschen Fürstenhause, ohne die "Stütze" der Deutschen "draußen
im Reich" verlassen und verloren wären."

Allerdings haben die Deutschen in Oestreich bisher eben nicht viel natio¬
nales Selbstgefühl und sehr wenig selbständige Kraft entwickelt. Fast überall
überließen sie die Wahrung ihrer Interessen der Regierung. Nur in Böhmen
traten sie der rührigen Agitation der Czechen als besondre Partei gegenüber,
aber auch hier ohne die rechte Entschlossenheit, die ihnen ihre geistige und
materielle Ueberlegenheit hätte geben sollen, und immer nach Wien um Unter¬
stützung blickend, die gar nicht nothwendig war. "Wer das Fanfaronadcnthum
der Ultraczechen kennt, wer das künstliche Gebäude dieser Wiedergeburt des
alten Hussitenthums näher betrachtet, der kann nur darüber lächeln, mit welcher
kleinlichen Angst und welcher fieberhaften Erregung sich die guten Deutschen >n
Böhmen dieser Agitation gegenüber verhalten. Ein einziger thätiger und energischer
Mann, redlich unterstützt von seineu deutschen Stammgenossen, müßte im Stande
sein, dem Deutschthum in Böhmen jene Achtung und jenes Ansehen zu ver¬
schaffen, auf welche es seiner, ganzen Stellung und Leistung nach den voll-
giltigster Anspruch hat."

"Die Deutschen in Oestreich," so sagt unsere Denkschrift gegen den Schluß
der Betrachtung dieses Punktes hin, "müssen vor allem zu der Erkenntniß ge¬
langen, daß ihre Nationalität und ihre politische Stellung nicht von Außen
her geschützt und auch nicht durch ein äußerliches Band gekräftigt werden kann.
Sie müssen grade den andern Nationalitäten gegenüber, welche fortwährend die
besonderen nationalen Forderungen voranstellen, auch ihre nationale Gemein¬
samkeit bekennen und zu einer selbständigen Kundgebung derselben sich vereinigen.
Die Deutschen in Oestreich müssen sich vor allem der hohen Mission bewußt
Zeigen, die ihnen der Geist der Geschichte in dem vielgliedrigen Kaiserstaat an¬
gewiesen; sie müssen das alte deutsche Gemeinwesen als die Grundlage com-
Munaler und prvvinzialer Freiheit und Selbstverwaltung wieder herzustellen
und zu entwickeln suchen; sie müssen die nationale Autonomie und Föderation
innerhalb der Gemeinde, des Kreises und des Landes zur Wahrheit und die
Ungehemmte Entfaltung der Geistes- und Gewissensfreiheit zum Programm
ihrer politischen Thätigkeit machen; dann können sie gewiß sein, daß sich die
andern Nationalitäten willig mit ihnen verbinden und ihrer Führung vertrauen
werden. Diesen Einfluß auf die Geschicke Oestreichs kann uns keine deutsche
Bundesversammlung und auch kein deutsches Parlament, sondern nur unsre
^gue Kraft verschaffen. Und wir werden uns um so eher darum bemühen,
wenn wir einmal mit uns selbst über die Zukunft unsres nationalen Lebens
Und unsrer politischen Stellung in Oestreich ins Reine gekommen sind, wenn


bedeutende Capitalkräfte und eine Reihe von deutschen Bildungsanstalten, ton¬
angebend in der Hauptstadt des Reichs, unmittelbar geschützt und geleitet von
einem rein deutschen Fürstenhause, ohne die „Stütze" der Deutschen „draußen
im Reich" verlassen und verloren wären."

Allerdings haben die Deutschen in Oestreich bisher eben nicht viel natio¬
nales Selbstgefühl und sehr wenig selbständige Kraft entwickelt. Fast überall
überließen sie die Wahrung ihrer Interessen der Regierung. Nur in Böhmen
traten sie der rührigen Agitation der Czechen als besondre Partei gegenüber,
aber auch hier ohne die rechte Entschlossenheit, die ihnen ihre geistige und
materielle Ueberlegenheit hätte geben sollen, und immer nach Wien um Unter¬
stützung blickend, die gar nicht nothwendig war. „Wer das Fanfaronadcnthum
der Ultraczechen kennt, wer das künstliche Gebäude dieser Wiedergeburt des
alten Hussitenthums näher betrachtet, der kann nur darüber lächeln, mit welcher
kleinlichen Angst und welcher fieberhaften Erregung sich die guten Deutschen >n
Böhmen dieser Agitation gegenüber verhalten. Ein einziger thätiger und energischer
Mann, redlich unterstützt von seineu deutschen Stammgenossen, müßte im Stande
sein, dem Deutschthum in Böhmen jene Achtung und jenes Ansehen zu ver¬
schaffen, auf welche es seiner, ganzen Stellung und Leistung nach den voll-
giltigster Anspruch hat."

„Die Deutschen in Oestreich," so sagt unsere Denkschrift gegen den Schluß
der Betrachtung dieses Punktes hin, „müssen vor allem zu der Erkenntniß ge¬
langen, daß ihre Nationalität und ihre politische Stellung nicht von Außen
her geschützt und auch nicht durch ein äußerliches Band gekräftigt werden kann.
Sie müssen grade den andern Nationalitäten gegenüber, welche fortwährend die
besonderen nationalen Forderungen voranstellen, auch ihre nationale Gemein¬
samkeit bekennen und zu einer selbständigen Kundgebung derselben sich vereinigen.
Die Deutschen in Oestreich müssen sich vor allem der hohen Mission bewußt
Zeigen, die ihnen der Geist der Geschichte in dem vielgliedrigen Kaiserstaat an¬
gewiesen; sie müssen das alte deutsche Gemeinwesen als die Grundlage com-
Munaler und prvvinzialer Freiheit und Selbstverwaltung wieder herzustellen
und zu entwickeln suchen; sie müssen die nationale Autonomie und Föderation
innerhalb der Gemeinde, des Kreises und des Landes zur Wahrheit und die
Ungehemmte Entfaltung der Geistes- und Gewissensfreiheit zum Programm
ihrer politischen Thätigkeit machen; dann können sie gewiß sein, daß sich die
andern Nationalitäten willig mit ihnen verbinden und ihrer Führung vertrauen
werden. Diesen Einfluß auf die Geschicke Oestreichs kann uns keine deutsche
Bundesversammlung und auch kein deutsches Parlament, sondern nur unsre
^gue Kraft verschaffen. Und wir werden uns um so eher darum bemühen,
wenn wir einmal mit uns selbst über die Zukunft unsres nationalen Lebens
Und unsrer politischen Stellung in Oestreich ins Reine gekommen sind, wenn


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[0357] bedeutende Capitalkräfte und eine Reihe von deutschen Bildungsanstalten, ton¬ angebend in der Hauptstadt des Reichs, unmittelbar geschützt und geleitet von einem rein deutschen Fürstenhause, ohne die „Stütze" der Deutschen „draußen im Reich" verlassen und verloren wären." Allerdings haben die Deutschen in Oestreich bisher eben nicht viel natio¬ nales Selbstgefühl und sehr wenig selbständige Kraft entwickelt. Fast überall überließen sie die Wahrung ihrer Interessen der Regierung. Nur in Böhmen traten sie der rührigen Agitation der Czechen als besondre Partei gegenüber, aber auch hier ohne die rechte Entschlossenheit, die ihnen ihre geistige und materielle Ueberlegenheit hätte geben sollen, und immer nach Wien um Unter¬ stützung blickend, die gar nicht nothwendig war. „Wer das Fanfaronadcnthum der Ultraczechen kennt, wer das künstliche Gebäude dieser Wiedergeburt des alten Hussitenthums näher betrachtet, der kann nur darüber lächeln, mit welcher kleinlichen Angst und welcher fieberhaften Erregung sich die guten Deutschen >n Böhmen dieser Agitation gegenüber verhalten. Ein einziger thätiger und energischer Mann, redlich unterstützt von seineu deutschen Stammgenossen, müßte im Stande sein, dem Deutschthum in Böhmen jene Achtung und jenes Ansehen zu ver¬ schaffen, auf welche es seiner, ganzen Stellung und Leistung nach den voll- giltigster Anspruch hat." „Die Deutschen in Oestreich," so sagt unsere Denkschrift gegen den Schluß der Betrachtung dieses Punktes hin, „müssen vor allem zu der Erkenntniß ge¬ langen, daß ihre Nationalität und ihre politische Stellung nicht von Außen her geschützt und auch nicht durch ein äußerliches Band gekräftigt werden kann. Sie müssen grade den andern Nationalitäten gegenüber, welche fortwährend die besonderen nationalen Forderungen voranstellen, auch ihre nationale Gemein¬ samkeit bekennen und zu einer selbständigen Kundgebung derselben sich vereinigen. Die Deutschen in Oestreich müssen sich vor allem der hohen Mission bewußt Zeigen, die ihnen der Geist der Geschichte in dem vielgliedrigen Kaiserstaat an¬ gewiesen; sie müssen das alte deutsche Gemeinwesen als die Grundlage com- Munaler und prvvinzialer Freiheit und Selbstverwaltung wieder herzustellen und zu entwickeln suchen; sie müssen die nationale Autonomie und Föderation innerhalb der Gemeinde, des Kreises und des Landes zur Wahrheit und die Ungehemmte Entfaltung der Geistes- und Gewissensfreiheit zum Programm ihrer politischen Thätigkeit machen; dann können sie gewiß sein, daß sich die andern Nationalitäten willig mit ihnen verbinden und ihrer Führung vertrauen werden. Diesen Einfluß auf die Geschicke Oestreichs kann uns keine deutsche Bundesversammlung und auch kein deutsches Parlament, sondern nur unsre ^gue Kraft verschaffen. Und wir werden uns um so eher darum bemühen, wenn wir einmal mit uns selbst über die Zukunft unsres nationalen Lebens Und unsrer politischen Stellung in Oestreich ins Reine gekommen sind, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/357>, abgerufen am 26.06.2024.