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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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unsrer Schrift, "ist nur auf die innern Verwickelungen, zunächst auf unser Ver¬
hältniß zu den nichtdeutschen Ländern Oestreichs gerichtet. Die deutsche Frage
hingegen liegt unserm politischen Denken und dem Volksbewußtsein nicht näher,
ja beinahe ferner als die italienische, die polnische, die orientalische Frage, und
eigentlich macht sie bei uns nur den Staatsmännern Sorge, welche die Stroh¬
halme der alten Verträge als die einzigen Grundpfeiler der östreichischen Politik
zu betrachten gewohnt sind."

Suchen Staatsmänner diesen Schlags die Meinung zu verbreiten, Oestreichs
bisheriges Verhältniß zu Deutschland müsse möglichst unversehrt aufrecht erhalten
werden, denn daraus gründe sich Oestreichs Einfluß auf Deutschland und der
Einfluß der östreichischen Deutschen auf die andern Nationalitäten des Kaiser¬
staats, so erklärt der Verfasser unsrer Denkschrift jenen Einfluß Oestreichs auf
die Geschicke Deutschlands einfach für.Phrase und Märchen, und wir können ihm,
wie sehr auch die Behinderung Preußens durch Oestreich bei naturgemäßer
Ordnung der Schleswig-holsteinischen Sache jetzt gegen ihn zu sprechen scheint,
nur Recht geben. Oestreich hat Deutschland vielfach gehemmt, aber ohne daß
es ihm selbst zum Nutzen gereicht hätte. Es hat negiren. aber für sich nichts
gewinnen können. Als die Probe gemacht wurde, was es in Frankfurt ver¬
möge, im Frühjahr 1839. zeigte sich deutlich, daß sein Einfluß so gut wie
Null war. Und als die zweite Probe gemacht wurde, beim Fürstentag von
1863. erlebte man eine zweite große Enttäuschung. Sodann aber: die östreichische
Politik hat uns Deutschen in gewissen Bundes- und Congreßbeschlüsscn ver¬
fassungsmäßige Freiheiten verkümmert und gegen die unitarische Partei Schranken
gezogen; sehr wohl, aber es führte dabei nur den Vorsitz. Die Führerschaft
hatte bis zum Anfang der fünfziger Jahre Nußland und später Frankreich.
Rußland und Frankreich waren es, vor deren erklärlichen Uebelwollen eine
gründliche Aenderung der Bundesverfassung unmöglich war, und vor Frankreich,
nicht vor Oestreich scheute man sich in Berlin, wenn jetzt man in Schleswig-
Holstein nicht rascher die erwünschte Ordnung stiftete.

Beachtenswerther scheint der Einwand gegen den Austritt Oestreichs aus
dem bisherigen Verbände mit Deutschland, daß dann für die Deutschen in
Oestreich die nationale Stütze, der stammverwandte Rückhalt in Deutschland
verloren ginge. Die acht Millionen Deutschöstreicher, meint man. würden ohne
jene "Unterstützung" der deutschen Bundesgenossen gegenüber den andern Natio¬
nalitäten in Oestreich kaum ihre selbständige deutsche Entwicklung behaupten
können, sie würden vielmehr in Gefahr kommen, magyarisirt und slavisirt zu
Werden. Diese Bedenken klingen im ersten Moment sehr plausibel, zumal man
schon jetzt an einigen Punkten, z. B. in Krain (wo die Slowenen in Laibach
Und Umgegend rasche Fortschritte machen) das Slaventhum dem Deutschthum
Boden abgewinnen und an andern, z. B. in Siebenbürgen, die Rumänen stark


unsrer Schrift, „ist nur auf die innern Verwickelungen, zunächst auf unser Ver¬
hältniß zu den nichtdeutschen Ländern Oestreichs gerichtet. Die deutsche Frage
hingegen liegt unserm politischen Denken und dem Volksbewußtsein nicht näher,
ja beinahe ferner als die italienische, die polnische, die orientalische Frage, und
eigentlich macht sie bei uns nur den Staatsmännern Sorge, welche die Stroh¬
halme der alten Verträge als die einzigen Grundpfeiler der östreichischen Politik
zu betrachten gewohnt sind."

Suchen Staatsmänner diesen Schlags die Meinung zu verbreiten, Oestreichs
bisheriges Verhältniß zu Deutschland müsse möglichst unversehrt aufrecht erhalten
werden, denn daraus gründe sich Oestreichs Einfluß auf Deutschland und der
Einfluß der östreichischen Deutschen auf die andern Nationalitäten des Kaiser¬
staats, so erklärt der Verfasser unsrer Denkschrift jenen Einfluß Oestreichs auf
die Geschicke Deutschlands einfach für.Phrase und Märchen, und wir können ihm,
wie sehr auch die Behinderung Preußens durch Oestreich bei naturgemäßer
Ordnung der Schleswig-holsteinischen Sache jetzt gegen ihn zu sprechen scheint,
nur Recht geben. Oestreich hat Deutschland vielfach gehemmt, aber ohne daß
es ihm selbst zum Nutzen gereicht hätte. Es hat negiren. aber für sich nichts
gewinnen können. Als die Probe gemacht wurde, was es in Frankfurt ver¬
möge, im Frühjahr 1839. zeigte sich deutlich, daß sein Einfluß so gut wie
Null war. Und als die zweite Probe gemacht wurde, beim Fürstentag von
1863. erlebte man eine zweite große Enttäuschung. Sodann aber: die östreichische
Politik hat uns Deutschen in gewissen Bundes- und Congreßbeschlüsscn ver¬
fassungsmäßige Freiheiten verkümmert und gegen die unitarische Partei Schranken
gezogen; sehr wohl, aber es führte dabei nur den Vorsitz. Die Führerschaft
hatte bis zum Anfang der fünfziger Jahre Nußland und später Frankreich.
Rußland und Frankreich waren es, vor deren erklärlichen Uebelwollen eine
gründliche Aenderung der Bundesverfassung unmöglich war, und vor Frankreich,
nicht vor Oestreich scheute man sich in Berlin, wenn jetzt man in Schleswig-
Holstein nicht rascher die erwünschte Ordnung stiftete.

Beachtenswerther scheint der Einwand gegen den Austritt Oestreichs aus
dem bisherigen Verbände mit Deutschland, daß dann für die Deutschen in
Oestreich die nationale Stütze, der stammverwandte Rückhalt in Deutschland
verloren ginge. Die acht Millionen Deutschöstreicher, meint man. würden ohne
jene „Unterstützung" der deutschen Bundesgenossen gegenüber den andern Natio¬
nalitäten in Oestreich kaum ihre selbständige deutsche Entwicklung behaupten
können, sie würden vielmehr in Gefahr kommen, magyarisirt und slavisirt zu
Werden. Diese Bedenken klingen im ersten Moment sehr plausibel, zumal man
schon jetzt an einigen Punkten, z. B. in Krain (wo die Slowenen in Laibach
Und Umgegend rasche Fortschritte machen) das Slaventhum dem Deutschthum
Boden abgewinnen und an andern, z. B. in Siebenbürgen, die Rumänen stark


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[0355] unsrer Schrift, „ist nur auf die innern Verwickelungen, zunächst auf unser Ver¬ hältniß zu den nichtdeutschen Ländern Oestreichs gerichtet. Die deutsche Frage hingegen liegt unserm politischen Denken und dem Volksbewußtsein nicht näher, ja beinahe ferner als die italienische, die polnische, die orientalische Frage, und eigentlich macht sie bei uns nur den Staatsmännern Sorge, welche die Stroh¬ halme der alten Verträge als die einzigen Grundpfeiler der östreichischen Politik zu betrachten gewohnt sind." Suchen Staatsmänner diesen Schlags die Meinung zu verbreiten, Oestreichs bisheriges Verhältniß zu Deutschland müsse möglichst unversehrt aufrecht erhalten werden, denn daraus gründe sich Oestreichs Einfluß auf Deutschland und der Einfluß der östreichischen Deutschen auf die andern Nationalitäten des Kaiser¬ staats, so erklärt der Verfasser unsrer Denkschrift jenen Einfluß Oestreichs auf die Geschicke Deutschlands einfach für.Phrase und Märchen, und wir können ihm, wie sehr auch die Behinderung Preußens durch Oestreich bei naturgemäßer Ordnung der Schleswig-holsteinischen Sache jetzt gegen ihn zu sprechen scheint, nur Recht geben. Oestreich hat Deutschland vielfach gehemmt, aber ohne daß es ihm selbst zum Nutzen gereicht hätte. Es hat negiren. aber für sich nichts gewinnen können. Als die Probe gemacht wurde, was es in Frankfurt ver¬ möge, im Frühjahr 1839. zeigte sich deutlich, daß sein Einfluß so gut wie Null war. Und als die zweite Probe gemacht wurde, beim Fürstentag von 1863. erlebte man eine zweite große Enttäuschung. Sodann aber: die östreichische Politik hat uns Deutschen in gewissen Bundes- und Congreßbeschlüsscn ver¬ fassungsmäßige Freiheiten verkümmert und gegen die unitarische Partei Schranken gezogen; sehr wohl, aber es führte dabei nur den Vorsitz. Die Führerschaft hatte bis zum Anfang der fünfziger Jahre Nußland und später Frankreich. Rußland und Frankreich waren es, vor deren erklärlichen Uebelwollen eine gründliche Aenderung der Bundesverfassung unmöglich war, und vor Frankreich, nicht vor Oestreich scheute man sich in Berlin, wenn jetzt man in Schleswig- Holstein nicht rascher die erwünschte Ordnung stiftete. Beachtenswerther scheint der Einwand gegen den Austritt Oestreichs aus dem bisherigen Verbände mit Deutschland, daß dann für die Deutschen in Oestreich die nationale Stütze, der stammverwandte Rückhalt in Deutschland verloren ginge. Die acht Millionen Deutschöstreicher, meint man. würden ohne jene „Unterstützung" der deutschen Bundesgenossen gegenüber den andern Natio¬ nalitäten in Oestreich kaum ihre selbständige deutsche Entwicklung behaupten können, sie würden vielmehr in Gefahr kommen, magyarisirt und slavisirt zu Werden. Diese Bedenken klingen im ersten Moment sehr plausibel, zumal man schon jetzt an einigen Punkten, z. B. in Krain (wo die Slowenen in Laibach Und Umgegend rasche Fortschritte machen) das Slaventhum dem Deutschthum Boden abgewinnen und an andern, z. B. in Siebenbürgen, die Rumänen stark

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/355>, abgerufen am 01.07.2024.