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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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nehmen wir zumeist der deutschen Literatur. Ganz dasselbe ist aber auch
mit andern Nationalitäten Oestreichs der Fall, ja die deutschen Buchhändler
würden, hierüber befragt, bezeugen müssen, daß der größere Absatz des deutschen
Büchermarktes bis vor Kurzem nicht in den deutschen, sondern in den nicht¬
deutschen Ländern Oestreichs zu finden war. Können wir also bezüglich der
höheren geistigen Bildung auf unsre deutschen Sympathien nicht sehr pochen,
so ist dies noch weniger bezüglich der gewöhnlichen Schulbildung der Fall.
Diese war bisher durchaus nicht im Geiste deutscher Bildung, sie war ent¬
schieden undeutsch, sie war römisch-katholisch, und sie ist dies in den Volks¬
schulen noch heute und wird es so lange bleiben, als nicht der Volksunterricht
aus den Händen der Geistlichkeit genommen wird. Unsre deutschen Kinder ge¬
nießen diesen klerikal zugemessenen Unterricht gemeinsam mit den Kindern
anderer Nationalität, und unsre deutschen Sympathien haben es noch nicht da¬
hin gebracht, daß der Bauer und Handwerker in den rein deutschen Provinzen
auch nur eine entfernte Ahnung von den Segnungen deutscher Bildung hätte."
Und nun die politischen Sympathien. "Was will der Deutschöstreicher? Ein
einiges Deutschland mit Centralgewalt und Parlament? Will er sich in Frank¬
furt vertreten wissen? -- Gewiß, es giebt auch solche sympathetische Politiker
bei uns, welche gleichzeitig in Frankfurt und in Wien ihre konstitutionellen
Wünsche befriedigen zu können meinen. Der Kern des Volkes aber, der Bauer
und Bürger, fragt ganz nüchtern und praktisch: was hab' ich davon? Will man
sich ein unzweideutiges Zeugniß über die wirklichen politischen Sympathien des
Deutschöstreichers verschaffen, so mache man einmal ein ehrliches Experiment
nach der neunapoleonischen Methode. Man lasse einmal in den deutsch-östrei¬
chischen Ländern abstimmen: ob zu Deutschland oder zu Oestreich? Vorausgesetzt,
daß keine andere Wahl zu einer gemüthlichen Zwitterstellung übrigbliebe, so
kann man mit positivster Gewißheit vorhersagen, daß nicht die Majorität, nein,
das ganze Land mit Ausnahme einiger politischen Schöngeister und Literaten
sich unbedingt für das Verbleiben, bei Oestreich aussprechen wird. Und zwar
nicht aus überwiegender Sympathie für die heutigen Verfassungszustande in
Oestreich, sondern aus dem praktisch gewordenen materiellen Bedürfniß und aus
der lebendig gewordenen geistigen Gewohnheit des innigen Verbandes mit den
übrigen Ländern der Gesammtmonarchre." Niemals hat man aus Deutschöstreich
in den letzten Jahren, wo die nationale Bewegung in Deutschland so hoch ging,
ein ernst gemeintes Wort brüderlicher Zustimmung zu den Bestrebungen nach
deutscher Einigung vernommen. Die wehmüthigen Tiraden der großdeutschen
Rhetoren und Demagogen in Schwaben und Bayern, Hannover und Sachsen,
man wolle das kerndeutsche östreichische Volk aus Deutschland hinausdrängen,
waren vor allem deshalb komisch, weil diese Kerndeutschen sich gar nicht in
Deutschland wußten. "All unser Sinnen und Trachten," sagt der Verfasser


nehmen wir zumeist der deutschen Literatur. Ganz dasselbe ist aber auch
mit andern Nationalitäten Oestreichs der Fall, ja die deutschen Buchhändler
würden, hierüber befragt, bezeugen müssen, daß der größere Absatz des deutschen
Büchermarktes bis vor Kurzem nicht in den deutschen, sondern in den nicht¬
deutschen Ländern Oestreichs zu finden war. Können wir also bezüglich der
höheren geistigen Bildung auf unsre deutschen Sympathien nicht sehr pochen,
so ist dies noch weniger bezüglich der gewöhnlichen Schulbildung der Fall.
Diese war bisher durchaus nicht im Geiste deutscher Bildung, sie war ent¬
schieden undeutsch, sie war römisch-katholisch, und sie ist dies in den Volks¬
schulen noch heute und wird es so lange bleiben, als nicht der Volksunterricht
aus den Händen der Geistlichkeit genommen wird. Unsre deutschen Kinder ge¬
nießen diesen klerikal zugemessenen Unterricht gemeinsam mit den Kindern
anderer Nationalität, und unsre deutschen Sympathien haben es noch nicht da¬
hin gebracht, daß der Bauer und Handwerker in den rein deutschen Provinzen
auch nur eine entfernte Ahnung von den Segnungen deutscher Bildung hätte."
Und nun die politischen Sympathien. „Was will der Deutschöstreicher? Ein
einiges Deutschland mit Centralgewalt und Parlament? Will er sich in Frank¬
furt vertreten wissen? — Gewiß, es giebt auch solche sympathetische Politiker
bei uns, welche gleichzeitig in Frankfurt und in Wien ihre konstitutionellen
Wünsche befriedigen zu können meinen. Der Kern des Volkes aber, der Bauer
und Bürger, fragt ganz nüchtern und praktisch: was hab' ich davon? Will man
sich ein unzweideutiges Zeugniß über die wirklichen politischen Sympathien des
Deutschöstreichers verschaffen, so mache man einmal ein ehrliches Experiment
nach der neunapoleonischen Methode. Man lasse einmal in den deutsch-östrei¬
chischen Ländern abstimmen: ob zu Deutschland oder zu Oestreich? Vorausgesetzt,
daß keine andere Wahl zu einer gemüthlichen Zwitterstellung übrigbliebe, so
kann man mit positivster Gewißheit vorhersagen, daß nicht die Majorität, nein,
das ganze Land mit Ausnahme einiger politischen Schöngeister und Literaten
sich unbedingt für das Verbleiben, bei Oestreich aussprechen wird. Und zwar
nicht aus überwiegender Sympathie für die heutigen Verfassungszustande in
Oestreich, sondern aus dem praktisch gewordenen materiellen Bedürfniß und aus
der lebendig gewordenen geistigen Gewohnheit des innigen Verbandes mit den
übrigen Ländern der Gesammtmonarchre." Niemals hat man aus Deutschöstreich
in den letzten Jahren, wo die nationale Bewegung in Deutschland so hoch ging,
ein ernst gemeintes Wort brüderlicher Zustimmung zu den Bestrebungen nach
deutscher Einigung vernommen. Die wehmüthigen Tiraden der großdeutschen
Rhetoren und Demagogen in Schwaben und Bayern, Hannover und Sachsen,
man wolle das kerndeutsche östreichische Volk aus Deutschland hinausdrängen,
waren vor allem deshalb komisch, weil diese Kerndeutschen sich gar nicht in
Deutschland wußten. „All unser Sinnen und Trachten," sagt der Verfasser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/354>, abgerufen am 03.07.2024.