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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Gesammtreichsrathe heute entweder die Deutschen von den andern nationalen
Parteien entschieden majorifirt werden würden, oder, falls die Regierung den
Muth hätte, der deutschen Minorität das Wort zu reden, der Reichsrath seine
Selbstauflösung poliren und hiermit die absolutistische Partei wieder zur Herr¬
schaft gelangen würde."

"Die Gefahren dagegen, weiche eine Union auf dualistischer Grundlage
mit sich führt, würden rein politischer und constitutioneller Natur sein. Die
Nationalität bliebe vollständig aus dem Spiele, da alle darauf bezüglichen
Fragen bereits innerhalb der Gemeinden und der Kreis- und Landtage aus¬
getragen wären. Die Deutschen würden in dem Reichstage diesseits der Leitha
entschieden die Majorität bestimmen, und nur große politische Reichsfragen über
internationale Verträge, über Krieg und Frieden, über ausnahmsweise Erhöhung
des Reichsbudgets u. s. w. könnten eine verschiedene Auffassung und Behandlung
von Seiten der beiden Reichstage in Wien und Pesth erfahren. Selbst wenn
ein solcher Zwiespalt der Meinungen eintreten würde, daß alle Vermittlungs¬
versuche von Seiten der Regierung und im Schooße der gesetzlich berufenen
Reichsdeputation vergeblich blieben, würde immer noch die Austragung der
Differenz im constitutionellen Wege erübrigen, mittelst Auflösung des dissen-
tirenden Reichstags und Appell an das Land durch Einleitung von Neuwahlen."

Weit zweckmäßiger aber findet es der Verfasser, und wir Pflichten ihm
darin bei, der Möglichkeit solcher Conflicte von vornherein durch eine derartige
Ordnung der internationalen Verhältnisse des Gesammtstaats ein Ende zu
machen, welche dem Gesammtinteresse aller in der Monarchie vertretenen Böller
entspricht. Hier aber ist Eins das Wichtigste und Dringendste: der völkerrecht¬
liche Verband Oestreichs mit Deutschland muß zu vollständiger Klarheit gebracht,
und gleichzeitig muß die deutsche Politik des wiener Cabinets eine andere
werden, d. h. dasselbe muß dem durch die geographische Lage wie durch die Ge¬
schichte gegebnen Beruf Oestreichs nach handeln, "die Cultur nach Osten zu
tragen".

Man beachte, daß es ein deutscher Oestreicher ist, dessen Räsonnement wir
im Nachstehenden ausziehen.

Der Verfasser geht davon aus, daß die deutsche Bundesverfassung der ge-
sammtstaatlichen Existenz und der constitutionellen Selbständigkeit der östreichischen
Monarchie Gefahr droht. Das bisherige Bundesverhältniß giebt dem Dualismus
in Oestreich seine factische Berechtigung, indem es die deutsch-slavischen Erdtaube
als einen integrirenden Theil des deutschen Staatenbundes den Beschlüssen des
frankfurter Bundestags unterordnet und somit vertragsmäßig die staatsrechtliche
Trennung der beiden Reichshälften diesseits und jenseits der Leitha feststellt.
Das Bestreben, Oestreich gesammtstaatlich zu centralisiren und gleichzeitig auf
.der großdeutschen Grundlage der bisherigen Bundesverfassung mit Deutschland


Gnnzbotm I. 1866. 42

Gesammtreichsrathe heute entweder die Deutschen von den andern nationalen
Parteien entschieden majorifirt werden würden, oder, falls die Regierung den
Muth hätte, der deutschen Minorität das Wort zu reden, der Reichsrath seine
Selbstauflösung poliren und hiermit die absolutistische Partei wieder zur Herr¬
schaft gelangen würde."

„Die Gefahren dagegen, weiche eine Union auf dualistischer Grundlage
mit sich führt, würden rein politischer und constitutioneller Natur sein. Die
Nationalität bliebe vollständig aus dem Spiele, da alle darauf bezüglichen
Fragen bereits innerhalb der Gemeinden und der Kreis- und Landtage aus¬
getragen wären. Die Deutschen würden in dem Reichstage diesseits der Leitha
entschieden die Majorität bestimmen, und nur große politische Reichsfragen über
internationale Verträge, über Krieg und Frieden, über ausnahmsweise Erhöhung
des Reichsbudgets u. s. w. könnten eine verschiedene Auffassung und Behandlung
von Seiten der beiden Reichstage in Wien und Pesth erfahren. Selbst wenn
ein solcher Zwiespalt der Meinungen eintreten würde, daß alle Vermittlungs¬
versuche von Seiten der Regierung und im Schooße der gesetzlich berufenen
Reichsdeputation vergeblich blieben, würde immer noch die Austragung der
Differenz im constitutionellen Wege erübrigen, mittelst Auflösung des dissen-
tirenden Reichstags und Appell an das Land durch Einleitung von Neuwahlen."

Weit zweckmäßiger aber findet es der Verfasser, und wir Pflichten ihm
darin bei, der Möglichkeit solcher Conflicte von vornherein durch eine derartige
Ordnung der internationalen Verhältnisse des Gesammtstaats ein Ende zu
machen, welche dem Gesammtinteresse aller in der Monarchie vertretenen Böller
entspricht. Hier aber ist Eins das Wichtigste und Dringendste: der völkerrecht¬
liche Verband Oestreichs mit Deutschland muß zu vollständiger Klarheit gebracht,
und gleichzeitig muß die deutsche Politik des wiener Cabinets eine andere
werden, d. h. dasselbe muß dem durch die geographische Lage wie durch die Ge¬
schichte gegebnen Beruf Oestreichs nach handeln, „die Cultur nach Osten zu
tragen".

Man beachte, daß es ein deutscher Oestreicher ist, dessen Räsonnement wir
im Nachstehenden ausziehen.

Der Verfasser geht davon aus, daß die deutsche Bundesverfassung der ge-
sammtstaatlichen Existenz und der constitutionellen Selbständigkeit der östreichischen
Monarchie Gefahr droht. Das bisherige Bundesverhältniß giebt dem Dualismus
in Oestreich seine factische Berechtigung, indem es die deutsch-slavischen Erdtaube
als einen integrirenden Theil des deutschen Staatenbundes den Beschlüssen des
frankfurter Bundestags unterordnet und somit vertragsmäßig die staatsrechtliche
Trennung der beiden Reichshälften diesseits und jenseits der Leitha feststellt.
Das Bestreben, Oestreich gesammtstaatlich zu centralisiren und gleichzeitig auf
.der großdeutschen Grundlage der bisherigen Bundesverfassung mit Deutschland


Gnnzbotm I. 1866. 42
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[0351] Gesammtreichsrathe heute entweder die Deutschen von den andern nationalen Parteien entschieden majorifirt werden würden, oder, falls die Regierung den Muth hätte, der deutschen Minorität das Wort zu reden, der Reichsrath seine Selbstauflösung poliren und hiermit die absolutistische Partei wieder zur Herr¬ schaft gelangen würde." „Die Gefahren dagegen, weiche eine Union auf dualistischer Grundlage mit sich führt, würden rein politischer und constitutioneller Natur sein. Die Nationalität bliebe vollständig aus dem Spiele, da alle darauf bezüglichen Fragen bereits innerhalb der Gemeinden und der Kreis- und Landtage aus¬ getragen wären. Die Deutschen würden in dem Reichstage diesseits der Leitha entschieden die Majorität bestimmen, und nur große politische Reichsfragen über internationale Verträge, über Krieg und Frieden, über ausnahmsweise Erhöhung des Reichsbudgets u. s. w. könnten eine verschiedene Auffassung und Behandlung von Seiten der beiden Reichstage in Wien und Pesth erfahren. Selbst wenn ein solcher Zwiespalt der Meinungen eintreten würde, daß alle Vermittlungs¬ versuche von Seiten der Regierung und im Schooße der gesetzlich berufenen Reichsdeputation vergeblich blieben, würde immer noch die Austragung der Differenz im constitutionellen Wege erübrigen, mittelst Auflösung des dissen- tirenden Reichstags und Appell an das Land durch Einleitung von Neuwahlen." Weit zweckmäßiger aber findet es der Verfasser, und wir Pflichten ihm darin bei, der Möglichkeit solcher Conflicte von vornherein durch eine derartige Ordnung der internationalen Verhältnisse des Gesammtstaats ein Ende zu machen, welche dem Gesammtinteresse aller in der Monarchie vertretenen Böller entspricht. Hier aber ist Eins das Wichtigste und Dringendste: der völkerrecht¬ liche Verband Oestreichs mit Deutschland muß zu vollständiger Klarheit gebracht, und gleichzeitig muß die deutsche Politik des wiener Cabinets eine andere werden, d. h. dasselbe muß dem durch die geographische Lage wie durch die Ge¬ schichte gegebnen Beruf Oestreichs nach handeln, „die Cultur nach Osten zu tragen". Man beachte, daß es ein deutscher Oestreicher ist, dessen Räsonnement wir im Nachstehenden ausziehen. Der Verfasser geht davon aus, daß die deutsche Bundesverfassung der ge- sammtstaatlichen Existenz und der constitutionellen Selbständigkeit der östreichischen Monarchie Gefahr droht. Das bisherige Bundesverhältniß giebt dem Dualismus in Oestreich seine factische Berechtigung, indem es die deutsch-slavischen Erdtaube als einen integrirenden Theil des deutschen Staatenbundes den Beschlüssen des frankfurter Bundestags unterordnet und somit vertragsmäßig die staatsrechtliche Trennung der beiden Reichshälften diesseits und jenseits der Leitha feststellt. Das Bestreben, Oestreich gesammtstaatlich zu centralisiren und gleichzeitig auf .der großdeutschen Grundlage der bisherigen Bundesverfassung mit Deutschland Gnnzbotm I. 1866. 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/351>, abgerufen am 22.07.2024.