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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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zu verschmelzen, war widersinnig. Man bekämpfte den Dualismus als staats¬
gefährlich, und man erhielt ihm zu derselben Zeit die Möglichkeit der Fort¬
existenz. Man wollte ein mächtiges Großöstreich, und man wollte im gleichen
Augenblick die Negierung und das einheitliche Parlament dieses Großstaats
von dem guten Willen einer Anzahl kleiner Fürsten in Deutschland abhängig
machen.

Weder die Centralisation, noch der Föderalismus und ebenso wenig die
Union auf dualistischer Grundlage, welcher unsre Denkschrift das Wort redet,
hat Anspruch darauf, ein haltbarer Staatsverband genannt zu werden, so lange
der Dualismus in der völkerrechtlichen Stellung Oestreichs, wie er durch die
Bundesacte von 1815 legitimirt wurde, vertragsmäßig fortbesteht. Denn eben
auf diesen deutschen Dualismus Oestreichs stützt der ungarische Dualismus
seinen in der That hierin wohlbegründeten Anspruch. "Nicht so sehr in den
Völkern Oestreichs liegt heute noch der Keim zu separatistischen Gelüsten und
der Trieb nach Zerklüftung der großen Gesammtmvnarchie; in der traditionellen
Regierung Oestreichs, welche ihre Politik den überlebten Verträgen unterordnet,
statt die Verträge einer neuen Politik entsprechend zu modificiren, darin allein
ist der Keim aller gegenwärtigen Verwickelungen zu suchen." (Die angestrebte
Modifikation der Bundesverträge aus dem Fürstentag von 1863 entkräftet diese
Vorwürfe nicht, sondern bestätigt sie vielmehr.) Daß man der nationalen Be¬
wegung in Deutschland von Wien aus nicht ehrlich folgen und noch weniger
dieselbe von dort aus leiten kann, liegt klar zu Tage. Das Verlangen der
Deutschen nach Einheit, sei es auch nur in der Form einer einheitlichen Ver¬
tretung nach Außen und eines deutschen Parlaments, kann unmöglich erfüllt
werden, ohne daß Oestreich entweder aus dem Bunde tritt oder seine Selbst¬
auflösung decretirt. Denn eine Selbstauflösung wäre es, wenn die eine Hälfte
des Reichs den wichtigsten Theil der östreichischen Souveränetätsrechte an die
deutsche Centralgewalt und an die gesetzgebende Versammlung neben derselben
abtreten wollte. Die andere Hälfte, nicht zum deutschen Bunde gehörig, müßte
in einem solchen Fall nothwendig die Souveränetätsrechte ihrer Krone, der
ungarischen Krone, gesondert von jenen des deutsch-östreichischen Bundesfürsten
zur Geltung, zu bringen suchen, d. h. Ungarn wäre dann genöthigt und be¬
rechtigt, seine volle Selbständigkeit zu verlangen, und die Gesammtmonarchie
zerlegte sich damit in zwei Theile, von denen der eine, der deutsch-slavische, zu
dem einheitlichen deutschen Reiche, der andere dagegen, der Ländercomplex der
ungarischen Krone, zu niemand als sich selbst gehörte. Das Verhältniß zu der
gemeinsamen Dynastie wäre dann auf den rein völkerrechtlichen Bund zurück¬
gegangen, der die beiden Neichshälften vor dem Abschluß der pragmatischen
Sanction aneinanderknüpfte.

Arge Täuschung ist es, anzunehmen, eine Reorganisation des deutschen


zu verschmelzen, war widersinnig. Man bekämpfte den Dualismus als staats¬
gefährlich, und man erhielt ihm zu derselben Zeit die Möglichkeit der Fort¬
existenz. Man wollte ein mächtiges Großöstreich, und man wollte im gleichen
Augenblick die Negierung und das einheitliche Parlament dieses Großstaats
von dem guten Willen einer Anzahl kleiner Fürsten in Deutschland abhängig
machen.

Weder die Centralisation, noch der Föderalismus und ebenso wenig die
Union auf dualistischer Grundlage, welcher unsre Denkschrift das Wort redet,
hat Anspruch darauf, ein haltbarer Staatsverband genannt zu werden, so lange
der Dualismus in der völkerrechtlichen Stellung Oestreichs, wie er durch die
Bundesacte von 1815 legitimirt wurde, vertragsmäßig fortbesteht. Denn eben
auf diesen deutschen Dualismus Oestreichs stützt der ungarische Dualismus
seinen in der That hierin wohlbegründeten Anspruch. „Nicht so sehr in den
Völkern Oestreichs liegt heute noch der Keim zu separatistischen Gelüsten und
der Trieb nach Zerklüftung der großen Gesammtmvnarchie; in der traditionellen
Regierung Oestreichs, welche ihre Politik den überlebten Verträgen unterordnet,
statt die Verträge einer neuen Politik entsprechend zu modificiren, darin allein
ist der Keim aller gegenwärtigen Verwickelungen zu suchen." (Die angestrebte
Modifikation der Bundesverträge aus dem Fürstentag von 1863 entkräftet diese
Vorwürfe nicht, sondern bestätigt sie vielmehr.) Daß man der nationalen Be¬
wegung in Deutschland von Wien aus nicht ehrlich folgen und noch weniger
dieselbe von dort aus leiten kann, liegt klar zu Tage. Das Verlangen der
Deutschen nach Einheit, sei es auch nur in der Form einer einheitlichen Ver¬
tretung nach Außen und eines deutschen Parlaments, kann unmöglich erfüllt
werden, ohne daß Oestreich entweder aus dem Bunde tritt oder seine Selbst¬
auflösung decretirt. Denn eine Selbstauflösung wäre es, wenn die eine Hälfte
des Reichs den wichtigsten Theil der östreichischen Souveränetätsrechte an die
deutsche Centralgewalt und an die gesetzgebende Versammlung neben derselben
abtreten wollte. Die andere Hälfte, nicht zum deutschen Bunde gehörig, müßte
in einem solchen Fall nothwendig die Souveränetätsrechte ihrer Krone, der
ungarischen Krone, gesondert von jenen des deutsch-östreichischen Bundesfürsten
zur Geltung, zu bringen suchen, d. h. Ungarn wäre dann genöthigt und be¬
rechtigt, seine volle Selbständigkeit zu verlangen, und die Gesammtmonarchie
zerlegte sich damit in zwei Theile, von denen der eine, der deutsch-slavische, zu
dem einheitlichen deutschen Reiche, der andere dagegen, der Ländercomplex der
ungarischen Krone, zu niemand als sich selbst gehörte. Das Verhältniß zu der
gemeinsamen Dynastie wäre dann auf den rein völkerrechtlichen Bund zurück¬
gegangen, der die beiden Neichshälften vor dem Abschluß der pragmatischen
Sanction aneinanderknüpfte.

Arge Täuschung ist es, anzunehmen, eine Reorganisation des deutschen


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[0352] zu verschmelzen, war widersinnig. Man bekämpfte den Dualismus als staats¬ gefährlich, und man erhielt ihm zu derselben Zeit die Möglichkeit der Fort¬ existenz. Man wollte ein mächtiges Großöstreich, und man wollte im gleichen Augenblick die Negierung und das einheitliche Parlament dieses Großstaats von dem guten Willen einer Anzahl kleiner Fürsten in Deutschland abhängig machen. Weder die Centralisation, noch der Föderalismus und ebenso wenig die Union auf dualistischer Grundlage, welcher unsre Denkschrift das Wort redet, hat Anspruch darauf, ein haltbarer Staatsverband genannt zu werden, so lange der Dualismus in der völkerrechtlichen Stellung Oestreichs, wie er durch die Bundesacte von 1815 legitimirt wurde, vertragsmäßig fortbesteht. Denn eben auf diesen deutschen Dualismus Oestreichs stützt der ungarische Dualismus seinen in der That hierin wohlbegründeten Anspruch. „Nicht so sehr in den Völkern Oestreichs liegt heute noch der Keim zu separatistischen Gelüsten und der Trieb nach Zerklüftung der großen Gesammtmvnarchie; in der traditionellen Regierung Oestreichs, welche ihre Politik den überlebten Verträgen unterordnet, statt die Verträge einer neuen Politik entsprechend zu modificiren, darin allein ist der Keim aller gegenwärtigen Verwickelungen zu suchen." (Die angestrebte Modifikation der Bundesverträge aus dem Fürstentag von 1863 entkräftet diese Vorwürfe nicht, sondern bestätigt sie vielmehr.) Daß man der nationalen Be¬ wegung in Deutschland von Wien aus nicht ehrlich folgen und noch weniger dieselbe von dort aus leiten kann, liegt klar zu Tage. Das Verlangen der Deutschen nach Einheit, sei es auch nur in der Form einer einheitlichen Ver¬ tretung nach Außen und eines deutschen Parlaments, kann unmöglich erfüllt werden, ohne daß Oestreich entweder aus dem Bunde tritt oder seine Selbst¬ auflösung decretirt. Denn eine Selbstauflösung wäre es, wenn die eine Hälfte des Reichs den wichtigsten Theil der östreichischen Souveränetätsrechte an die deutsche Centralgewalt und an die gesetzgebende Versammlung neben derselben abtreten wollte. Die andere Hälfte, nicht zum deutschen Bunde gehörig, müßte in einem solchen Fall nothwendig die Souveränetätsrechte ihrer Krone, der ungarischen Krone, gesondert von jenen des deutsch-östreichischen Bundesfürsten zur Geltung, zu bringen suchen, d. h. Ungarn wäre dann genöthigt und be¬ rechtigt, seine volle Selbständigkeit zu verlangen, und die Gesammtmonarchie zerlegte sich damit in zwei Theile, von denen der eine, der deutsch-slavische, zu dem einheitlichen deutschen Reiche, der andere dagegen, der Ländercomplex der ungarischen Krone, zu niemand als sich selbst gehörte. Das Verhältniß zu der gemeinsamen Dynastie wäre dann auf den rein völkerrechtlichen Bund zurück¬ gegangen, der die beiden Neichshälften vor dem Abschluß der pragmatischen Sanction aneinanderknüpfte. Arge Täuschung ist es, anzunehmen, eine Reorganisation des deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/352>, abgerufen am 22.07.2024.