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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Diese selbst dürften vielmehr nur die Executivorgane eines großen Staatsraths,
ähnlich dem ?rio7 Oormoil in England sein, in welchem sowohl die Verant¬
wortlicher Staatsminister beider Ländergebiete und mehre Minister ohne Porte¬
feuille, welche die speciellen Länder vertreten, als auch, so oft wichtige
Fragen auf der Tagesordnung erschienen, die Statthalter der einzelnen Länder
und die Präsidenten der obersten Verwaltungs- und Justizbehörden Sitz und
Stimme hätten.

Auf welchen Grundlagen, so fragt unsre Denkschrift weiter, soll die Re¬
vision der Verfassung für die deutsch-slavische Reichshälfte vorgenommen werden?
Die Antwort lautet: auf denselben wie die Revision der 1848er Gesetze Ungarns,
also ebenfalls auf Grundlage der historischen Rechtscontinuität und der nationalen
Föderation. Der letzte völkerrechtliche Vertrag, welcher die Geschicke der deutsch¬
slavischen Erdtaube bestimmte, war die deutsche Bundesacte von 1816, welche
zugleich die Entsagung des Kaisers Franz auf die deutsche Kaiserkrone vom
Jahr 1804 und die gleichzeitige Beschränkung des Kaisertitels auf die dem
Hause Habsburg angehörigen Länder Oestreichs in das allgemeine Völkerrecht
ausnahm. Diese Beschränkung vereinigte zum ersten Male den ganzen Länder¬
besitz des gedachten Hauses unter einem gemeinsamen Besitztitel: dem des öst¬
reichischen Kaiserstaates. Bis dahin kannte Europa keinen Kaiser von Oestreich,
sondern nur einen römischen Kaiser deutscher Nation, welcher zugleich König
von Ungarn und Böhmen, Erzherzog, Herzog und Markgraf verschiedener Erd¬
taube war. Ferner aber datiren die Rechtsansprüche der Erdtaube auch in
Bezug auf ihr inneres Staatsrecht aus der deutschen Bundesacte von 181S,
denn dieselbe garantirte ihnen so gut wie den übrigen Bundesstaaten eine
landständische Verfassung, Preßfreiheit' und die bürgerliche Gleichstellung der
christlichen Religionsbekenntnisse. Erst das Jahr 1848 brachte diese Ansprüche
in Oestreich zur Anerkennung, und die Reichsverfassung vom 25. April dieses
Revolutivnsjahres enthielt diese Anerkennung. Die Länder diesseits der Leitha
begründen somit ihre Rechte auf ein constitutionelles Regiment zunächst aus
den deutschen Bundesvertrag von 1813, dann auf die Reichsverfassung vom
April 1848 und endlich, nachdem diese aufgehoben, auf die Rechtsbeständigkeit
des ersten östreichischen Reichstags, in dessen Hände hierauf die Constituirung
Oestreichs, respective die Berathung eines Verfassungsgesetzes für die in diesem
Reichstag vertretenen Länder gelegt war. Der Reichstag hat diese Aufgabe
erfüllt, das Resultat seiner Arbeit war der kremsierer Verfassungsentwurf. Vom
historischen und staatsrechtlichen Standpunkt kann kein Zweifel darüber bestehen,
daß die deutsch-slavischen Erdtaube einzig in dessen Grundzügen den Ausdruck
ihrer politischen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen vermöchten. Dasselbe
Recht und dieselbe Rechtscontinuität, welche Ungarn für die Anerkennung seiner
1848er Gesetze ^anführt, könnten auch die übrigen Länder der Gesammtmonarchie


Diese selbst dürften vielmehr nur die Executivorgane eines großen Staatsraths,
ähnlich dem ?rio7 Oormoil in England sein, in welchem sowohl die Verant¬
wortlicher Staatsminister beider Ländergebiete und mehre Minister ohne Porte¬
feuille, welche die speciellen Länder vertreten, als auch, so oft wichtige
Fragen auf der Tagesordnung erschienen, die Statthalter der einzelnen Länder
und die Präsidenten der obersten Verwaltungs- und Justizbehörden Sitz und
Stimme hätten.

Auf welchen Grundlagen, so fragt unsre Denkschrift weiter, soll die Re¬
vision der Verfassung für die deutsch-slavische Reichshälfte vorgenommen werden?
Die Antwort lautet: auf denselben wie die Revision der 1848er Gesetze Ungarns,
also ebenfalls auf Grundlage der historischen Rechtscontinuität und der nationalen
Föderation. Der letzte völkerrechtliche Vertrag, welcher die Geschicke der deutsch¬
slavischen Erdtaube bestimmte, war die deutsche Bundesacte von 1816, welche
zugleich die Entsagung des Kaisers Franz auf die deutsche Kaiserkrone vom
Jahr 1804 und die gleichzeitige Beschränkung des Kaisertitels auf die dem
Hause Habsburg angehörigen Länder Oestreichs in das allgemeine Völkerrecht
ausnahm. Diese Beschränkung vereinigte zum ersten Male den ganzen Länder¬
besitz des gedachten Hauses unter einem gemeinsamen Besitztitel: dem des öst¬
reichischen Kaiserstaates. Bis dahin kannte Europa keinen Kaiser von Oestreich,
sondern nur einen römischen Kaiser deutscher Nation, welcher zugleich König
von Ungarn und Böhmen, Erzherzog, Herzog und Markgraf verschiedener Erd¬
taube war. Ferner aber datiren die Rechtsansprüche der Erdtaube auch in
Bezug auf ihr inneres Staatsrecht aus der deutschen Bundesacte von 181S,
denn dieselbe garantirte ihnen so gut wie den übrigen Bundesstaaten eine
landständische Verfassung, Preßfreiheit' und die bürgerliche Gleichstellung der
christlichen Religionsbekenntnisse. Erst das Jahr 1848 brachte diese Ansprüche
in Oestreich zur Anerkennung, und die Reichsverfassung vom 25. April dieses
Revolutivnsjahres enthielt diese Anerkennung. Die Länder diesseits der Leitha
begründen somit ihre Rechte auf ein constitutionelles Regiment zunächst aus
den deutschen Bundesvertrag von 1813, dann auf die Reichsverfassung vom
April 1848 und endlich, nachdem diese aufgehoben, auf die Rechtsbeständigkeit
des ersten östreichischen Reichstags, in dessen Hände hierauf die Constituirung
Oestreichs, respective die Berathung eines Verfassungsgesetzes für die in diesem
Reichstag vertretenen Länder gelegt war. Der Reichstag hat diese Aufgabe
erfüllt, das Resultat seiner Arbeit war der kremsierer Verfassungsentwurf. Vom
historischen und staatsrechtlichen Standpunkt kann kein Zweifel darüber bestehen,
daß die deutsch-slavischen Erdtaube einzig in dessen Grundzügen den Ausdruck
ihrer politischen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen vermöchten. Dasselbe
Recht und dieselbe Rechtscontinuität, welche Ungarn für die Anerkennung seiner
1848er Gesetze ^anführt, könnten auch die übrigen Länder der Gesammtmonarchie


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[0349] Diese selbst dürften vielmehr nur die Executivorgane eines großen Staatsraths, ähnlich dem ?rio7 Oormoil in England sein, in welchem sowohl die Verant¬ wortlicher Staatsminister beider Ländergebiete und mehre Minister ohne Porte¬ feuille, welche die speciellen Länder vertreten, als auch, so oft wichtige Fragen auf der Tagesordnung erschienen, die Statthalter der einzelnen Länder und die Präsidenten der obersten Verwaltungs- und Justizbehörden Sitz und Stimme hätten. Auf welchen Grundlagen, so fragt unsre Denkschrift weiter, soll die Re¬ vision der Verfassung für die deutsch-slavische Reichshälfte vorgenommen werden? Die Antwort lautet: auf denselben wie die Revision der 1848er Gesetze Ungarns, also ebenfalls auf Grundlage der historischen Rechtscontinuität und der nationalen Föderation. Der letzte völkerrechtliche Vertrag, welcher die Geschicke der deutsch¬ slavischen Erdtaube bestimmte, war die deutsche Bundesacte von 1816, welche zugleich die Entsagung des Kaisers Franz auf die deutsche Kaiserkrone vom Jahr 1804 und die gleichzeitige Beschränkung des Kaisertitels auf die dem Hause Habsburg angehörigen Länder Oestreichs in das allgemeine Völkerrecht ausnahm. Diese Beschränkung vereinigte zum ersten Male den ganzen Länder¬ besitz des gedachten Hauses unter einem gemeinsamen Besitztitel: dem des öst¬ reichischen Kaiserstaates. Bis dahin kannte Europa keinen Kaiser von Oestreich, sondern nur einen römischen Kaiser deutscher Nation, welcher zugleich König von Ungarn und Böhmen, Erzherzog, Herzog und Markgraf verschiedener Erd¬ taube war. Ferner aber datiren die Rechtsansprüche der Erdtaube auch in Bezug auf ihr inneres Staatsrecht aus der deutschen Bundesacte von 181S, denn dieselbe garantirte ihnen so gut wie den übrigen Bundesstaaten eine landständische Verfassung, Preßfreiheit' und die bürgerliche Gleichstellung der christlichen Religionsbekenntnisse. Erst das Jahr 1848 brachte diese Ansprüche in Oestreich zur Anerkennung, und die Reichsverfassung vom 25. April dieses Revolutivnsjahres enthielt diese Anerkennung. Die Länder diesseits der Leitha begründen somit ihre Rechte auf ein constitutionelles Regiment zunächst aus den deutschen Bundesvertrag von 1813, dann auf die Reichsverfassung vom April 1848 und endlich, nachdem diese aufgehoben, auf die Rechtsbeständigkeit des ersten östreichischen Reichstags, in dessen Hände hierauf die Constituirung Oestreichs, respective die Berathung eines Verfassungsgesetzes für die in diesem Reichstag vertretenen Länder gelegt war. Der Reichstag hat diese Aufgabe erfüllt, das Resultat seiner Arbeit war der kremsierer Verfassungsentwurf. Vom historischen und staatsrechtlichen Standpunkt kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die deutsch-slavischen Erdtaube einzig in dessen Grundzügen den Ausdruck ihrer politischen Wünsche und Bedürfnisse zu erkennen vermöchten. Dasselbe Recht und dieselbe Rechtscontinuität, welche Ungarn für die Anerkennung seiner 1848er Gesetze ^anführt, könnten auch die übrigen Länder der Gesammtmonarchie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/349>, abgerufen am 29.06.2024.