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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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würde er gleichfalls nur die Deutschen und die Magyaren ins Auge fassen
können. Die Position jener ist der Art, daß sie außerhalb der östreichischen
Monarchie nur schwache Garantien ihrer selbständigen politischen Existenz finden
würden. Die Magyaren aber, als Volksstamm in Europa gänzlich isolirt, von
fremden Nationalitäten umlagert, vermögen einzig und allein in einem historisch
begründeten Völkerverbcmde, wie Oestreich ihn bietet, eine hervorragende und
entscheidende Rolle zu behaupten. Beide, Deutsche und Magyaren werden sich
lediglich durch innigen Anschluß, durch eine aufrichtige Union ihrer Interessen
gegenseitig ihre freiheitliche und nationale Entwicklung inmitten der sie um¬
gebenden slavischen Welt sichern können.

Diese Union ist der einzig zweckentsprechende Staatsverband in dem Ueber¬
gangsstadium aus dem aufgeklärten Despotismus in die constitutionelle Monarchie,
in dem Oestreich sich jetzt befindet. Der Dualismus ist in Oestreich heute noch
eine Sache des historischen Rechts und der politischen Nothwendigkeit, eine
Staatsform an und für sich aber ist er nicht. Sobald das historische Recht
anerkannt und durch verfassungsmäßige Bürgschaften die Gefahren für die selb¬
ständige Entwicklung Ungarns innerhalb der Gesammtmonarchie beseitigt sind,
wird auch der Dualismus die Nothwendigkeit seines Fortbestehens nicht länger
zu behaupten vermögen, und die politische Union der Erdtaube mit Ungarn
wird allmälig auf demselben gesetzlichen Wege innerer Entwicklung wie in Groß,
britannien zu einer gemeinsamen Rcichsvertretung und einheitlicher Gestaltung
des Verfassungslebcns führen.

Unsre Schrift kommt nun zu der eigentlichen Hauptfrage dieses Abschnitts
ihrer Erörterung: wie können die bisher entwickelten Anschauungen in dem
heutigen Oestreich zu praktischer Anwendung gelangen? und giebt darauf zur
Antwort: in der gleichzeitigen Revision der Februarverfassung und der ungarischen
Gesetze von 1848. In jener müssen die auf die gesammtstaatliche Vertretung
sich beziehenden Punkte ebenso gut revidirt werden wie bei den ungarischen
Gesetzen die Bestimmungen, welche die verfassungsmäßige Ordnung der gemein¬
samen Angelegenheiten, die Einheit der Exekutivgewalt und das Verhältniß des
Kaisers und Königs zu den legislativen und executiven Organen der beiden
Reichshälften betreffen. Die Nothwendigkeit einer solchen Umgestaltung hat
sich in Bezug auf die Februarverfassung einfach aus der nun allgemein erkannten
Unausführbarkeit ihrer gesammtstaatlichen Anordnungen ergeben. Für die 1848er
Gesetze Ungarns aber ergiebt sich diese Nothwendigkeit nicht nur aus dem Be.
dürfniß nach einem innigen staatsrechtlichen Verbände mit Oestreich, sondern
Zugleich aus der Unklarheit mehrer Paragraphen, über deren Deutung in den
ätzten Jahren vielfach gestritten wurde, und außerdem ist noch zu erwägen, daß
seit 1848 sehr wichtige Thatsachen sich vollzogen haben, welche zwar anfechtbar,
weil nicht auf verfassungsmäßigen Wege zu Stande gekommen sind, aber nicht


würde er gleichfalls nur die Deutschen und die Magyaren ins Auge fassen
können. Die Position jener ist der Art, daß sie außerhalb der östreichischen
Monarchie nur schwache Garantien ihrer selbständigen politischen Existenz finden
würden. Die Magyaren aber, als Volksstamm in Europa gänzlich isolirt, von
fremden Nationalitäten umlagert, vermögen einzig und allein in einem historisch
begründeten Völkerverbcmde, wie Oestreich ihn bietet, eine hervorragende und
entscheidende Rolle zu behaupten. Beide, Deutsche und Magyaren werden sich
lediglich durch innigen Anschluß, durch eine aufrichtige Union ihrer Interessen
gegenseitig ihre freiheitliche und nationale Entwicklung inmitten der sie um¬
gebenden slavischen Welt sichern können.

Diese Union ist der einzig zweckentsprechende Staatsverband in dem Ueber¬
gangsstadium aus dem aufgeklärten Despotismus in die constitutionelle Monarchie,
in dem Oestreich sich jetzt befindet. Der Dualismus ist in Oestreich heute noch
eine Sache des historischen Rechts und der politischen Nothwendigkeit, eine
Staatsform an und für sich aber ist er nicht. Sobald das historische Recht
anerkannt und durch verfassungsmäßige Bürgschaften die Gefahren für die selb¬
ständige Entwicklung Ungarns innerhalb der Gesammtmonarchie beseitigt sind,
wird auch der Dualismus die Nothwendigkeit seines Fortbestehens nicht länger
zu behaupten vermögen, und die politische Union der Erdtaube mit Ungarn
wird allmälig auf demselben gesetzlichen Wege innerer Entwicklung wie in Groß,
britannien zu einer gemeinsamen Rcichsvertretung und einheitlicher Gestaltung
des Verfassungslebcns führen.

Unsre Schrift kommt nun zu der eigentlichen Hauptfrage dieses Abschnitts
ihrer Erörterung: wie können die bisher entwickelten Anschauungen in dem
heutigen Oestreich zu praktischer Anwendung gelangen? und giebt darauf zur
Antwort: in der gleichzeitigen Revision der Februarverfassung und der ungarischen
Gesetze von 1848. In jener müssen die auf die gesammtstaatliche Vertretung
sich beziehenden Punkte ebenso gut revidirt werden wie bei den ungarischen
Gesetzen die Bestimmungen, welche die verfassungsmäßige Ordnung der gemein¬
samen Angelegenheiten, die Einheit der Exekutivgewalt und das Verhältniß des
Kaisers und Königs zu den legislativen und executiven Organen der beiden
Reichshälften betreffen. Die Nothwendigkeit einer solchen Umgestaltung hat
sich in Bezug auf die Februarverfassung einfach aus der nun allgemein erkannten
Unausführbarkeit ihrer gesammtstaatlichen Anordnungen ergeben. Für die 1848er
Gesetze Ungarns aber ergiebt sich diese Nothwendigkeit nicht nur aus dem Be.
dürfniß nach einem innigen staatsrechtlichen Verbände mit Oestreich, sondern
Zugleich aus der Unklarheit mehrer Paragraphen, über deren Deutung in den
ätzten Jahren vielfach gestritten wurde, und außerdem ist noch zu erwägen, daß
seit 1848 sehr wichtige Thatsachen sich vollzogen haben, welche zwar anfechtbar,
weil nicht auf verfassungsmäßigen Wege zu Stande gekommen sind, aber nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/347>, abgerufen am 29.06.2024.