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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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und privaten, geistigen und materiellen Leben der Völker der östreichischen
Monarchie unauslöschlich ausgeprägt haben.

So sehr wir uns in rechtshistorische Studien vertiefen mögen, wir werden
nicht läugnen können, daß der Dualismus die einzige historisch haltbare und
staatsrechtlich giltige Grundlage der gesammtstaatlichen Entwickelung Oestreichs
ist. Er bildet deshalb auch den einzigen praktischen Ausgangspunkt für staats¬
rechtliche Reformen. Bis 1848 bestand dieser Dualismus darin, daß in den
beiden Hälften die Reichsverfassung und Verwaltung verschieden waren: dies¬
seits der Leitha herrschte das absolutistisch-patriarchalische, jenseits das con-
stitutionell-patriarchalische System. Der nächste Schritt zum Verfassungsbau
muß die Beseitigung dieser innern Verschiedenheit zum Ziele haben. Die Ent¬
wickelung und Befestigung eines wirklich verfassungsmäßigen Staatsorganismus
in der bisher mehr oder minder absolutistisch regierte^ deutsch-slavischen Reichs-
hälfte wird am natürlichsten jenen Dualismus überwinden, der die innere Politik
der ungarischen Länder von jener der nichtungarischen trennte. Und entsprechend
dem nun diesseits wie jenseits lebendig werdenden Constitutionalismus wird
auch der staatsrechtliche Verband, die politische Union derselben insoweit eine
klare und bestimmte Form erhalten müssen, daß die selbständige constitutionelle
Entwickelung beiderseits ebenso wenig gefährdet ist. wie die einheitliche Ver¬
tretung und Leitung der allen Ländern der Gesammtmonarchie gemeinsamen
Interessen.

Nicht nur das historische Recht aber entscheidet für den Dualismus, son¬
dern auch noch ein Anderes. Wer sich die verschiedenen Völker und Stämme
ansieht, welche das Staatsmaterial Oestreichs bilden, der findet, daß es bisher
besonders zwei nationale Elemente waren, welche in lebensfähiger Weise sich
entwickelt und dem zufolge auch den Bestand des Reiches gesichert haben: das
deutsche und das magyarische. Die geistige Kraft und Bildung der in
der östreichischen Monarchie zusammengefaßten Nationalitäten wurzelt vorzugs¬
weise in den Errungenschaften deutscher Cultur, und die wirkliche Höhe der ver¬
schiedenen nationalen Bildungsstufen läßt sich allein nach der Empfänglichkeit
bemessen, mit welcher eine Nationalität die Früchte dieser Cultur sich aneignet
und wieder in ihrem eigenthümlichen Wesen reproducirt. Diesem Maßstabe
entsprechend zeigt sich, daß der Magyare, trotz seiner nationalen Abgeschlossen¬
heit, für den Jdeenkreis deutscher, wie überhaupt fremder Bildung am empfäng¬
lichsten ist, und daß ein höheres Culturstreben sein ganzes Wesen beherrscht,
ohne ihn sich selbst zu entfremden.

Ein Blick auf den Entwicklungsstand Ungarns bestätigt diese Behauptung.
Die besten Namen des Landes glänzen in den Reihen der wissenschaftlichen
Koryphäen. Die feinsten staatsmännischen Köpfe Oestreichs gehen aus ^den
Kavalieren Ungarns hervor. Eine reichhaltige selbständige Publicistik vertritt


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und privaten, geistigen und materiellen Leben der Völker der östreichischen
Monarchie unauslöschlich ausgeprägt haben.

So sehr wir uns in rechtshistorische Studien vertiefen mögen, wir werden
nicht läugnen können, daß der Dualismus die einzige historisch haltbare und
staatsrechtlich giltige Grundlage der gesammtstaatlichen Entwickelung Oestreichs
ist. Er bildet deshalb auch den einzigen praktischen Ausgangspunkt für staats¬
rechtliche Reformen. Bis 1848 bestand dieser Dualismus darin, daß in den
beiden Hälften die Reichsverfassung und Verwaltung verschieden waren: dies¬
seits der Leitha herrschte das absolutistisch-patriarchalische, jenseits das con-
stitutionell-patriarchalische System. Der nächste Schritt zum Verfassungsbau
muß die Beseitigung dieser innern Verschiedenheit zum Ziele haben. Die Ent¬
wickelung und Befestigung eines wirklich verfassungsmäßigen Staatsorganismus
in der bisher mehr oder minder absolutistisch regierte^ deutsch-slavischen Reichs-
hälfte wird am natürlichsten jenen Dualismus überwinden, der die innere Politik
der ungarischen Länder von jener der nichtungarischen trennte. Und entsprechend
dem nun diesseits wie jenseits lebendig werdenden Constitutionalismus wird
auch der staatsrechtliche Verband, die politische Union derselben insoweit eine
klare und bestimmte Form erhalten müssen, daß die selbständige constitutionelle
Entwickelung beiderseits ebenso wenig gefährdet ist. wie die einheitliche Ver¬
tretung und Leitung der allen Ländern der Gesammtmonarchie gemeinsamen
Interessen.

Nicht nur das historische Recht aber entscheidet für den Dualismus, son¬
dern auch noch ein Anderes. Wer sich die verschiedenen Völker und Stämme
ansieht, welche das Staatsmaterial Oestreichs bilden, der findet, daß es bisher
besonders zwei nationale Elemente waren, welche in lebensfähiger Weise sich
entwickelt und dem zufolge auch den Bestand des Reiches gesichert haben: das
deutsche und das magyarische. Die geistige Kraft und Bildung der in
der östreichischen Monarchie zusammengefaßten Nationalitäten wurzelt vorzugs¬
weise in den Errungenschaften deutscher Cultur, und die wirkliche Höhe der ver¬
schiedenen nationalen Bildungsstufen läßt sich allein nach der Empfänglichkeit
bemessen, mit welcher eine Nationalität die Früchte dieser Cultur sich aneignet
und wieder in ihrem eigenthümlichen Wesen reproducirt. Diesem Maßstabe
entsprechend zeigt sich, daß der Magyare, trotz seiner nationalen Abgeschlossen¬
heit, für den Jdeenkreis deutscher, wie überhaupt fremder Bildung am empfäng¬
lichsten ist, und daß ein höheres Culturstreben sein ganzes Wesen beherrscht,
ohne ihn sich selbst zu entfremden.

Ein Blick auf den Entwicklungsstand Ungarns bestätigt diese Behauptung.
Die besten Namen des Landes glänzen in den Reihen der wissenschaftlichen
Koryphäen. Die feinsten staatsmännischen Köpfe Oestreichs gehen aus ^den
Kavalieren Ungarns hervor. Eine reichhaltige selbständige Publicistik vertritt


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[0345] und privaten, geistigen und materiellen Leben der Völker der östreichischen Monarchie unauslöschlich ausgeprägt haben. So sehr wir uns in rechtshistorische Studien vertiefen mögen, wir werden nicht läugnen können, daß der Dualismus die einzige historisch haltbare und staatsrechtlich giltige Grundlage der gesammtstaatlichen Entwickelung Oestreichs ist. Er bildet deshalb auch den einzigen praktischen Ausgangspunkt für staats¬ rechtliche Reformen. Bis 1848 bestand dieser Dualismus darin, daß in den beiden Hälften die Reichsverfassung und Verwaltung verschieden waren: dies¬ seits der Leitha herrschte das absolutistisch-patriarchalische, jenseits das con- stitutionell-patriarchalische System. Der nächste Schritt zum Verfassungsbau muß die Beseitigung dieser innern Verschiedenheit zum Ziele haben. Die Ent¬ wickelung und Befestigung eines wirklich verfassungsmäßigen Staatsorganismus in der bisher mehr oder minder absolutistisch regierte^ deutsch-slavischen Reichs- hälfte wird am natürlichsten jenen Dualismus überwinden, der die innere Politik der ungarischen Länder von jener der nichtungarischen trennte. Und entsprechend dem nun diesseits wie jenseits lebendig werdenden Constitutionalismus wird auch der staatsrechtliche Verband, die politische Union derselben insoweit eine klare und bestimmte Form erhalten müssen, daß die selbständige constitutionelle Entwickelung beiderseits ebenso wenig gefährdet ist. wie die einheitliche Ver¬ tretung und Leitung der allen Ländern der Gesammtmonarchie gemeinsamen Interessen. Nicht nur das historische Recht aber entscheidet für den Dualismus, son¬ dern auch noch ein Anderes. Wer sich die verschiedenen Völker und Stämme ansieht, welche das Staatsmaterial Oestreichs bilden, der findet, daß es bisher besonders zwei nationale Elemente waren, welche in lebensfähiger Weise sich entwickelt und dem zufolge auch den Bestand des Reiches gesichert haben: das deutsche und das magyarische. Die geistige Kraft und Bildung der in der östreichischen Monarchie zusammengefaßten Nationalitäten wurzelt vorzugs¬ weise in den Errungenschaften deutscher Cultur, und die wirkliche Höhe der ver¬ schiedenen nationalen Bildungsstufen läßt sich allein nach der Empfänglichkeit bemessen, mit welcher eine Nationalität die Früchte dieser Cultur sich aneignet und wieder in ihrem eigenthümlichen Wesen reproducirt. Diesem Maßstabe entsprechend zeigt sich, daß der Magyare, trotz seiner nationalen Abgeschlossen¬ heit, für den Jdeenkreis deutscher, wie überhaupt fremder Bildung am empfäng¬ lichsten ist, und daß ein höheres Culturstreben sein ganzes Wesen beherrscht, ohne ihn sich selbst zu entfremden. Ein Blick auf den Entwicklungsstand Ungarns bestätigt diese Behauptung. Die besten Namen des Landes glänzen in den Reihen der wissenschaftlichen Koryphäen. Die feinsten staatsmännischen Köpfe Oestreichs gehen aus ^den Kavalieren Ungarns hervor. Eine reichhaltige selbständige Publicistik vertritt 41*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/345>, abgerufen am 29.06.2024.