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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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wirklichung gelangen. Die innere Constituirung Oestreichs sodann ist nur
möglich auf Grundlage des Dualismus,,in welchem die jüngste Vergangenheit
des Gesammtreichs ihre natürliche Wurzel und die Einheit desselben ihre orga
mische Entwickelung hat. Die politische Union der deutsch-slavischen Erdtaube
mit Ungarn kann nur auf dem Wege einer verfassungs- und vertragsmäßigen
Vereinbarung zwischen der Krone und den beiderseitigen Landesvertretungen
vollzogen werden. Zu diesem Behuf ist eine entsprechende Revision der Februar¬
verfassung und der 1848er Gesetze Ungarns in der Richtung nothwendig, daß
für die gemeinsame Berathung und Leitung der Reichsangelegenheiten auch ein
gemeinsames Vertretungs- und ein einheitliches Exccutivorgan festgestellt wird.
Oestreich muß aus dem bisherigen deutschen Staatenbunde austreicn und da¬
gegen ein völkerrechtliches Bündniß zwischen Deutschland, respective dem deutschen
Bundesstaat, und der östreichischen Gesammtmonarchie abgeschlossen werden. In
Italien ist zunächst ein aufrichtiger Friedensstand aus Grundlage des Status
quo zu erzielen. Der Entwickelung der südslavischen und türkischen Wirren
hat Oestreich in bewaffneter Neutralität zuzusehen, bis eine andere Macht inter-
venirt, in welchem Fall es sich an der Intervention zu betheiligen hat.

Im Nachstehenden fassen wir einige von diesen Punkten mit dem Verfasser
näher ins Auge.

Die absolutistische Centralisation Bachs hätte, länger fortgesetzt, zu ihrem
Gegentheil, zu vollständiger Decentralisation, ja zur Auslösung des KaiserstaatS
geführt. Der dieser Phase der Neugestaltung Oestreichs vorausgehendeFöderalis-
mus, welcher allerhand neue Nationalitäten entdeckte und dieselben zu selbständigen
Staatsgliedern künstlich elektrisiren wollte, war diese Auflösung. Der gemäßigte
Föderalismus, welcher aus den historisch-politischen Individualitäten ein neues
Gruppensystem aufbauen wollte, und dessen Ideal durch das Octoberdiplom
von 1860 in allgemeinen Umrissen gezeichnet war, würde, abgesehen davon,
daß die deutschen Oestreicher bei Ausführung seines Plans von vornherein ins
Hintertreffen gedrängt gewesen wären, zu Kämpfen auf Leben und Tod zwischen
den autonomen Wünschen und legislativen Forderungen der verschiedenen
nationalen Einzelgruppen geführt haben. Auch die constitutionelle Centrali¬
sation ist den Beweis ihrer Lebensfähigkeit schuldig geblieben, und so galt es
endlich, auch in der innern Politik vollendete Thatsachen anzuerkennen. In den
Annalen Oestreichs steht aber vor allem der Dualismus als unzweifelhafte
und lebendige Thatsache verzeichnet. Die pragmatische Sanction und die Friedens¬
und Nechtsverträge mit den Ländern der ungarischen Krone einerseits, die Ent¬
sagung Franz des Zweiten auf die deutsche Kaiserkrone sowie die deutsche Bundes¬
acte von 1813 andrerseits sind nicht nur die einzigen Actenstücke, auf welche
die neuere Geschichte des östreichischen Kaiserstaats als solchen basirt, sondern
zugleich politische Thatsachen, deren Consequenzen sich in dem ganzen staatlichen


wirklichung gelangen. Die innere Constituirung Oestreichs sodann ist nur
möglich auf Grundlage des Dualismus,,in welchem die jüngste Vergangenheit
des Gesammtreichs ihre natürliche Wurzel und die Einheit desselben ihre orga
mische Entwickelung hat. Die politische Union der deutsch-slavischen Erdtaube
mit Ungarn kann nur auf dem Wege einer verfassungs- und vertragsmäßigen
Vereinbarung zwischen der Krone und den beiderseitigen Landesvertretungen
vollzogen werden. Zu diesem Behuf ist eine entsprechende Revision der Februar¬
verfassung und der 1848er Gesetze Ungarns in der Richtung nothwendig, daß
für die gemeinsame Berathung und Leitung der Reichsangelegenheiten auch ein
gemeinsames Vertretungs- und ein einheitliches Exccutivorgan festgestellt wird.
Oestreich muß aus dem bisherigen deutschen Staatenbunde austreicn und da¬
gegen ein völkerrechtliches Bündniß zwischen Deutschland, respective dem deutschen
Bundesstaat, und der östreichischen Gesammtmonarchie abgeschlossen werden. In
Italien ist zunächst ein aufrichtiger Friedensstand aus Grundlage des Status
quo zu erzielen. Der Entwickelung der südslavischen und türkischen Wirren
hat Oestreich in bewaffneter Neutralität zuzusehen, bis eine andere Macht inter-
venirt, in welchem Fall es sich an der Intervention zu betheiligen hat.

Im Nachstehenden fassen wir einige von diesen Punkten mit dem Verfasser
näher ins Auge.

Die absolutistische Centralisation Bachs hätte, länger fortgesetzt, zu ihrem
Gegentheil, zu vollständiger Decentralisation, ja zur Auslösung des KaiserstaatS
geführt. Der dieser Phase der Neugestaltung Oestreichs vorausgehendeFöderalis-
mus, welcher allerhand neue Nationalitäten entdeckte und dieselben zu selbständigen
Staatsgliedern künstlich elektrisiren wollte, war diese Auflösung. Der gemäßigte
Föderalismus, welcher aus den historisch-politischen Individualitäten ein neues
Gruppensystem aufbauen wollte, und dessen Ideal durch das Octoberdiplom
von 1860 in allgemeinen Umrissen gezeichnet war, würde, abgesehen davon,
daß die deutschen Oestreicher bei Ausführung seines Plans von vornherein ins
Hintertreffen gedrängt gewesen wären, zu Kämpfen auf Leben und Tod zwischen
den autonomen Wünschen und legislativen Forderungen der verschiedenen
nationalen Einzelgruppen geführt haben. Auch die constitutionelle Centrali¬
sation ist den Beweis ihrer Lebensfähigkeit schuldig geblieben, und so galt es
endlich, auch in der innern Politik vollendete Thatsachen anzuerkennen. In den
Annalen Oestreichs steht aber vor allem der Dualismus als unzweifelhafte
und lebendige Thatsache verzeichnet. Die pragmatische Sanction und die Friedens¬
und Nechtsverträge mit den Ländern der ungarischen Krone einerseits, die Ent¬
sagung Franz des Zweiten auf die deutsche Kaiserkrone sowie die deutsche Bundes¬
acte von 1813 andrerseits sind nicht nur die einzigen Actenstücke, auf welche
die neuere Geschichte des östreichischen Kaiserstaats als solchen basirt, sondern
zugleich politische Thatsachen, deren Consequenzen sich in dem ganzen staatlichen


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[0344] wirklichung gelangen. Die innere Constituirung Oestreichs sodann ist nur möglich auf Grundlage des Dualismus,,in welchem die jüngste Vergangenheit des Gesammtreichs ihre natürliche Wurzel und die Einheit desselben ihre orga mische Entwickelung hat. Die politische Union der deutsch-slavischen Erdtaube mit Ungarn kann nur auf dem Wege einer verfassungs- und vertragsmäßigen Vereinbarung zwischen der Krone und den beiderseitigen Landesvertretungen vollzogen werden. Zu diesem Behuf ist eine entsprechende Revision der Februar¬ verfassung und der 1848er Gesetze Ungarns in der Richtung nothwendig, daß für die gemeinsame Berathung und Leitung der Reichsangelegenheiten auch ein gemeinsames Vertretungs- und ein einheitliches Exccutivorgan festgestellt wird. Oestreich muß aus dem bisherigen deutschen Staatenbunde austreicn und da¬ gegen ein völkerrechtliches Bündniß zwischen Deutschland, respective dem deutschen Bundesstaat, und der östreichischen Gesammtmonarchie abgeschlossen werden. In Italien ist zunächst ein aufrichtiger Friedensstand aus Grundlage des Status quo zu erzielen. Der Entwickelung der südslavischen und türkischen Wirren hat Oestreich in bewaffneter Neutralität zuzusehen, bis eine andere Macht inter- venirt, in welchem Fall es sich an der Intervention zu betheiligen hat. Im Nachstehenden fassen wir einige von diesen Punkten mit dem Verfasser näher ins Auge. Die absolutistische Centralisation Bachs hätte, länger fortgesetzt, zu ihrem Gegentheil, zu vollständiger Decentralisation, ja zur Auslösung des KaiserstaatS geführt. Der dieser Phase der Neugestaltung Oestreichs vorausgehendeFöderalis- mus, welcher allerhand neue Nationalitäten entdeckte und dieselben zu selbständigen Staatsgliedern künstlich elektrisiren wollte, war diese Auflösung. Der gemäßigte Föderalismus, welcher aus den historisch-politischen Individualitäten ein neues Gruppensystem aufbauen wollte, und dessen Ideal durch das Octoberdiplom von 1860 in allgemeinen Umrissen gezeichnet war, würde, abgesehen davon, daß die deutschen Oestreicher bei Ausführung seines Plans von vornherein ins Hintertreffen gedrängt gewesen wären, zu Kämpfen auf Leben und Tod zwischen den autonomen Wünschen und legislativen Forderungen der verschiedenen nationalen Einzelgruppen geführt haben. Auch die constitutionelle Centrali¬ sation ist den Beweis ihrer Lebensfähigkeit schuldig geblieben, und so galt es endlich, auch in der innern Politik vollendete Thatsachen anzuerkennen. In den Annalen Oestreichs steht aber vor allem der Dualismus als unzweifelhafte und lebendige Thatsache verzeichnet. Die pragmatische Sanction und die Friedens¬ und Nechtsverträge mit den Ländern der ungarischen Krone einerseits, die Ent¬ sagung Franz des Zweiten auf die deutsche Kaiserkrone sowie die deutsche Bundes¬ acte von 1813 andrerseits sind nicht nur die einzigen Actenstücke, auf welche die neuere Geschichte des östreichischen Kaiserstaats als solchen basirt, sondern zugleich politische Thatsachen, deren Consequenzen sich in dem ganzen staatlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/344>, abgerufen am 29.06.2024.