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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Sobald aber bekannt wurde, daß er Christ werden wollte, bestürmten ihn seine
Glaubensgenossen mit Vorstellungen, er möge doch nicht seine Kaste verscherzen,
und machten ihm allerhand Versprechungen. Wenn er Christ würde, sagten sie
vorzüglich, würde er keine Opfergaben mehr bekommen. Er antwortete ihnen:
"Könnt ihr meinem Herzen Ruhe und Frieden verschaffen? Ich suche den Weg
zur Seligkeit, und den habe ich allein in dem Christenbuche gesunden. Darum
muß ich zum Patri gehen." Zuletzt indeß wurde die Versuchung und Anfech¬
tung für ihn doch zu groß. Als er bereits einige Zeit christlichen Unterricht
erhalten hatte und nahe daran war, getauft zu werden, gelang es den Feinden,
ihn in seinem Entschluß wankend zu machen, und eines Tages lief er uns in
der ihm geschenkten Kleidung, die wir ihm gegeben, damit Andre ihn in seinem
Heiligenhabit nicht anbeten möchten, auf Nimmerwiederkehr davon."

Unser Buch berichtet uns zwar auch von Leuten, die fest blieben, und
unter andern von einem Manne, der hunderttausend Gulden um seines Glaubens
willen daran gegeben. Das sind aber doch seltne Ausnahmen, und das Kasten¬
wesen ragt mit seiner Starrheit selbst in das Christenthum der Hindus hinein.

Der Verfasser weiß uns einen Sonntag auf einer indischen Missionsstation,
die schon eine Anzahl eingeborner Christen hat, recht hübsch zu schildern. Wäh¬
rend Heiden und Muhammedaner ihren irdischen Geschäften nachgehen, begeben
sich die Getauften nach der Kirche, wobei die Verheirateten ihre kleinen Kinder
mitnehmen. In Zügen sieht man die Kinder aus den Waisenhäusern und Kost¬
schulen, die Knaben mit hellfarbigen Turbanen und langen weißen Obergewändern,
die Mädchen entweder in weißen Musselin oder hübsch gemustertes inländisches
Zeug gekleidet, zu zwei und zwei mit ihren Lehrern und Lehrerinnen zum Gottes¬
hause gehen.. Die Männer nehmen beim Eintritt in dasselbe den Turban ab,
behalten aber die Schuhe an, während sie früher in Tempel oder Moschee jenen
aufbehielten und diese ablegten. Die Kirchen haben statt der Fenster Jalousie¬
läden, welche die Sonne abhalten und die Luft einlassen. An der Decke haben
sie in der heißen Jahreszeit große Fächer, die fortwährend durch Stricke in
Bewegung gesetzt werden. Manche der Versammelten wehen sich auch mit Hand¬
fächern Kühlung zu. Statt der Kirchenstühle bedient man sich langer Bänke
von Bambusrohr. Der Boden ist mit indischen Matten bedeckt. Die Männer
sitzen auf der einen, die Frauen auf der andern Seite. Emporen giebt es in
indischen Kirchen nirgends.

Die Sprache beim Gottesdienst ist entweder bengalisch oder hindustanisch.
Der Gesang folgt englischen, bisweilen auch deutschen Melodien. Beim Gebet
kniet alles nieder. Auf den englischen Stationen bedient man sich der Liturgie
des Commonprayerbooks in der Uebersetzung und mit einigen Kürzungen. Man
beginnt mit einem Liede, dann folgt die Liturgie, hierauf wieder ein Lied
und sodann die Predigt, die von den jungen Leuten mit dem Bleistift nach-


Sobald aber bekannt wurde, daß er Christ werden wollte, bestürmten ihn seine
Glaubensgenossen mit Vorstellungen, er möge doch nicht seine Kaste verscherzen,
und machten ihm allerhand Versprechungen. Wenn er Christ würde, sagten sie
vorzüglich, würde er keine Opfergaben mehr bekommen. Er antwortete ihnen:
„Könnt ihr meinem Herzen Ruhe und Frieden verschaffen? Ich suche den Weg
zur Seligkeit, und den habe ich allein in dem Christenbuche gesunden. Darum
muß ich zum Patri gehen." Zuletzt indeß wurde die Versuchung und Anfech¬
tung für ihn doch zu groß. Als er bereits einige Zeit christlichen Unterricht
erhalten hatte und nahe daran war, getauft zu werden, gelang es den Feinden,
ihn in seinem Entschluß wankend zu machen, und eines Tages lief er uns in
der ihm geschenkten Kleidung, die wir ihm gegeben, damit Andre ihn in seinem
Heiligenhabit nicht anbeten möchten, auf Nimmerwiederkehr davon."

Unser Buch berichtet uns zwar auch von Leuten, die fest blieben, und
unter andern von einem Manne, der hunderttausend Gulden um seines Glaubens
willen daran gegeben. Das sind aber doch seltne Ausnahmen, und das Kasten¬
wesen ragt mit seiner Starrheit selbst in das Christenthum der Hindus hinein.

Der Verfasser weiß uns einen Sonntag auf einer indischen Missionsstation,
die schon eine Anzahl eingeborner Christen hat, recht hübsch zu schildern. Wäh¬
rend Heiden und Muhammedaner ihren irdischen Geschäften nachgehen, begeben
sich die Getauften nach der Kirche, wobei die Verheirateten ihre kleinen Kinder
mitnehmen. In Zügen sieht man die Kinder aus den Waisenhäusern und Kost¬
schulen, die Knaben mit hellfarbigen Turbanen und langen weißen Obergewändern,
die Mädchen entweder in weißen Musselin oder hübsch gemustertes inländisches
Zeug gekleidet, zu zwei und zwei mit ihren Lehrern und Lehrerinnen zum Gottes¬
hause gehen.. Die Männer nehmen beim Eintritt in dasselbe den Turban ab,
behalten aber die Schuhe an, während sie früher in Tempel oder Moschee jenen
aufbehielten und diese ablegten. Die Kirchen haben statt der Fenster Jalousie¬
läden, welche die Sonne abhalten und die Luft einlassen. An der Decke haben
sie in der heißen Jahreszeit große Fächer, die fortwährend durch Stricke in
Bewegung gesetzt werden. Manche der Versammelten wehen sich auch mit Hand¬
fächern Kühlung zu. Statt der Kirchenstühle bedient man sich langer Bänke
von Bambusrohr. Der Boden ist mit indischen Matten bedeckt. Die Männer
sitzen auf der einen, die Frauen auf der andern Seite. Emporen giebt es in
indischen Kirchen nirgends.

Die Sprache beim Gottesdienst ist entweder bengalisch oder hindustanisch.
Der Gesang folgt englischen, bisweilen auch deutschen Melodien. Beim Gebet
kniet alles nieder. Auf den englischen Stationen bedient man sich der Liturgie
des Commonprayerbooks in der Uebersetzung und mit einigen Kürzungen. Man
beginnt mit einem Liede, dann folgt die Liturgie, hierauf wieder ein Lied
und sodann die Predigt, die von den jungen Leuten mit dem Bleistift nach-


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[0332] Sobald aber bekannt wurde, daß er Christ werden wollte, bestürmten ihn seine Glaubensgenossen mit Vorstellungen, er möge doch nicht seine Kaste verscherzen, und machten ihm allerhand Versprechungen. Wenn er Christ würde, sagten sie vorzüglich, würde er keine Opfergaben mehr bekommen. Er antwortete ihnen: „Könnt ihr meinem Herzen Ruhe und Frieden verschaffen? Ich suche den Weg zur Seligkeit, und den habe ich allein in dem Christenbuche gesunden. Darum muß ich zum Patri gehen." Zuletzt indeß wurde die Versuchung und Anfech¬ tung für ihn doch zu groß. Als er bereits einige Zeit christlichen Unterricht erhalten hatte und nahe daran war, getauft zu werden, gelang es den Feinden, ihn in seinem Entschluß wankend zu machen, und eines Tages lief er uns in der ihm geschenkten Kleidung, die wir ihm gegeben, damit Andre ihn in seinem Heiligenhabit nicht anbeten möchten, auf Nimmerwiederkehr davon." Unser Buch berichtet uns zwar auch von Leuten, die fest blieben, und unter andern von einem Manne, der hunderttausend Gulden um seines Glaubens willen daran gegeben. Das sind aber doch seltne Ausnahmen, und das Kasten¬ wesen ragt mit seiner Starrheit selbst in das Christenthum der Hindus hinein. Der Verfasser weiß uns einen Sonntag auf einer indischen Missionsstation, die schon eine Anzahl eingeborner Christen hat, recht hübsch zu schildern. Wäh¬ rend Heiden und Muhammedaner ihren irdischen Geschäften nachgehen, begeben sich die Getauften nach der Kirche, wobei die Verheirateten ihre kleinen Kinder mitnehmen. In Zügen sieht man die Kinder aus den Waisenhäusern und Kost¬ schulen, die Knaben mit hellfarbigen Turbanen und langen weißen Obergewändern, die Mädchen entweder in weißen Musselin oder hübsch gemustertes inländisches Zeug gekleidet, zu zwei und zwei mit ihren Lehrern und Lehrerinnen zum Gottes¬ hause gehen.. Die Männer nehmen beim Eintritt in dasselbe den Turban ab, behalten aber die Schuhe an, während sie früher in Tempel oder Moschee jenen aufbehielten und diese ablegten. Die Kirchen haben statt der Fenster Jalousie¬ läden, welche die Sonne abhalten und die Luft einlassen. An der Decke haben sie in der heißen Jahreszeit große Fächer, die fortwährend durch Stricke in Bewegung gesetzt werden. Manche der Versammelten wehen sich auch mit Hand¬ fächern Kühlung zu. Statt der Kirchenstühle bedient man sich langer Bänke von Bambusrohr. Der Boden ist mit indischen Matten bedeckt. Die Männer sitzen auf der einen, die Frauen auf der andern Seite. Emporen giebt es in indischen Kirchen nirgends. Die Sprache beim Gottesdienst ist entweder bengalisch oder hindustanisch. Der Gesang folgt englischen, bisweilen auch deutschen Melodien. Beim Gebet kniet alles nieder. Auf den englischen Stationen bedient man sich der Liturgie des Commonprayerbooks in der Uebersetzung und mit einigen Kürzungen. Man beginnt mit einem Liede, dann folgt die Liturgie, hierauf wieder ein Lied und sodann die Predigt, die von den jungen Leuten mit dem Bleistift nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/332>, abgerufen am 29.06.2024.