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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Ager aus Brahmas Haupt geschaffnen Herrn. Häufig halten sich Brahmanen
und heilige Büßer, wenn ein Patri mit ihnen spricht, ein Tuch vor den Mund,
damit sein Athem sie nicht unrein mache. Will jener ihnen ein Buch geben,
so bitten sie, es irgendwo hinzulegen, wo sie es dann sich abholen. Nicht selten
sagen selbst Leute niederer Kaste: "Wir nehmen von euch keine Bücher an;
denn wir werden dadurch unrein."

Auch mit den Muhammedanern verkehrt sichs nicht leicht; denn sie sehen
den Europäer ebenfalls für unrein an, weil er das Fleisch des im Koran ver¬
botenen Schweins ißt. Außerdem aber hassen sie diese Fremden, weil sie ihnen,
die früher die Herren des Landes waren, ihre Gewalt und Macht entrissen
haben. "Tun ne hamara null ehhin liya", Du hast uns unsere Herrschaft
genommen, sagten sie mehr als einmal zu unserm guten Berliner, der doch an
Clives Eroberungen so unschuldig war wie an Adams und Evas SündenfaU.

Nicht nur die Eingebornen, auch manche Engländer legen dem Missionär
in seiner Thätigkeit Hindernisse in den Weg. Sie betheiligen sich an den heid¬
nischen Festen, z. B. am Durgasest, spenden den Tempeln Geschenke, die als
den Göttern derselben dargebrachte Opfer aufgefaßt werden, und schaden, was
uns die Hauptsache zu sein scheint, der Ausbreitung des Christenthums durch
unsaubern Lebenswandel. Gar oft sagen die Eingebornen dem Missionär:
"Geh erst, die Christen zu bessern, und dann komm zu uns."

Der Verfasser schlägt die Zahl der eingebornen Christen in Indien aus
120,000 an. Sehen wir davon ab, daß dies im Vergleich mit den neunzig oder
hundert Millionen Heiden und Muhammedanern, welche das Land bewohnen,
und im Verhältniß zu der Thatsache, daß die Missionäre hier bereits seit länger
als einem halben Jahrhundert mit sehr beträchtlichen Mitteln wirken, eine winzig
kleine Zahl ist, so wird die Sache noch mäßiger, wenn man erfährt, von welcher
Art viele dieser eingebornen Christen sind. Viele, die sich zur Taufe melden,
haben irdische Vortheile im Auge. "Es ist in Ostindien wirklich sehr schlimm,
daß man fast alle eingebornen Christen im Anfange auch erhalten muß. Wenn
sie um die Taufe bitten, so bitten sie in der Regel auch um ihre Versorgung,
und nicht ganz mit Unrecht;" denn der Uebertritt zum Christenthum trennt sie
von ihrer Familie und ihren Freunden und Nachbarn vollständig, und niemand
von diesen giebt ihnen Gelegenheit, serner etwas zuverdienen. Der Verfasser erzählt:

"Einst meldete sich -- der Charakter der Hindus ist voll Lug und Betrug --
bei uns ein Hindu zur Taufe, der schon von einem andern Missionär getauft
war.") Ein Andrer war ein Heiliger und schien es aufrichtig zu meinen.



") Durchaus nichts Ungewöhnliches in dem Leben auch andrer Missionsstationen. Wir
sahen in Jerusalem einen russischen Juden, von dem das Gerücht ging, er habe sich auf dem
Wege von Moskau nach dem heiligen Lande nicht weniger als fünfmal die Taufe appliciren
^sser und damit, da es jedes Mal ein ansehnliches Viaticum abgeworfen, ein gutes Geschäft
gemacht- Jedermann glaubte das, da ähnliche Vorkommnisse schon dagewesen waren.

Ager aus Brahmas Haupt geschaffnen Herrn. Häufig halten sich Brahmanen
und heilige Büßer, wenn ein Patri mit ihnen spricht, ein Tuch vor den Mund,
damit sein Athem sie nicht unrein mache. Will jener ihnen ein Buch geben,
so bitten sie, es irgendwo hinzulegen, wo sie es dann sich abholen. Nicht selten
sagen selbst Leute niederer Kaste: „Wir nehmen von euch keine Bücher an;
denn wir werden dadurch unrein."

Auch mit den Muhammedanern verkehrt sichs nicht leicht; denn sie sehen
den Europäer ebenfalls für unrein an, weil er das Fleisch des im Koran ver¬
botenen Schweins ißt. Außerdem aber hassen sie diese Fremden, weil sie ihnen,
die früher die Herren des Landes waren, ihre Gewalt und Macht entrissen
haben. „Tun ne hamara null ehhin liya", Du hast uns unsere Herrschaft
genommen, sagten sie mehr als einmal zu unserm guten Berliner, der doch an
Clives Eroberungen so unschuldig war wie an Adams und Evas SündenfaU.

Nicht nur die Eingebornen, auch manche Engländer legen dem Missionär
in seiner Thätigkeit Hindernisse in den Weg. Sie betheiligen sich an den heid¬
nischen Festen, z. B. am Durgasest, spenden den Tempeln Geschenke, die als
den Göttern derselben dargebrachte Opfer aufgefaßt werden, und schaden, was
uns die Hauptsache zu sein scheint, der Ausbreitung des Christenthums durch
unsaubern Lebenswandel. Gar oft sagen die Eingebornen dem Missionär:
„Geh erst, die Christen zu bessern, und dann komm zu uns."

Der Verfasser schlägt die Zahl der eingebornen Christen in Indien aus
120,000 an. Sehen wir davon ab, daß dies im Vergleich mit den neunzig oder
hundert Millionen Heiden und Muhammedanern, welche das Land bewohnen,
und im Verhältniß zu der Thatsache, daß die Missionäre hier bereits seit länger
als einem halben Jahrhundert mit sehr beträchtlichen Mitteln wirken, eine winzig
kleine Zahl ist, so wird die Sache noch mäßiger, wenn man erfährt, von welcher
Art viele dieser eingebornen Christen sind. Viele, die sich zur Taufe melden,
haben irdische Vortheile im Auge. „Es ist in Ostindien wirklich sehr schlimm,
daß man fast alle eingebornen Christen im Anfange auch erhalten muß. Wenn
sie um die Taufe bitten, so bitten sie in der Regel auch um ihre Versorgung,
und nicht ganz mit Unrecht;" denn der Uebertritt zum Christenthum trennt sie
von ihrer Familie und ihren Freunden und Nachbarn vollständig, und niemand
von diesen giebt ihnen Gelegenheit, serner etwas zuverdienen. Der Verfasser erzählt:

„Einst meldete sich — der Charakter der Hindus ist voll Lug und Betrug —
bei uns ein Hindu zur Taufe, der schon von einem andern Missionär getauft
war.") Ein Andrer war ein Heiliger und schien es aufrichtig zu meinen.



") Durchaus nichts Ungewöhnliches in dem Leben auch andrer Missionsstationen. Wir
sahen in Jerusalem einen russischen Juden, von dem das Gerücht ging, er habe sich auf dem
Wege von Moskau nach dem heiligen Lande nicht weniger als fünfmal die Taufe appliciren
^sser und damit, da es jedes Mal ein ansehnliches Viaticum abgeworfen, ein gutes Geschäft
gemacht- Jedermann glaubte das, da ähnliche Vorkommnisse schon dagewesen waren.
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[0331] Ager aus Brahmas Haupt geschaffnen Herrn. Häufig halten sich Brahmanen und heilige Büßer, wenn ein Patri mit ihnen spricht, ein Tuch vor den Mund, damit sein Athem sie nicht unrein mache. Will jener ihnen ein Buch geben, so bitten sie, es irgendwo hinzulegen, wo sie es dann sich abholen. Nicht selten sagen selbst Leute niederer Kaste: „Wir nehmen von euch keine Bücher an; denn wir werden dadurch unrein." Auch mit den Muhammedanern verkehrt sichs nicht leicht; denn sie sehen den Europäer ebenfalls für unrein an, weil er das Fleisch des im Koran ver¬ botenen Schweins ißt. Außerdem aber hassen sie diese Fremden, weil sie ihnen, die früher die Herren des Landes waren, ihre Gewalt und Macht entrissen haben. „Tun ne hamara null ehhin liya", Du hast uns unsere Herrschaft genommen, sagten sie mehr als einmal zu unserm guten Berliner, der doch an Clives Eroberungen so unschuldig war wie an Adams und Evas SündenfaU. Nicht nur die Eingebornen, auch manche Engländer legen dem Missionär in seiner Thätigkeit Hindernisse in den Weg. Sie betheiligen sich an den heid¬ nischen Festen, z. B. am Durgasest, spenden den Tempeln Geschenke, die als den Göttern derselben dargebrachte Opfer aufgefaßt werden, und schaden, was uns die Hauptsache zu sein scheint, der Ausbreitung des Christenthums durch unsaubern Lebenswandel. Gar oft sagen die Eingebornen dem Missionär: „Geh erst, die Christen zu bessern, und dann komm zu uns." Der Verfasser schlägt die Zahl der eingebornen Christen in Indien aus 120,000 an. Sehen wir davon ab, daß dies im Vergleich mit den neunzig oder hundert Millionen Heiden und Muhammedanern, welche das Land bewohnen, und im Verhältniß zu der Thatsache, daß die Missionäre hier bereits seit länger als einem halben Jahrhundert mit sehr beträchtlichen Mitteln wirken, eine winzig kleine Zahl ist, so wird die Sache noch mäßiger, wenn man erfährt, von welcher Art viele dieser eingebornen Christen sind. Viele, die sich zur Taufe melden, haben irdische Vortheile im Auge. „Es ist in Ostindien wirklich sehr schlimm, daß man fast alle eingebornen Christen im Anfange auch erhalten muß. Wenn sie um die Taufe bitten, so bitten sie in der Regel auch um ihre Versorgung, und nicht ganz mit Unrecht;" denn der Uebertritt zum Christenthum trennt sie von ihrer Familie und ihren Freunden und Nachbarn vollständig, und niemand von diesen giebt ihnen Gelegenheit, serner etwas zuverdienen. Der Verfasser erzählt: „Einst meldete sich — der Charakter der Hindus ist voll Lug und Betrug — bei uns ein Hindu zur Taufe, der schon von einem andern Missionär getauft war.") Ein Andrer war ein Heiliger und schien es aufrichtig zu meinen. ") Durchaus nichts Ungewöhnliches in dem Leben auch andrer Missionsstationen. Wir sahen in Jerusalem einen russischen Juden, von dem das Gerücht ging, er habe sich auf dem Wege von Moskau nach dem heiligen Lande nicht weniger als fünfmal die Taufe appliciren ^sser und damit, da es jedes Mal ein ansehnliches Viaticum abgeworfen, ein gutes Geschäft gemacht- Jedermann glaubte das, da ähnliche Vorkommnisse schon dagewesen waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/331>, abgerufen am 29.06.2024.